Montageassistenzsystem

Wie gute Arbeit in der Industrie 4.0 geschaffen werden kann

Die Industrie 4.0 bietet Spielräume für die Verbesserung der Arbeitsqualität, kann aber auch steigende Arbeitsintensität, Dequalifizierung und einen Verlust von Handlungsspielräumen bedeuten.

Industrie 4.0 gilt als eine zentrale Treibkraft von Veränderungen in der Arbeitswelt. Sie steht erstens für eine tiefgreifende Reorganisation bestehender Produktions- und Logistikprozesse. Die Stichworte hier sind steigende Vernetzung und die Entwicklung cyberphysischer Systeme, in denen Materialien, Teile, Anlagen und Arbeitskräfte miteinander verbunden sind und Daten austauschen.

Zweitens arbeiten Unternehmen an einer Reorientierung der Geschäftsmodelle. Hier geht es um die Entwicklung neuer Dienstleistungen, die auf der Auswertung von Daten aufbauen (Smart Services). Anders als der Begriff Industrie 4.0 suggeriert, betreffen die Veränderungen zudem nicht nur klassische Industriesektoren, sondern auch den Dienstleistungsbereich.

Mit Konzepten wie Industrie 4.0 verbinden sich Hoffnungen wie auch Ängste. Auf der einen Seite werden Chancen für eine Humanisierung der Arbeitswelt, für eine Abschaffung oder Zurückdrängung belastender und monotoner Arbeitstätigkeiten gesehen. Auf der anderen Seite besteht eine große Sorge über die Potenziale neuer Formen der Automatisierung (etwa durch Nutzung der künstlichen Intelligenz) und der Vernichtung von Arbeitsplätzen. Hintergrund dieser Ängste sind Studien wie beispielsweise jene der Oxford Martin School, die zum Ergebnis kommt, dass fast die Hälfte der Arbeitsplätze in den USA durch Automatisierung mittelfristig verloren gehen könnte. In der Dimension vergleichbare Kalkulationen gibt es auch für Deutschland.  

Überdramatisierter Beschäftigungsabbau

 Nun sind solche Prognosen alles andere als unumstritten. Alternative Studien, so etwa eine Analyse des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, kommen zu deutlich weniger dramatischen Ergebnissen. Mittlerweile setzt sich die Einsicht durch, dass Prognosen einer nahenden, technologisch bedingten Massenarbeitslosigkeit überzogen sein könnten, weil sie die Möglichkeiten der Automatisierung überschätzen und auch Beschäftigungseffekte der Entwicklung neuer Produkte und Industrien ausblenden.

Die Fokussierung der öffentlichen Debatte auf radikale Szenarien des Beschäftigungsabbaus übersieht zudem die mit der Digitalisierung einhergehenden Veränderungen, die die Qualität der Arbeit beeinflussen. Im Folgenden soll es daher also nicht um Beschäftigungseffekte, sondern um die Frage gehen, wie «gute» Arbeit angesichts der Digitalisierungsprozesse gesichert werden kann.

In der Tradition der sogenannten Job-Characteristics-Ansätze wird «gute» Arbeit im Allgemeinen durch Eigenschaften wie Ganzheitlichkeit und Sinnhaftigkeit der Aufgaben, Autonomie und Selbstregulierungsmöglichkeiten der Arbeitskräfte, Lernmöglichkeiten und sinnvolle Feedbackprozesse, Beschäftigungs- und Einkommenssicherheit sowie durch ein von den Arbeitskräften gut zu bewältigendes Anforderungsniveau charakterisiert.

Es stellt sich insbesondere die Frage, wie Mitbestimmung gestärkt und weiterentwickelt werden kann.

Als gut gilt diese Arbeit, weil sie Zufriedenheit und Entwicklungsmöglichkeiten der Beschäftigten stärkt, zugleich aber auch positive Auswirkungen auf deren Motivation und Produktivität hat. In dieser Tradition stehen auch Instrumente wie beispielsweise der vom Deutschen Gewerkschaftsbund entwickelte Index «Gute Arbeit».

Die ersten empirischen Studien über Industrie-4.0-Anwendungen zeigen sowohl Chancen als auch Gefahren im Hinblick auf die Qualität der Arbeit. Zu den Chancen gehören sicherlich die Reduktion monotoner und belastender Tätigkeiten und die Entwicklung von interessanten und anspruchsvollen Arbeitsplätzen, die lebensbegleitendes Lernen fördern. Es gibt zudem im Kontext von Industrie 4.0 Ansätze, die die Flexibilitätsspielräume der Beschäftigten steigern. Dies gilt nicht nur für Angestelltenbereiche, in denen digitale Kommunikationstechnologien Flexibilität im Hinblick auf Arbeitszeit und Arbeitsort (Home Office) ermöglichen. Auch in der industriellen Schichtarbeit werden neue Modelle der Arbeitszeitorganisation erprobt, bei denen sich die Beschäftigten per Smartphone im Hinblick auf Arbeitszeiten abstimmen und so gewisse Entscheidungsspielräume gewinnen.  

