Ostdeutschland: Foto von Lausitzer Landschaft

Die Region braucht ein neues Leitbild

Die Zukunftsagentur Rheinisches Revier begleitet den Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen seit 2014. Ralph Sterck ist ihr Geschäftsführer und kann viel erzählen, wie dieser Wandel gelingen kann.

Carla Baum: Sie stecken noch mitten im Strukturwandel in NRW – wo genau denn zurzeit?

Ralph Sterck: Wie Sie sagen: mittendrin. Und überall im Rheinischen Revier sieht man die verschiedenen Aggregatzustände des Wandels. Etwa in Inden, dort wird 2030 der Tagebau ausgekohlt sein. Da werden jetzt schon Böschungen angelegt, wo später mal der See entsteht, da gibt es Pläne für Freizeitnutzungen, für neue Wohngebiete direkt am See. An vielen Standorten sind Tagebaue schon längst verschwunden, dort sind Seen entstanden. Und die RWE hat bereits umfänglich Stellen abgebaut, heute arbeiten «nur noch» 10.000 Mitarbeiter in Tagebauen und Kraftwerken.

Aus Ihrer Erfahrung im Rheinischen Revier gesprochen – wie kann ein Strukturwandel gelingen? Was sind die Eckpfeiler, auf die es ankommt?

Man muss der Region ein neues Leitbild geben. Sie hat die letzten Jahrzehnte stark für die Energiesicherheit gestanden, für den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, für das Wirtschaftswunder. Die Menschen haben sich damit identifiziert, sie waren stolz darauf. Es braucht nun wieder ein Ziel für die kommenden Jahrzehnte. Natürlich spielt das Thema Energie hier nach wie vor eine zentrale Rolle. Es ist Potenzial dafür da, dass das Rheinische Revier auch nach der Braunkohle ein Energiestandort bleibt, mit erneuerbaren Energien. Aber es geht auch eine enorme Innovationskraft von unseren Bildungs- und Forschungsstandorten aus. Da tut sich im Dreieck Köln–Mönchengladbach–Aachen unheimlich viel. Es gibt das Forschungszentrum Jülich, die RWTH Aachen, die Universitäten in Köln und Bonn - da ist enormes Potenzial, das man entsprechend aufbauen kann.

Nehmen die Leute vor Ort das denn auch so wahr? Innovation ist doch sicher für viele, die jahrelang in den Tagebauen geschuftet haben, erst einmal ein abstrakter und bedeutungsloser Begriff.

Doch, das wird schon gesehen und angenommen. Sie sehen, dass von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen ausgehend Elektromobilität ein Thema ist, dass jetzt da das Elektroauto «e.Go» gebaut wird, dass es Werke gibt, wo es entsprechend neue Arbeitsplätze gibt.  Das wollen wir natürlich auch verstärken: Da geht es dann auch darum, vielleicht eine Batteriefabrik in der Region anzusiedeln. Wenn Tesla sagt, es möchte in Deutschland einen Standort haben, ist der NRW-Wirtschaftsminister hinterher, den ins Rheinische Revier zu holen.

Wie wichtig ist dabei die Kommunikation, der Kontakt mit den Menschen vor Ort?

Enorm wichtig. Fast jeder im Rheinischen Revier kennt Menschen in der Familie, die direkt vom Strukturwandel betroffen sind, die etwa umgesiedelt wurden für die Erweiterung einer der Tagebaue.

Was ist im Rheinischen Revier schon gelungen, was der Lausitz noch bevorsteht?

Man kann den Wandel der beiden Regionen nur schlecht vergleichen, weil die Bedingungen in der Lausitz und im Rheinischen Revier einfach unterschiedlich sind. Deshalb ist auch unsere Herangehensweise in Bezug auf die Energiekommission eine andere.

Welche?

Anders als in der Lausitz ist die Innovationskraft unserer Region bereits gegeben und unbestritten. Es geht hier nicht so sehr um die 10.000 Arbeitsplätze in der Braunkohle, sondern insbesondere um die energieintensive Industrie vor Ort. Für die eine entsprechende Versorgungssicherheit herstellen zu können, das ist das Ziel, das sich unsere Beteiligten in der Kommission gesetzt haben.

Also geht es Ihnen um die Frage: Wie können wir Sicherheit haben, dass noch Strom fließt, wenn wir aus der Kohle aussteigen?

Ja, genau. Denn unser Industriestandort ist auf zuverlässigen Strom angewiesen, die Aluminiumindustrie, die Papierindustrie, die Nahrungsmittelindustrie. Da hängen natürlich viel mehr Arbeitsplätze dran. Das ist für uns die zentrale Frage, wie man die in NRW und Deutschland erhalten kann.

Ein Blick in die Zukunft: Wie weit wird der Strukturwandel im Rheinischen Revier in zehn Jahren sein?

Eine neue Dimension des Strukturwandels wird sichtbar sein und die Landschaft prägen. Es kommen drei riesige Restseen, die viel größer sind als die bisherigen gefluteten Tagebaue. In Hambach werden wir den zweitgrößten See Deutschlands haben. In Inden wird der See schon fünf Jahre nach Beginn der Flutung so voll sein, dass man ihn auch nutzen kann. Davon wird jeder hier in der Region profitieren.


Ralph Sterck, 1965 in Köln geboren, ist Geschäftsführer der Zukunftsagentur Rheinisches Revier, die den dortigen Strukturwandel seit 2014 begleitet. Sterck ist auch an der Kohlekommission beteiligt.

Carla Baum, 1989 in Hamburg geboren, recherchierte als Journalistin im Sommer 2018 in der Lausitz zum Thema Braunkohle – und verliebte sich dabei in die einzigartige Natur der Brandenburger Region.

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