Sehr geehrte Damen und Herren,
Verehrte Gäste,
Ich freue mich über die Gelegenheit, Ihnen meine Überlegungen zum Thema Auswirkungen der Aufnahme Kroatiens in die Europäische Union auf die Länder in der Region vorstellen zu dürfen. Besonders erfreulich ist der Umstand, dass die Diskussion zu diesem Thema von der Heinrich-Böll-Stiftung aus Deutschland organisiert wurde, da die Bundesrepublik Deutschland stets und bis zum Schluss ein fester Befürworter des Beitritts Kroatiens zum vereinigten Europa war.
Auch kritische Töne aus Berlin habe ich immer verstanden als eine Art der Unterstützung und Aufforderung es noch besser zu machen.
Um auch eine persönliche Note hinzuzufügen: Es freut mich in der Tat vor Ihnen heute Abend über dieses Thema sprechen und abschließend auch auf Ihre Fragen eingehen zu können, weil der EU-Beitritt Kroatiens eines der vordringlichsten außenpolitischen Ziele sowohl während meiner ersten als auch während meiner zweiten Amtszeit war.
Wir stehen nun knapp vor diesem Ziel, obwohl sich aus meiner Sicht noch einige mögliche Hindernisse beim Abschluss des Ratifizierungsverfahrens bis zum 1. Juli 2013 abzeichnen. Es wäre mir lieber, wenn ich mich irren würde, und ich hoffe aufrichtig, dass alles wie geplant verlaufen wird.
Einleitend möchte ich zwei Dinge klar herausstellen: Erstens, Sinn und Zweck der Entstehung des eigenständigen kroatischen Staates war nicht die dauerhafte Loslösung von unseren Nachbarstaaten, sondern die Verwirklichung des Rechts des kroatischen Volkes auf Selbstbestimmung. Dies ist zweifelsohne ein großes Ziel, aber auch nicht mehr als das.
Zweitens, Sinn und Zweck des Beitritts Kroatiens zur EU darf und wird nicht die Flucht aus der Region – dem so genannten Westbalkan – sein, sondern soll Kroatien die Moeglickheit geben, die Tür auch für die anderen Länder Südosteuropas zu öffnen, damit auch sie den Weg beschreiten können, an dessen Ende wird bald gelangen werden.
Es wäre daher illusorisch, ja sogar schädlich – nicht nur für die Region, sondern auch für Europa – wenn man die Aufnahme Kroatiens in die EU unter irgendeinem Aspekt als „Abschied vom Westbalkan“ betrachten würde. Denn wir gehen nirgendwo hin, wir bleiben dort, wo wir schon immer waren, gehen jedoch neue Beziehungen mit den Ländern des vereinigten Europas ein, bekommen neue Rechte, die wir bislang nicht hatten, und übernehmen auch Pflichten, die wir bislang nicht haben konnten.
Gleichzeitig – ob wir das wollen oder nicht – werden auch die Beziehungen zu unseren Nachbarländern, die noch nicht in der EU sind, jedoch alle ihren Willen und ihre Absicht der EU beizutreten bereits bekundet haben, eine neue Qualität bekommen. Auf tagespolitische Spielereien mit dem Beitrittstermin und –Tempo möchte ich nicht eingehen. Dies haben wir auch in Kroatien erlebt und es wundert mich daher nicht, obwohl ich bezweifle, dass irgendjemand einen Nutzen von solchen Spekulationen in Bezug auf unsere Nachbarstaaten haben könnte.
Es scheint mir viel wichtiger zu sein, dass Kroatien auch nach dem EU-Beitritt seine guten Beziehungen zu den benachbarten Ländern aufrechterhält und sogar noch vertieft, und dass man die EU – die aus vielerlei Gründen einen Erweiterungsüberdruss verspürt – überzeugt, dass der mehrere Jahrzehnte andauernde Prozess der europäischen Einigung nun kurz vor der Zielgerade nicht aufgehalten werden darf.
Mit anderen Worten: die Erweiterung darf nicht mit der Aufnahme Kroatiens enden. Ganz im Gegenteil: Die Europäische Union sollte Kroatien als gutes Beispiel nutzen, um anderen Ländern Südosteuropas zu zeigen, wie europäische Standards und Kriterien erfüllt werden, und wie man zuerst den Status eines Beitrittskandidaten bekommt, und wie man letztendlich zum EU-Mitglied wird.
Wir haben jahrelang behauptet – und ich persönlich habe das immer wieder gesagt – dass die kroatische Politik darauf ausgerichtet sein sollte, seinen Nachbarn auf dem Weg zur EU zu helfen, genauso wie uns viele Mitgliedsstaaten geholfen haben. Ich hoffe und glaube, dass dies auch die Politik der aktuellen Regierungskoalition sein wird. Dadurch werden wir uns nicht nur als gute Nachbarn bewähren, sondern würden sozusagen auch im eigenen Interesse handeln. Es liegt nämlich nicht im Interesse Kroatiens, dass entlang unserer Grenze – ich verwende bewusst diesen verhassten Ausdruck – der „Eiserne Vorhang“ des Schengen-Europas zu anderen Ländern der Region entsteht.