Kontrolle und Arbeitsverdichtung

 Zugleich zeigen die verfügbaren Studien auch Gefahren der Industrie-4.0-Technologien, die auf Regulierungsbedarf hinweisen. Deutlich wird, dass die neuen Technologien oftmals für Rationalisierungszwecke eingesetzt werden, was mit einer verstärkten Kontrolle der Arbeit und auch Arbeitsverdichtung einhergehen kann. Es handelt sich oftmals um graduelle Veränderungen in den Arbeitsprozessen, die im Folgenden an Beispielen verdeutlicht werden. Am sichtbarsten sind die Entwicklungen im Bereich der sogenannten Einfacharbeit, wie das Beispiel Kommissionierung (Logistik) verdeutlicht. Diese Arbeit ist seit langem durch eine starke Rationalisierung geprägt, die die Arbeitskräfte einer erheblichen Fremdsteuerung unterwirft.

Gut etabliert sind bereits sogenannte Pick-by-light- und Pick-by-voice-Systeme. Im Fall von Pick-by-light wird den Beschäftigten durch Aufleuchten von Kontrolllampen angezeigt, aus welchem Regal sie Artikel herausnehmen sollen. Das IT-System bestimmt die gesamte Folge der Arbeitsschritte und kann auch messen, wie schnell sie erledigt werden. Im Pick-by-voice-System erhält der Mensch entsprechende Anweisungen per automatischer Sprachausgabe ins Headphone. In Fortentwicklung dieser Ansätze werden aktuell Pick-by-vision-Konzepte ausprobiert.

Die Logistikbeschäftigten bekommen hier die vom IT-System generierten, detaillierten Arbeitsanweisungen auf die Datenbrille eingeblendet. Die Kamera der Datenbrille kann bestätigen, ob der richtige Artikel genommen wurde, und Daten etwa über den Standort des Arbeiters ans System melden. Ein anderer Ansatz ist die Automatisierung der Lagersysteme. Um Laufwege der Logistikarbeiter ganz einzusparen, werden kleine Roboter genutzt, die vom zentralen Auftragsmanagementsystem so gesteuert werden, dass sie mit den jeweils benötigten Artikeln in der genau benötigten Sequenz am Arbeitsplatz der Logistikarbeiterinnen und -arbeiter ankommen.

Deutlich wird hier die Bemühung, den Arbeitsablauf der Kommissionierung zu kontrollieren und von allen überflüssigen Bewegungen und Fehlerquellen freizuhalten. Die Effizienzgewinne gehen dementsprechend mit einer Arbeitsverdichtung einher. Die Möglichkeiten, das Arbeitstempo zu regulieren, auch mal für eine halbe Minute Halt zu machen und mit Kolleginnen und Kollegen ein paar Worte auszutauschen, werden reduziert.

Die IT-basierte Steuerung der Abläufe lässt eine genaue Analyse der Effizienz einer jeden einzelnen Arbeitskraft zu. Ähnliche Prozesse finden – wenngleich deutlich langsamer – auch in manchen von Facharbeit geprägten Bereichen statt, wie man am Beispiel der Instandhaltung verdeutlichen kann. Instandhaltung ist klassischerweise durch ein hohes Maß an Selbstorganisation der Arbeitskräfte charakterisiert, die vor allem mit unvorhergesehenen Problemen wie Maschinenstörungen umgehen und innerhalb kurzer Zeit kreativ Lösungen entwickeln müssen. Die zunehmende Vernetzung von Anlagen und die permanente Generierung von Prozessdaten bilden allerdings nun die Grundlage für die Verbreitung der sogenannten Predictive Maintenance.

Predictive Maintenance bezeichnet die systematische Auswertung von Sensordaten aus den Anlagen, um Verschleißerscheinungen und kommende Anlagenausfälle frühzeitig zu erkennen und so zu vermeiden. Die Bedeutungszunahme der Predictive Maintenance hat nun Folgen für den Instandhaltungsberuf. Ganz wesentlich ist dabei, dass im Voraus geplante Instandhaltungsaufgaben gegenüber dem Anteil ungeplanter und kurzfristig anfallender Problemlösungsaktivitäten an Bedeutung gewinnen. Damit wird der Arbeitsablauf der Instandhalterinnen und Instandhalter für das Management wesentlich transparenter und viel stärker als bisher für Kontrolle und Rationalisierung zugänglich.

Qualifikationswandel

 Die Dominanz von Rationalisierungsstrategien im Kontext von Industrie 4.0 kann sich auch auf die Entwicklung der Qualifikationsanforderungen auswirken. Im Bereich der hier am Beispiel der Kommissionierung diskutierten Einfacharbeit ist die Gefahr einer fortgesetzten Verengung der Arbeitsinhalte und Dequalifizierung deutlich sichtbar. Solche Gefahren bestehen aber auch im Bereich der Facharbeit, auch wenn dort üblicherweise von einem Anstieg der Qualifikationsanforderungen durch Digitalisierung ausgegangen wird. Das Beispiel der Instandhaltung ist auch hier instruktiv.

