Susanne Sporrer: Frau Melcher, Frau Schaefer, was unterscheidet den Wahlkampf in Sachsen von dem in Bremen?
Christin Melcher (CM): Es ist etwas ganz anderes, Wahlkampf aus der Opposition heraus zu machen – vor allem, wenn eine Regierung aus AfD und CDU droht. Und: Die Fläche - in Sachsen sitze ich von einem Wahlkampftermin zum anderen vier Stunden im Zug. Auch bei den Mitgliedern gibt es enorme Unterschiede. Auf dem Land gibt es Grüne, die seit 25 Jahren Wahlkampf machen, die sind ausgelaugt und fragen, ob sie nicht die Plakate von 2014 nochmal aufhängen können. In den Großstädten hingegen erwarten die 25-Jährigen digitale Wahlkampftools.
Maike Schaefer (MS): Wir in Bremen sind sowohl ein Kommunalparlament als auch ein Landtag. Deshalb geht es den Leuten im Wahlkampf auch um ganz Konkretes – ob nun die Bäume auf dem Deich gefällt werden oder die Schule in der Nachbarschaft zur Ganztagsschule wird. Unser Wahlkampf ist auch anders, weil die Wege so kurz sind und man täglich an verschiedensten Orten sein kann. Man ist nah bei den Leuten, in Bremen kennt jeder jeden, ganz anders als in einem Flächenland.
Was sind die wichtigsten Themen vor der Wahl?
CM: Noch ist unser Wahlprogramm nicht fertig, aber die drei großen Säulen stehen schon: Umweltpolitik/Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit, Demokratie/Freiheitsrechte. Dass das Themen in Sachsen sind, ist bekannt. Wir wollen im Wahlkampf anknüpfen an die Bewegung von 1989, die ja auch gesagt hat «wir holen uns unseren Staat zurück» und aufgestanden ist, um auf Umweltprobleme aufmerksam zu machen.
MS: Bei uns steht das Thema Bildung ganz weit oben. Wir wollen noch mehr Ganztagsschulen, vor allem aber bessere Qualität und pädagogische Konzepte. Ein weiteres Thema ist die Bekämpfung der Armut; in Bremerhaven ist der Anteil von Kindern, die in Armut aufwachsen, so hoch wie kaum irgendwo anders in Deutschland. Der dritte Themenkomplex ist der Klima- und Umweltschutz, da gehts uns ganz konkret um den Kohleausstieg bis 2025.
CM: Der Kohleausstieg ist bei uns auch ein riesiges Thema, allerdings mit einem anderen Ansatz. Natürlich haben wir auch den Klimaschutz im Fokus, aber in der Ansprache der Wählerinnen und Wähler in der Lausitz oder im Leipziger Südraum geht es darum, den Strukturwandel einzuläuten und Arbeitsplätze zu sichern.
MS: Bei uns hat die Industrie erkannt, dass Investitionen in den Klimaschutz Arbeitsplätze erhalten und einen Standortvorteil bedeuten. Die Stahlwerke gehören wegen ihrer Klimaschutzmaßnahmen zu den modernsten in Europa und müssen deswegen nicht schließen.
CM: Da muss ich im Osten noch dickere Bretter bohren, dass Klimaschutz auch als Chance begriffen wird.
Sehen Sie eher Verbindendes oder Trennendes?
CM: Bei uns in Sachsen müssen wir differenzieren zwischen Großstädten und ländlichem Raum. Leipzig hat ähnliche Probleme wie Bremen oder Berlin: Mieten, Lehrermangel und miserable Betreuungsquoten in den Kitas. Auf dem Land gehts aber erst mal nicht um Ganztagsschulen oder die Qualität, sondern darum, dass die Schulen erhalten bleiben.
MS: Wenn ich uns beide reden höre, dann, glaube ich, ist der Unterschied zwischen einem Stadtstaat und einem Flächenland der gravierende. Wobei wir auch einen deutlichen Unterschied haben zwischen Bremen, der sechstgrößten Industriestadt, und dem strukturschwachen Bremerhaven.
Und der zwischen Ost- und Westdeutschland?
MS: Das Thema Rechtsextremismus hat im Osten einen ganz anderen Stellenwert. Mit nur einem AfD-Abgeordneten im Landtag ist das bei uns bisher Zucker gewesen.
CM: Die AfD wurde bei uns bei der Bundestagswahl mit 27 Prozent stärkste Kraft. 29 Jahre nach dem Mauerfall haben viele Leute das Gefühl, dass es in der Politik nur um den Machterhalt geht und nicht um die Menschen. Auf dem Land erleben sie gleichzeitig, dass die Bahn nicht mehr fährt, die Kinder wegziehen und das nächste Amt nicht mehr fünf, sondern 50 Kilometer entfernt liegt.
Was wollen Sie dagegen tun?
CM: Wir müssen die ländlichen Regionen stärken. Beispiel Zittau/Görlitz: Wenn wir die Hochschule dort aufwerten zur Universität, haben wir eine ganz andere regionale Wirtschaftskraft, das wirkt sich auf die ganze Region positiv aus. Und wir wollen ein positives Bild von Integration vermitteln. Ich habe gerade auf dem Land viele positive Beispiele erlebt: vom Fußballverein, der wieder spielen kann, weil Flüchtlinge mitmachen. Oder vom Lokal, das wieder einen Koch gefunden hat – diesmal eben einen Syrer statt jemandem aus dem Erzgebirge. Diese Geschichten wollen wir erzählen.
Susanne Sporrer, geboren 1973 in Mühldorf am Inn, arbeitet als freie Journalistin in Berlin.