20 Jahre UN-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung: Viel geschafft, mehr zu tun

Rio de Janeiro, Ort des ersten Erdgipfels 1992. Bild: Mike Vondran Lizenz: Creative Commons BY 2.0 Original: flickr.

6. Dezember 2011
Zwanzig Jahre nach dem ersten Erdgipfel in Rio de Janeiro bereitet sich die globale Gemeinschaft auf ein neues Gipfeltreffen im Jahr 2012 vor. Bedrohungen, die 1992 am Horizont erschienen, sind heute Realitäten, die entschlossenes Handeln fordern. Der ökologische Fußabdruck der Menschheit überschreitet bei Weitem die Biokapazität der Erde. Der Klimawandel setzt sich mit unverminderter Geschwindigkeit fort. Dringender denn je sind Schritte erforderlich, die menschliche Zivilisation in nachhaltige Bahnen zu lenken. Gleichzeitig ist Nachhaltigkeit als Leitbild einer zukunftsfähigen Entwicklung Bestandteil des programmatischen Selbstverständnisses vieler Länder geworden. In Deutschland sind in den vergangenen 20 Jahren in vielen Bereichen wichtige Maßnahmen für eine nachhaltige Entwicklung eingeleitet worden. Es mangelt jedoch  an  richtungsweisenden  Regulierungen  für die Real- und Finanzwirtschaft.

Allerdings haben nur die Vorreiterkommunen ihre ökologische Bilanz in den vergangenen 20 Jahren verbessert. Es scheint deswegen geboten, ökologische Stadt- und Regionalentwicklung im Sinne der „regenerativen Kommune“ verstärkt zum Maßstab nachhaltiger Entwicklung zu machen.

Vom 7. bis zum 9. Dezember 2011 haben 23 Projektpartner den bundesweiten Kongress „Rio + 20 -  Nachhaltig vor Ort und Fünfter Netzwerk21Kongress“ in Hannover durchgeführt, der als Vorbereitung für den Weltgipfel 2012 dient. Mehr als 500 Personen, die sich für eine nachhaltige Entwicklung vor Ort engagieren,  haben zwei Tage lang über die Erfahrungen der vergangenen beiden Jahrzehnte und absehbare und wünschenswerte Perspektiven für die Zukunft diskutiert. Wir  halten hiermit einige Bilanzpunkte fest und geben der deutschen Rio+20-Delegation folgende Anregungen und Hinweise aus lokaler Sicht:

1. Die Verwirklichung einer nachhaltigen Zukunft kann nur vor Ort erfolgen

Als Leitbild wird die naturnahe, gesunde, klimaneutrale und sozial gerechte Stadt von vielen akzeptiert. Durch die intelligente und sparsame Nutzung von Energie, die energetische Erneuerung des Gebäudebestands, ein nachhaltiges Beschaffungswesen und zukunftsfähige Formen der Mobilität tragen die Menschen im privaten und unternehmerischen Umfeld sowie Städte, Gemeinden und Regionen zur Reduktion der Treibhausgase bei. Durch eine zukunftsgerechte Ver- und Entsorgungsstruktur passen sie sich schrittweise an den Klimawandel an.

Diese Anstrengungen müssen in den kommenden Jahren intensiviert werden. Maßnahmen für eine solidarische und lebenswerte Stadt wollen den sozialen Zusammenhalt und die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund erreichen und allen Bewohnerinnen und Bewohnern die Teilnahme am öffentlichen Leben und die Nutzung öffentlicher Güter garantieren. In den vergangenen Jahrzehnten haben innovative Kommunen, Unternehmen und Verbände sowie zahlreiche Agenda 21-Prozesse und vielgestaltige andere Nachhaltigkeitsinitiativen gezeigt, dass Nachhaltigkeit vor Ort machbar ist.

