Fachkommission „Gesundheitspolitik“ eingesetzt

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Spritze und Tabletten. Foto: NetDoctor.de Lizenz: CC BY-NC 2.0 Original: flickr.com

15. März 2012
In der öffentlichen Diskussion über die Gesundheitspolitik dominieren Finanzierungsfragen. Das wird auch im nächsten Bundestagswahlkampf nicht anders sein. Die Gegenüberstellung „Bürgerversicherung versus Gesundheitsprämie“ wird voraussichtlich die Auseinandersetzung bestimmen. Diese besondere Aufmerksamkeit für Finanzierungsfragen ist auch berechtigt. Für eine gute Gesundheitsversorgung ist eine nachhaltige und gerechte Finanzierungsbasis unverzichtbar.

Allerdings sind für die Qualität und auch für die Wirtschaftlichkeit der Gesundheitsversorgung ihre konkreten Organisationsformen nicht weniger wichtig. Das gilt erst recht angesichts des demografischen Wandels, der das Versorgungssystem vor völlig neue quantitative und qualitative Anforderungen stellt. Vor allem die Zunahme chronisch und mehrfach sowie psychisch erkrankter Patientinnen und Patienten erfordert neue Versorgungsformen, zu denen neben der stärkeren Kooperation der verschiedenen Versorgungsbereiche und Gesundheitsberufe auch die bessere Beteiligung der Versicherten und Patienten an der Planung, Ausgestaltung und Durchführung von Versorgungseinrichtungen und -prozessen gehören. Versicherte und Patienten dürfen nicht auf ihre Rollen als Beitragszahler, Klienten und Kunden reduziert werden, sondern sind auch als Co-Produzenten ihrer eigenen Gesundheit und aktive Gesundheitsbürger ernst zu nehmen.

Wichtig ist also, neben Reformmodellen für die künftige Finanzierung des Gesundheitswesens auch Konzepte für die Ausgestaltung und Steuerung seiner Versorgungsstrukturen zu entwickeln.

Dabei ist jedoch zu beachten, dass das Gesundheitswesen aus einer schier unübersehbaren Vielzahl von Akteuren besteht, die jeweils ihre eigenen – häufig gegenläufigen - Interessen verfolgen. Deren Verhalten kann der Gesetzgeber nicht unmittelbar in die Richtung lenken, die mit Blick auf eine gute, für alle zugängliche Gesundheitsversorgung vielleicht wünschbar wäre. Was er aber kann und muss, ist das Setzen von Anreizen, damit sich das Handeln der verschiedenen Akteure förderlich auf die Qualität, die Wirtschaftlichkeit und die Zugänglichkeit des Ganzen auswirkt. Doch gerade hier hat das deutsche Gesundheitswesen große Defizite. Denn es setzt vielfach die falschen Anreize. Statt den klugen Ressourceneinsatz zu belohnen, werden bei Anbietern wie Krankenkassen und Versicherten Fehlanreize ausgelöst, völlig unabhängig davon, ob sie zur Verbesserung der Gesundheit beitragen oder nicht. Die Gesundheitspolitik versucht mit immer neuen Detailregulierungen gegen die Auswirkungen dieser Fehlanreize anzugehen. Doch damit wird nur die Intelligenz derer herausgefordert, die davon profitieren. Sie entwickeln Umgehungsstrategien und finden ständig neue Felder, die noch nicht ganz so eng reguliert sind. In der Folge wird das System immer komplexer und beschäftigt sich immer mehr mit sich selbst.

Um Vorschläge für die Überwindung dieser Fehlanreize auszuarbeiten, hat die Heinrich-Böll-Stiftung eine Reformkommission berufen. Deren zentrale Fragestellung ist: Wie müssen die Anreize im Gesundheitswesen gesetzt werden, damit das System aus sich selbst heraus mehr Gesundheit zu vertretbaren Kosten hervorbringt? Dabei werden die zu entwickelnden Vorschläge auch daran zu messen sein, ob sie einen Beitrag zum Abbau ungleicher Gesundheitschancen zwischen den Geschlechtern, den sozialen Schichten und den ethnischen Gruppen sowie zu mehr Partizipation im Gesundheitswesen leisten.

Die Kommission soll die Ergebnisse ihrer Beratungen nach etwa einem Jahr vorlegen.

 

Mitglieder der Kommission sind:

  • Andreas Brandhorst, Vorsitz, Referent für Gesundheitspolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
  • Helmut Hildebrandt, Vorsitz, Vorstand der OptiMedis AG, Hamburg
  • Ulrike Hauffe, Bremer Landesbeauftragte für Frauen und Leiterin der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Rechte der Frau
  • Dr. Ilona Köster-Steinebach, Referentin für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen bei der Verbraucherzentrale Bundesverband
  • Dr. Bernd Köppl, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Medizinischer Versorgungszentren e.V.
  • Prof. Dr. Andrea Morgner-Miehlke, zuletzt Leiterin Netzwerke im Vorstand des Dresdner Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Lehrverpflichtungen an der Dresdner International University, der Medizinischen Fakultät der TU Dresden und der Bremer Apollon Hochschule
  • Manfred Rompf, Geschäftsführer Personalmanagement bei den Vivantes–Kliniken, Berlin
  • Dr. Almut Satrapa-Schill, Leiterin des Sonderbereichs Zukunftsfragen der Gesundheitsversorgung bei der Robert-Bosch-Stiftung, Stuttgart
  • Prof. Dr. Jonas Schreyögg, Universität Hamburg, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Lehrstuhl für Management im Gesundheitswesen
  • Peter Sellin, Referent Sozialpolitik und demographischer Wandel, Heinrich Böll Stiftung
  • Dr. Johannes Thormählen, Vorstand der Gesellschaft für Wirtschaftlichkeit und Qualität bei Krankenkassen GWQ ServicePlus AG
  • Dr. Christina Tophoven, Geschäftsführerin der Bundespsychotherapeutenkammer
  • Prof. Dr. Jürgen Wasem, Lehrstuhl für Medizinmanagement an der Universität Duisburg/Essen

Download: Kurzbiografien der Kommissionsmitglieder (PDF)

Fachkontakt:
Peter Sellin
Referent Sozialpolitik und demographischer Wandel
Heinrich-Böll-Stiftung
Email: sellin@boell.de
Telefon: 030-28534-245

Podcast

Mitglieder der Fachkommission zur Gesundheitspolitik stehen Frage und Antwort



Helmut Hildebrandt, Vorstand OptiMedis AG und Co-Vorsitzender Fachkommission zur Gesundheit




Peter Sellin, Referent Sozialpolitik und demographischer Wandel




Dr. Christina Tophoven, Geschäftsführerin der Bundestherapeutenkammer