Kroatien hat zweierlei Interessen: In die Europäische Union aufgenommen zu werden, aber auch weiterhin die Beziehungen – vor allem wirtschaftlichen – zu den beitrittswilligen Nachbarländern zu pflegen und sie sogar auszubauen. Ich glaube, dass es versäumt wurde, in der Übergangszeit vor unserer Aufnahme in die EU eine Art temporärer gegenseitiger Beziehungen aufzubauen, die für die EU akzeptabel und für uns nützlich gewesen wären, die man gewissermaßen auch hätte institutionalisieren können. Ich betone dieses „gewissermaßen“, d.h. in dem Maße, indem wir es brauchen, um im Interesse aller Beteiligten besser zusammenarbeiten zu können.
Es liegt nicht im Interesse Kroatiens, nur zu einem neuen Markt – egal wie klein dieser auch sein mag – für Waren aus der EU zu werden, oder als Reservoir billigerer Arbeitskraft (einschließlich der Fachkräfte), oder als neuer Arbeitsmarkt für Arbeitslose aus den Mitgliedsstatten zu dienen. Das eine oder das andere wird wohl zutreffen, doch darf da nicht der Schwerpunkt liegen. Unser primäres Ziel muss es sein, sich in der EU weiterzuentwickeln – da die Entwicklungspolitik in den Vorjahren vernachlässigt wurde – das Land ausgehend von einer neuen Grundlage zu reindustrialisieren, und erneut zu einem Exportland zu werden.
In diesem Zusammenhang sind wir an die Region und die Länder der Dritten Welt angewiesen, und erst danach an die Mitgliedstaaten der EU. Derzeit gibt es Weniges, was wir den Letzteren anbieten können, während die Länder aus der Region, die sieben Jahrzehnte zum gleichen Staat wie wir gehörten, unsere natürlichen und logischen Partner sind, ebenso wie die Länder der Dritten Welt, wo man uns noch aus der Zeit Jugoslawiens kennt. Dies steht der Mitgliedschaft in der EU nicht entgegen. Ich bin vielmehr überzeugt, dass Kroatien in diesem Punkt die EU nur bereichern kann.
Aus wirtschaftlichen Gründen sind wir auf eine bilaterale Zusammenarbeit mit den Ländern der Region angewiesen, ebenso wie auf gemeinsame Auftritte auf Drittmärkten. In dieser Hinsicht wird Kroatien als EU-Mitglied die Funktion eines Instruktors übernehmen, denn man wird – indem man die Regelungen und Standards der EU einhält – auch die künftigen Mitgliedsstaaten an sie heranführen.
Kurzum: Weder fliehen wir aus der Region, noch sollte irgendjemand in der Region Befürchtungen wegen des Beitritts Kroatiens zum vereinten Europa haben. Mit der Ergänzung: Damit sich dieser Standpunkt durchsetzt, brauchen wir auch das Verständnis der EU, die der Aufgabe gerecht sein sollte, der sich ihre Gründungsväter seinerzeit visionär angenommen hatten.
Und letztendlich komme ich nicht umhin, auch Folgendes zu sagen. Die Hartnäckigkeit, mit der die EU versucht, allein die Symptome der Krise zu beseitigen, die sie tief erschüttert hat, ohne gewillt oder bereit zu sein, auch ihre Ursachen zu erkennen und abzuschaffen, macht mir große Sorgen. Um das ganz klar zu formulieren: Ich bin und kann kein Befürworter jener Denkweise sein, die darauf ausgerichtet ist, das System um jeden Preis zu retten, auch wenn man dadurch die Existenz von Tausenden und Abertausenden von Menschen unmittelbar gefährdet.
Kroatien ist ein kleines Land. Wir werden daher keinen entscheidenden Einfluss auf die Entscheidungsfindung in der EU nehmen können. Ich würde mich jedoch freuen, wenn wir ein klein bisschen zum Umdenken verhelfen und die festgefahrenen Denkmuster verändern könnten, die – obwohl kein Ausweg in Sicht ist – beständig nach ihm suchen. Rigide Sparpolitik ist nämlich ein Mühlstein um den Hals der Wirtschaft und auch der Entwicklung. Und der Ausweg liegt ja in der weiteren Entwicklung, in der Erkenntnis, dass das System ausgedient hat, wobei nirgendwo in Stein gemeißelt steht, dass dieses System den Höhepunkt in der Entwicklung der menschlichen Spezies darstellt. Der Ausweg liegt in der Erneuerung des Sozialstaates und darin, dass der Mensch wieder jenen Platz einnimmt, den wir ohne Grund dem System gegeben hatten.
Das System – einschließlich des Staats und der Staatenbündnisse wie die EU – sollte dem Menschen und seinen Bedürfnissen dienen. Es sollte nicht die Menschen beherrschen! Ich wünsche mir, dass Kroatien mit anderen Ländern aus der Region dazu beisteuert, dass sich diese Auffassung auch in der EU bzw. in den führenden EU-Ländern, unter welchen die Bundesrepublik Deutschland gewiss einen besonderen Platz einnimmt, durchsetzt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Die Europäische Union sollte Kroatien als gutes Beispiel nutzen
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