Die Aufsteigerrepublik: Armin Laschets Modell einer neuen Integrations- und Bildungspolitik

Armin Laschet: Die Aufsteigerrepublik. Zuwanderung als Chance. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009, 291 Seiten, 19,95 Euro.

28. Januar 2010
Eine Rezension von Hilal Sezgin
Gleich eine Fülle von Überraschungen enthält das Buch „Die Aufsteigerrepublik“, verfasst von dem CDU-Politiker Armin Laschet. Auf die erste konnte immerhin ein wenig vorbereitet sein, wer Laschet als Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration in Nordrhein-Westfalen kennt. Ein bekennender Christ, empfindet er gleichen Respekt und offenbar null Berührungsangst mit Angehörigen anderer Religionen. Jede Häme auf schlecht deutsch sprechende „Ausländer“, hilflose „Kopftuchmädchen“ und „unintegrierbare“ Gemüsehändler liegt ihm fern. Und so ist dieses Buch, in dem der Autor unter anderem von Begegnungen mit diversen Migrationshintergründlern berichtet, vor allem aber ein umfangreiches Paket an politischen Maßnahmen für eine neue, bessere Integrationspolitik vorstellt, eine wohltuende Abwechslung im oft von Ablehnung geprägten öffentlichen Integrationsdiskurs.

Überhaupt spricht man in Nordrhein-Westfalen, unter Laschets Ägide, migrationspolitisch gern von „Willkommens-„ oder „Anerkennungskultur“. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es sich bei vielen Menschen, die oft als „Ausländer“ adressiert werden, doch tatsächlich um Deutsche handelt. Es ist falsch, so von ihnen zu reden, als hoffte man heimlich, sie würden doch irgendwann „zurück“ gehen; und es ist auch falsch, sie sollten ständig beweisen, dass sie „deutsch“ genug sind, um dazuzugehören. „Wo sind denn bitte schön da die „Ausländer““, fragt Laschet, „aus denen erst noch „echte Deutsche“ gemacht werden müssen? Wie lange muss eigentlich jemand da sein, um dazuzugehören?“ Deutschsein sei nichts Fixes; und die Veränderung der deutschen Menschen- und eventuell auch Seelenlandschaft macht Laschet, anders als manchen seiner Parteifreunden, keinerlei patriotische Sorgen.

Aufstiegschancen für alle

Flankiert werden soll diese Anerkennungskultur von einer starken Sozial- und Bildungspolitik. Während andere sich in Vorwürfen ergehen, dass Migranten den sozialen Aufstieg nicht schnell genug schafften, unterbreitet Laschet zahlreiche Vorschläge für ein Schulsystem, das allen dieselbe Chance zum Aufstieg bietet. Damit spricht er vielen Migranten, Pädagogen und Sozialarbeitern aus der Seele, die der stereotypen Unterstellung überdrüssig sind, wonach bestimmte Ethnien oder Religionszugehörigkeiten in Bildungsmisere enden müssen. Nicht das Herkunftsland, sondern das jetzige Heimatland muss für das sorgen, was man früher Chancengleichheit nannte und das für Laschet den Kern seiner „Aufsteigerrepublik“ bildet. Er besteht darauf, dass auch Einwanderer einen Anspruch darauf haben, dass die Gesellschaft ihnen bei diesem Aufstieg hilft.

Gerade die oft als „weich“ abgewerteten Politikfelder Integration und Bildung, Kinder, Jugend und Frauen gelten ihm als diejenigen, auf deren Erfolg es in Zukunft ankommt: „Auch in einem demokratischen Rechts- und Sozialstaat werden und dürfen soziale Unterschiede bestehen... Das Maß und die Begründung von Ungleichheit sind entscheidend. Ungleichheit darf nicht durch die dauerhafte Betonierung einer Schicht oder gar Klasse, durch das Geschlecht oder durch die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe begründet sein. Unsere offene Gesellschaftsordnung gepaart mit der Sozialen Marktwirtschaft ist deshalb Garant für die Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen und die Solidarität mit jenen, die es aus eigener Leistungsfähigkeit nicht schaffen können.“

Überraschung Nummer 2 also: Hier schlägt ein christliches Herz in sozialdemokratischer Brust (oder umgekehrt, ganz wie man will). Das Christsein ermöglicht Laschet, der in dem ganzen Buch einen angenehm ernsthaften, respektvollen, auch selbstreflexiven Ton durchhält, die „Andersheit“ auch der Andersgläubigen als eine gleichberechtigte Form des Menschseins zu betrachten. Lange war in der öffentlichen Diskussion von „Parallelgesellschaften“ die Rede, die sich angeblich in Kreuzberg oder sonst wo verkapseln und einen quasi rechtsfreien Raum bilden würden; soziologisch erhärtet wurde dies nie. Auch hier wendet sich Laschet gegen die Kultur des Vorwurfs und dreht den Begriff ironisch um: Er sei selbst gewissermaßen in einer solchen Parallelgesellschaft aufgewachsen, meint Laschet: geboren in einem katholischen Krankenhaus, dann folgten ein katholischer Kindergarten, Ferienkurse der Pfarrei und die Grundschule mit Lehrerinnen im Ordenshabit. Laschets Geldkarte hat Pax ausgestellt, eine „katholische Bank für Christen“ – würden bei einer „muslimischen Bank für Muslime“ nicht alle Alarmsirenen losgehen?, fragt er.