2. Wir müssen zu messbaren, tiefgreifenden Veränderungen kommen

Aufbauend auf den Erfahrungen erfolgreicher Modell- und Pilotprojekte geht es jetzt darum, umfassend und in messbaren Schritten den Umbau der Städte hin zu einer nachhaltigen Zukunft in Angriff zu nehmen – der Infrastruktur, der Bausubstanz, der Betriebe, der privaten Haushalte und öffentlichen Einrichtungen. Dem lokalen Klimaschutz und dem beschleunigten Umstieg in eine regenerative Energieversorgung kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Natur und Artenvielfalt haben auch ohne Nutzung einen eigenständigen hohen Wert.

Zudem ist eine hohe Naturqualität in den Städten zukünftig ein wichtiger Standortfaktor. Naturnahe Grünflächen werden zu noch wichtigeren Bausteinen in der Klimafolgenanpassung und für die Lebensqualität. Noch sind die meisten deutschen und auch europäischen Kommunen weit davon entfernt, ihre Möglichkeiten zu nachhaltiger Entwicklung auszuschöpfen.

3. Nachhaltigkeit bedeutet Beteiligung und kulturellen Wandel

Mehr Menschen für nachhaltige Lebensstile und eine Politik der Nachhaltigkeit zu begeistern, setzt voraus, Partizipation und Verantwortungsbewusstsein zu stärken und gesellschaftliches Engagement wertzuschätzen. Zukunftsrobuste, integrative Lösungen erfordern zwingend die Kooperation aller gesellschaftlichen Akteure, sie brauchen Bürgernähe. Nachhaltigkeit muss als Prinzip in das Alltagshandeln eingebettet werden: in die Erzeugung, effiziente Nutzung und Einsparung von Energie, in das Mobilitätsverhalten sowie in den täglichen Konsum, in die Betreuungsaufgaben sowie in das Erwerbsleben.

Die Kommunen müssen die Öffentlichkeit befähigen und ermuntern, sich mit ihren Kenntnissen, Erfahrungen und Ideen in nachhaltig orientierte Projekte und Prozesse einzubringen. Der Bildung für nachhaltige Entwicklung, dem kulturellen und künstlerischen Schaffen sowie dem sozialen Engagement kommt eine wichtige Aufgabe zu. Denn es gilt, positive Bilder einer attraktiven, naturnahen, gesunden, klimaneutralen und sozial gerechten Stadt  zu entwickeln und zu vermitteln. Ein kultureller Wandel hin zum gefühlten und erlebten Mehrwert von Nachhaltigkeit ist das Ziel.

4. Wirtschaft und Umwelt, Ökonomie und Ökologie müssen näher zusammenrücken

Bedingung einer zukunftsfähigen sozialen Marktwirtschaft  ist der ökologische Umbau der Wirtschaft hin zu mehr Energie- und Ressourceneffizienz und geschlossenen Kreisläufen - im Bewusstsein der Grenzen der Ökosysteme.

Zahlreiche Unternehmen und ihre Beschäftigten sind schon heute entscheidende Schritte in Richtung eines nachhaltigen Wirtschaftens gegangen. Produktion und Konsum einerseits und Natur- und Umweltschutz andererseits müssen aber insgesamt im Sinne eines ressourcenbewussten Umbaus der Industriegesellschaft miteinander in Einklang gebracht werden. Innovationen sind besonders in den rohstoff- und energieintensiven Bereichen zu fördern. Der Ausbau erneuerbarer Energien schafft regionale Wertschöpfungsketten, die es weiterzuentwickeln gilt. Wirtschaften der Zukunft wird nicht ohne neue Nutzungskonzepte und Dienstleistungsangebote, solidarische Formen wie Genossenschaften und eine neue Wertschätzung öffentlicher Güter auskommen.

Die im Vorfeld der UN-Konferenz in Rio 2012 propagierte 'Nachhaltige Wirtschaft' ('Green Economy') setzt neben nationalen Maßgaben vor allem internationale Vereinbarungen und Standards sowie deren lokale Umsetzung z. B. bei der Vergabe von Infrastrukturmaßnahmen und öffentlichen Dienstleistungen voraus.