Die zunehmende Bedeutung von Big-Data-Analysen im Rahmen der Predictive Maintenance wirft die Frage auf, wer diese neuen Aufgaben im Betrieb übernimmt. Werden die Instandhalterinnen und Instandhalter entsprechend qualifiziert, oder entwickelt sich hier ein Bereich, der von akademisch ausgebildeten Data Scientists dominiert wird? Der Trend zur Predictive Maintenance geht zudem mit der Entwicklung von Wissensmanagementsystemen einher, in denen Informationen über Anlagen sowie Anleitungen für Instandhaltungsaufgaben erfasst werden. Solche Wissensmanagementsysteme sollen bei der Bewältigung von komplexen Störungen unterstützen; sie können es aber auch ermöglichen, weniger erfahrene Arbeitskräfte einzusetzen sowie einen Teil der kleineren Instandhaltungstätigkeiten an die direkt in der Produktion Beschäftigten zu geben.

Dieser letzte Punkt ist nun ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite würde dies einen Weg für die Anreicherung von Arbeit in der direkten Produktion eröffnen und damit dort eine Qualifizierung und Erhöhung der Arbeitsqualität bedeuten. Auf der anderen Seite könnte dies die fachlichen Anforderungen in der Instandhaltung senken.

Gestaltungsbedarf

 Deutlich wird, dass die Entwicklung von Industrie-4.0-Ansätzen Spielräume für die Verbesserung der Arbeitsqualität bietet, aber auch Gefahren einer steigenden Arbeitsintensität, Dequalifizierung und eines Verlustes von Entscheidungs- und Handlungsspielräumen bedeuten kann. Dabei geht es weniger um radikale Szenarien der Entwicklung allmächtiger künstlicher Intelligenz und der Entmündigung der Beschäftigten, als um graduelle Veränderungen, in denen das Potenzial der neuen Technologien erprobt wird. Dabei zeigt sich, dass viele Industrie-4.0-Lösungen mit einem klaren Ziel der Produktivitäts- und Effizienzsteigerung eingeführt werden.

Das muss nicht immer eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen bedeuten, es schränkt aber oftmals die Spielräume für innovative Lösungen ein. Die Sicherung «guter» Arbeit in der Digitalisierung wird auf Regulierung angewiesen sein. Zwar warnen Wirtschaftsverbände, dass die Regulierung die Digitalisierungsprozesse verlangsamen könnte, und verweisen darauf, dass sich die deutsche Wirtschaft in einem globalen Wettbewerb um die Führerschaft bei digitalen Technologien befinde. Regulierung muss aber keineswegs technologischen Fortschritt bremsen. Sie kann vielmehr Sicherheit schaffen, Ängste abbauen und Verfahrenswege definieren.

Erste Vorschläge für Gestaltungsansätze gibt es bereits aus dem Dialogprozess Arbeit 4.0, der in der letzten Legislaturperiode vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gestartet wurde, oder auch aus der Kommission «Arbeit der Zukunft» der Hans-Böckler-Stiftung. Im Hinblick auf die potenziellen Gefahren der Rationalisierung, Zunahme der Kontrolle und Arbeitsverdichtung, stellt sich insbesondere die Frage, wie Mitbestimmung gestärkt und weiterentwickelt werden kann. Ein wichtiges Thema ist die Mitbestimmung beim Beschäftigtendatenschutz.

Die bislang existierenden Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte bei der Anwendung technischer Überwachungseinrichtungen reichen im Zeitalter der Digitalisierung nicht aus, da Orte und Mechanismen der Datengenerierung sowie die Mengen an Daten enorm zunehmen. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Mitbestimmung bei der Gestaltung der Arbeitsorganisation. Hier wäre über eine Stärkung von Handlungsspielräumen der Betriebsräte und der Beschäftigten, aber auch über neue Konzepte zur Beurteilung von Belastungen nachzudenken. Schließlich werden Mitbestimmungsrechte auch im Hinblick auf Qualifizierung wichtig, um Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten für alle Beschäftigtengruppen zu sichern und Dequalifizierungstendenzen zu vermeiden.

Die vorhandenen Mitbestimmungsmöglichkeiten sind größtenteils auf laufende Aus- und Weiterbildung beschränkt und geben den Betriebsräten kaum Ansatzpunkte, um zukunftsgerichtet zu agieren. Insgesamt wird der Bedarf nach einer Diskussion über die Weiterentwicklung der existierenden Institutionen der Arbeitsregulierung, etwa des Betriebsverfassungsgesetzes, deutlich. Für Politik, Gewerkschaften und Unternehmen besteht hier dringender Gestaltungsbedarf.


PD Dr. Martin Krzywdzinski leitet die Projektgruppe «Globalisierung, Arbeit und Produktion» am Wissenschaftszentrum Berlin und ist Principal Investigator am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft.

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