Heikles Thema doppelte Staatsangehörigkeit

Und doch, trotz aller Stärken dieses Buchs, und trotz des Muts, mit dem Laschet viele wichtige Themen erfrischend non-partei-konformistisch angeht: Manchen Bereichen der Politik weicht er doch aus. So wichtig eine gute Sozial- und Bildungspolitik für die Chancengleichheit aller ist – Politik umfasst noch mehr als das. Es geht auch um die eher „harten“ Fragen der Zugehörigkeit und der politischen Rechte. Das so genannte Optionsmodell, das in Deutschland geborenen Kindern automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit verleiht, zwischen der (und der ihrer Eltern) sie bei Volljährigkeit sie sich aber entscheiden müssen, scheint Laschet nach wie vor „zeitgemäß“. Warum so bescheiden? Warum nicht endlich die reguläre doppelte Staatsangehörigkeit fordern, die Menschen – egal ob hier geboren oder seit vielen Jahren hier lebend – nicht in eine unnötige Konfliktsituation bringt, in der sie aus verständlicher Sentimentalität oder diffusen (wenn auch ebenso verständlichen) Loyalitätsgefühlen dann oft wieder die Zugehörigkeit zum einstigen Herkunftsland wählen?

Was das Wählen in jenem anderen Sinn demokratischer Teilhabe angeht, hat das Buch eine weitere Lücke: Was ist mit dem Ausländerwahlrecht? Kein einziges Mal wird es von Laschet thematisiert, dabei ist auch das ein Merkmal moderner Einwanderungsgesellschaften: dass in ihnen viele Menschen jahrelang leben, die danach tatsächlich zurück oder in ein drittes Land weiterziehen. Hochgradige Spezialisierung sowie Verschiebungen im Arbeitsmarkt verlangen vielen Menschen solche „Flexibilität“ ab, aufgrund derer sie oft lange in Ländern leben, deren Staatsbürger sie doch nicht unbedingt werden wollen oder können. Trotzdem stehen ihnen politische Rechte zu, wenn man die grundlegende Idee der Demokratie ernst nimmt: Wer unter den Gesetzen eines Landes lebt, muss auch über sie bestimmen können. Der Mensch ist frei geboren, schrieb Rousseau, und die Demokratie unterscheidet sich darin von der Fremdherrschaft, dass in ihr die dem Gesetz Unterworfenen auch beim Festlegen der Gesetze federführend sind. Durch Selbstgesetzgebung wird Freiheit gewahrt.

Zu spät zum Wählen

Die letzte Überraschung schließlich, die Laschets „Aufsteigerrepublik“ dem Leser bietet beziehungsweise bot, war der Erscheinungstermin. Ursprünglich war das Buch für das Frühjahr 2009 angekündigt worden, dann verzögerte sich das Erscheinen – was an sich noch nicht ungewöhnlich ist. Die Bundestagswahl allerdings war auf den September terminiert, und üblicherweise erscheinen die Bücher von Politikern vor der Wahl – schließlich will man Werbung damit machen und hofft auf mediale Aufmerksamkeit. Auch Laschets Buch sollte schließlich, nach mehreren Verzögerungen, dann noch knapp vor der Bundestagswahl erscheinen – und kam doch erst an dem Montag darauf in die Buchläden.

Schwer vorstellbar, dass es technisch unmöglich gewesen wäre, die Auslieferung ein, zwei Wochen vorzuziehen, zumal die Fahnen des fertigen Manuskripts bereits viele Wochen vorlagen. Nein, eher umgekehrt wird ein Schuh draus: Dass die CDU vielleicht befürchtete, mit diesem speziellen Politikerbuch weniger Wähler zu gewinnen, als Stammwähler zu verlieren. Direkt nach der Wahl war die Einrichtung eines Integrationsministeriums, und als dessen Minister Armin Laschet im Gespräch. Beides kam nicht zustande. Vielleicht nicht trotz, sondern wegen dieses Buchs.

Hilal Sezgin hat Philosophie studiert und danach mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau gearbeitet. Jetzt lebt sie als Buchautorin und freie Journalistin u.a. für DIE ZEIT und die taz in der Lüneburger Heide.