5. Wir brauchen eine zukunftsfähige Energieversorgung und eine klimafreundliche Mobilität

Eine atomstrom- und fossilfreie Energieversorgung setzt eine erheblich deutlichere Energieeinsparung voraus als bisher eingeleitet.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist auf einem guten Wege. Die Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen für Biomasse-, Wind- und Fotovoltaik darf jedoch nicht zu unvertretbaren Beeinträchtigungen der Nahrungsmittelproduktion und des Naturschutzes führen; dies gilt national wie international (z. B. keine Regenwaldabholzung für die Energieversorgung der entwickelten Industrieländer).

Im Bereich Mobilität gibt es massive Defizite auf dem Weg zu einer CO2-freien Zukunft; benötigt werden insbesondere kompaktere Kommunen, flächendeckendes Car-Sharing, Begrenzung des Kraftstoffverbrauchs und der Emissionen, effizientere Technologien und Maßnahmen gegen den wachsenden Güterverkehr auf der Straße. Ein Schlüssel zu klimafreundlicher Mobilität liegt im ambitionierten Ausbau des Fahrradverkehrs und des ÖPNV sowie der besseren Vernetzung der Verkehrsangebote. Da Nachhaltigkeit in erster Linie regional zu denken ist, müssen die Städte und ihr Umland eng zusammenarbeiten, um Stoffströme, Energieerzeugung, Mobilitätsangebote etc. gemeinsam zu planen.

6. Große Veränderungen können nur gemeinsam gelingen

Wir brauchen als lokale Akteure die Zusammenarbeit mit den Ländern, dem Bund und der Europäischen Union. Die Politik auf allen Ebenen muss wesentlich darauf gerichtet sein, Kommunen, private und öffentliche Institutionen, Unternehmen und Verbände, Einwohnerinnen und Einwohner in die Lage zu versetzen, nachhaltig zu handeln. Hierfür müssen insbesondere die Kommunen finanziell ausreichend ausgestattet werden und es muss ein neues Gleichgewicht zwischen der Einnahme- und der Ausgabeseite geschaffen werden. Öffentliche Mittel sind  so einzusetzen, dass sie der Reduzierung des Ressourcenverbrauchs dienen, den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft fördern und der Ausbeutung der „Dritten Welt“ entgegenwirken. Auch Kommunen können ihre globale Verantwortung noch stärker in den Blick nehmen, um in der Zusammenarbeit mit Kommunen auf anderen Kontinenten den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen und den Aufbau demokratischer, lokaler Strukturen zu fördern und dem Klimawandel gemeinsam zu begegnen.

Die Erklärung von Hannover

Ein zentrales Anliegen der deutschen Regierungsdelegation bei der UN-Konferenz im nächsten Jahr muss es sein, den wegweisenden Entwicklungen, die von den lokalen Akteuren in den vergangenen beiden Jahrzehnten in vielen Ländern vorangetrieben wurden, mehr Anerkennung zu verleihen. Ziel ist es, die kommunalen Impulse und Innovationen angemessen zu unterstützen und unentdeckte Potenziale zu heben. Internationale Organisationen, die Europäische Union, die Bundesregierung und die Länder müssen die lokale Ebene als zentralen Partner in Nachhaltigkeitsprozessen von Anfang an einbeziehen. Internationale Strategien wie die Millennium-Ziele der Vereinten Nationen und nationale wie die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung sind wichtige Orientierungen und Richtschnüre für das Handeln lokaler Akteure. Internationale Organisationen, die EU, die Bundesregierung und die Länder müssen ihrerseits die eigene Politik stärker als bisher an den Prinzipien der Nachhaltigkeit ausrichten. Das ist das Signal der Rio+20-Konferenz in Hannover.