«Man kann an Genen manipulieren, bei Emotionen geht das nicht»

Axel Brockmann leitet das Landgestüt Celle – und sagt, dass er keine Lust hat, seine Fohlen nach einem Plan zu optimieren. Dass ein Pferd sich über seine Umwelt formt. Und dass dabei Gefühle eine große Rolle spielen.

Böll.Thema - Illustration - Pferdekopf

Es gibt dieses bekannte Beispiel einer weltberühmten Stute: Aufgewachsen in Brandenburg in einer riesengroßen Stutenherde, hat sie ihre Jugendjahre unter Artgenossen verbracht. Wurde eingeritten, ist Bundeschampion geworden, war höchstbezahltes Pferd bei einer Auktion. Sie war ein Pferd, über das man sprach. Von ihr gibt es einen Klon; diesen Klon habe ich gesehen. Das arme Fohlen war viermal bandagiert, damit es sich bloß nicht verletzt – Klonen ist sehr teuer. Außerdem wurde es einzeln gehalten, ohne direkten Kontakt zu Artgenossen.

Das Sozialverhalten entwickelt sich hier schon ganz anders. Es entstand ein Hype um das Fohlen, es wurde also von Anfang an komplett anders behandelt als die weltberühmte Stute selbst. Natürlich wird die Technik sich weiterentwickeln, das Klonen wird bald auch weniger kostspielig sein. Aber ich glaube, dass das Klonen für uns in der Pferdezucht auch in Zukunft keine Rolle spielen wird. Die Genetik des Pferdes ist ja das eine, aber ein Pferd formt sich über seine Umwelt.

Bei einem Hausschwein habe ich im Vergleich die Möglichkeit, das Gewicht, die Fettdicke und die Marmorierung des Fleisches objektiv zu messen. Beim Pferd hingegen ist alles, bis auf die Rennleistung bei den Galoppern, subjektiv. Das Verhalten, der Charakter, das Temperament – wir sprechen vom Interieur –, die Leistung und die Rittigkeit. Wenn ich Schweinehalter bin, dann habe ich in der Regel viele Schweine. Bin ich Rinderhalter, dann habe ich viele Rinder. Wenn ich aber Pferdezüchter bin, habe ich im Schnitt knappe zwei Stuten pro Züchter. Diese emotionale Bindung zu dem Pferd ist doch eine ganz andere als bei einem Schwein, an das ich sachlich und technisch herangehe. Aber ein Pferd, das ist mein Lebensgefährte, wie ein Hund.

Auch wenn im Bereich der Gentechnik irgendwann mal mehr möglich sein sollte: Ich will mich nicht an den Computer setzen und anhand von technischen Fragen ein Fohlen kreieren. Ich will das Bauchgefühl, da muss der Funke überspringen. Der Hengst, in den ich mich verliebe, der soll es für meine Stute sein.

Ziel einer Zucht ist es, etwas zu verbessern – durch Überlegung und Selektion. Davor analysiere ich, was bei meiner Stute optimal ist und was nicht. Ich muss mir überlegen, welche Hengste die Mängel meiner Stute ausgleichen können. Die Vererbung des Hengstes ist immer eine Aussage über die ganze Population und bedeutet nicht, dass das bei meiner Anpaarung auch so wird. Aber die Chance ist natürlich groß, dass ein Merkmal, das der Hengst gut vererbt, bei meinem Fohlen auch eine Verbesserung hervorruft. Dafür gibt es aber keine hundertprozentige Sicherheit. Das ist das genaue Gegenteil von Gentechnik: Wir paaren einfach zwei Tiere an – und dann geht es schlicht um Vererbung. Vielleicht galoppiert es nicht so, wie ich es mir erhofft habe, aber deswegen kann es dennoch ein gutes Pferd sein. Jedes Tier ist ein Individuum.

Natürlich nutzen wir den Fortschritt und auch die Gentechnik. Mit einem Gentest kann ich vorher prüfen, ob Erbkrankheiten wie WFFS übertragen werden könnten. Die Tiere müssten eingeschläfert werden, weil sich die Haut von den Gelenken ablöst. Wenn ich zwei Träger miteinander anpaare, habe ich eine 25-Prozent-Chance, dass ich ein krankes Fohlen bekomme. Und das will ich natürlich nicht. Es ist gut, dass man diese Erbkrankheit gefunden hat und die Tiere darauf testen kann, bevor ein krankes Fohlen zur Welt kommt.

Wir in Celle verbinden traditionelle Pferdezucht mit der Moderne und haben Biotechnologien wie künstliche Besamung oder Embryotransfer etabliert. Der Embryotransfer ist keine Gentechnik, sondern reine Biotechnik. Dabei wird eine Stute besamt, dann wird der Embryo aus der Stute gespült und in einer anderen Stute, dem Trägertier, eingepflanzt. Dazu braucht man keine Operation, keine Betäubung. Die Maßnahme macht sehr viel Sinn, wenn ein besonders gutes Sportpferd einen Nachkommen zeugen soll, aber gerade im Training steht – vielleicht sogar zur Olympiade gehen will. Aber das macht in Deutschland auch nur ein geringer Teil der Züchter. Im letzten Jahr kamen in Deutschland unter zwei Prozent der Fohlen aus dem Embryotransfer. Das heißt: Noch nicht mal diese neue Technik wird angenommen. Die Züchter wollen hauptsächlich von ihrer Stute ein Fohlen. Und ich glaube, das bleibt auch so.

Ziel sollte es nicht sein, ein leistungsstarkes Pferd zu klonen und dann auf große Erfolge zu hoffen. Um eine Championats-Klasse zu bekommen, muss einfach die emotionale Beziehung Pferd – Reiter stimmen. Bestes Beispiel im Spitzensport ist hier sicherlich die Weltmeisterin Simone Blum mit DSP Alice: Dies Paar ist einfach ein perfektes Team, Reiterin und Pferd sind Partner. Man kann vielleicht an den Genen herummanipulieren, bei Emotionen aber geht das nicht. Der Reiter oder die Reiterin muss sich ins Pferd verlieben und umgekehrt.


Axel Brockmann studierte Landwirtschaft in Göttingen, absolvierte diverse Auslandspraktika im Bereich Rinder und Pferd. Seit elf Jahren ist er Leiter des Niedersäch-sischen Landgestüts Celle.


Sophie Herwig lebt und arbeitet als freie Journalistin in Zittau.

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