Studie: Einwanderinnen und Einwanderer sind in den Räten deutscher Großstädte stark unterrepräsentiert

Die Infografik (Download PDF) kann als Ganzes oder in Auszügen bei Nennung der Quelle verwendet werden und steht unter einer Creative Commons Lizenz. Die einzelnen Grafiken sind hier erhältlich.

28. Juni 2011
Unsere Stadtparlamente sind noch weit davon entfernt, die kulturelle und ethnische Vielfalt in unserem Land widerzuspiegeln. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Max-Planck-Instituts zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung. Unterstützt wurde das Projekt von der Stiftung Mercator. Nur 4% von insgesamt 4670 Ratsmitgliedern in deutschen Großstädten sind Migrant/innen. Dabei hat fast jeder fünfte Einwohner Deutschlands einen Migrationshintergrund, in den Städten ist es teilweise jeder dritte.

„Von gelungener Integration kann erst die Rede sein, wenn Migrant/innen ganz selbstverständlich in den Parlamenten vertreten sind. Hier hat die Bundesrepublik noch gewaltigen Nachholbedarf“, so Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Es sei ein Armutszeugnis, dass in zahlreichen Stadträten kein einziges Mitglied mit Migrationshintergrund vertreten sei. Fücks forderte die Parteien auf, Migranten stärker auf ihren Wahllisten zu berücksichtigen: „Parlamente müssen die reale Vielfalt einer multiethnischen Gesellschaft widerspiegeln.“

Die am 28. Juni in Berlin vorgestellte Studie untersucht erstmals bundesweit die Präsenz von Menschen mit Migrationshintergrund in den Räten aller deutschen Städte über 100.000 Einwohner.

Die positive Nachricht ist: Die Zahl der Migrantinnen und Migranten in den Kommunalparlamenten stieg in den letzten zehn Jahren an: Gab es in den zwischen 2001 und März 2006 gewählten Stadträten nur 114 Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund, stieg ihre Zahl bis März 2011 auf 190.

„Bemerkenswert ist, dass besonders viele Frauen und viele Deutschtürk/innen, denen ja oft eine mangelnde Integration unterstellt wird, politische Verantwortung in den Städten übernehmen“, hebt die Projektleiterin, Karen Schönwälder vom Göttinger Max-Planck-Institut, hervor.

Die Studie „Einwanderinnen und Einwanderer in den Räten deutscher Großstädte“, die in den Jahren 2010 und 2011 durchgeführt wurde, basiert auf einer umfassenden Analyse der Zusammensetzung der Räte, einer Umfrage unter allen Ratsmitgliedern mit Migrationshintergrund sowie qualitativen Interviews. Sie gibt Auskunft über das Selbstverständnis von Einwanderern in der Kommunalpolitik und zeigt, wie vielfältig deren politische Biographien und Karrierewege sind.

 „Wir wollen die Einwanderungsgesellschaft mitgestalten und Integration – verstanden als chancengleiche Partizipation in zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens – vorantreiben. Entscheidende Voraussetzung dafür ist eine erfolgreiche Bildungslaufbahn. Wir wollten wissen, welche Rolle der Bildungsaspekt bei der politischen Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund spielt“, so Dr. Bernhard Lorentz, Geschäftsführer der Stiftung Mercator.

Wie die Studie zeigt, bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den untersuchten Städten. Bezogen auf den Anteil derjenigen mit Migrationshintergrund an allen Ratsmitgliedern ist Frankfurt am Main mit 15 Personen Spitzenreiter unter den deutschen Großstädten. Auch Offenbach, Duisburg, Ludwigshafen und Stuttgart schneiden relativ gut ab. 20 Städte haben vier und mehr Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund. Bemerkenswert ist aber auch, dass in einigen Städten mit hohen Migrantenanteilen, unter ihnen Mannheim, Heilbronn, Ingolstadt, Hagen, kein einziges Ratsmitglied mit Migrationshintergrund im Stadtparlament sitzt.

Auch die politischen Parteien sind unterschiedlich offen bzw. unterschiedlich attraktiv für Migrant/innen. Alle großen politischen Parteien werden in den Großstädten auch von Einwanderern repräsentiert. Deren Zahl aber unterscheidet sich erheblich: Während die FDP nur 6 Ratsmitglieder mit Migrationshintergrund vorweisen kann, sind es in der SPD 67. Gemessen an der Gesamtzahl der Ratsmitglieder einer Partei erreicht Die Linke den höchsten Anteil (8%), gefolgt von den Grünen (7%) und der SPD (5%), während bei CDU/CSU und FDP nur knapp 2% der städtischen Ratsmitglieder einen Migrationshintergrund haben.

In Berlin zeigt sich, dass eine hohe Repräsentation von Einwanderern in der Politik erreichbar ist, wenn auch große Ungleichgewichte innerhalb der Stadt bestehen. Mit einem Migrant/innen/anteil von 10% im Abgeordnetenhaus ist Berlin unter den Bundesländern führend. Auf der Ebene der Bezirke liegt Berlin insgesamt jedoch nur im Bundesdurchschnitt. Positiv wirken vermutlich die Breite und Vitalität der sozialen Bewegungen in der Stadt, die Vernetzungen zwischen Akteuren mit und ohne Migrationshintergrund und die Bereitschaft mehrerer Parteien, ihre Führungsebenen für Immigranten zu öffnen.  

Renate Künast, Kandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin: „Berlin lebt von der Vielfalt seiner Bewohnerinnen und Bewohnern. Diese Vielfalt muss sich im Abgeordnetenhaus wie auch auf Bezirksebene wiederfinden. Integration ist die gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen, auch in der Politik. Wir Grünen profitieren vom Wissen unserer Mitglieder und Entscheider mit Migrationshintergrund. Wir werden Berlin zu einer Stadt für alle machen.“

 
Download:

  
Hinweis:

Die Studie wird auf der Tagung "Mittendrin oder nur irgendwie dabei? Die Rolle von Menschen mit Migrationshintergrund in der deutschen (Kommunal-)Politik" am 29. Juni 2011, 9.00 bis 18.00 Uhr, erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt und diskutiert

Detailliertes Programm und weitere Informationen:
https://www.boell.de/calendar/VA-viewevt-de.aspx?evtid=9751

Auf www.boell.de/stream kann die Tagung als Live-Stream verfolgt werden.
 

Fachkontakt:

  • Karen Schönwälder, Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften, Göttingen, Email schoenwaelder@mmg.mpg.de  T 0551-4956-129
  • Stephan Ertner, Koordinator des Programmteams Soziale Teilhabe und faire Aufstiegschancen, Email ertner@boell.de  T 030-28534-410

 

Pressearbeit:

  • Vera Lorenz, Email lorenz@boell.de  T 030-28534-217

 

Infografiken zur Studie

Galerie der Tagung: "Mittendrin oder nur irgendwie dabei?"