Was ist Wunschdenken, was Wirklichkeit?

Gensequenzen ausschneiden, woanders einfügen, verändern – CRISPR/Cas ist auch in der Humanmedizin schon längst kein Fremdwort mehr. Was bedeutet das für den Menschen, und welche Fragen sind für uns alle damit verbunden?

Böll.Thema - Illustration

Kürzlich erlangte ein bis dahin eher unbekannter chinesischer Wissenschaftler internationale Bekanntheit. Er habe Zwillinge so genetisch manipuliert, dass sie gegen HIV resistent seien. Zunächst glaubte die internationale wissenschaftliche Community an einen PR-Coup. Inzwischen mehren sich die Hinweise, dass die Behauptungen des Wissenschaftlers stimmen. Was bisher als ferne Zukunftsmusik galt, ist möglicherweise schon Realität. Mittels technischer Eingriffe in die Keimbahn können werdende Menschen durch Manipulationen im ganz frühen Stadium der Entwicklung genetisch verändert werden. Gensequenzen können ausgeschnitten, eingefügt, modifiziert werden. Das birgt eine Reihe ethischer, wissenschaftlicher, medizinischer und gesellschaftlicher Fragen. China hat dem Forscher inzwischen sämtliche weitere Forschungsarbeit untersagt.

Die Begriffe Gentechnik, Genome Editing, CRISPR/Cas kennen viele aus agrarpolitischen Diskussionen. Weniger bekannt ist, dass diese Technik bereits Eingang in die Humanmedizin gefunden hat. Was steckt hinter den Begriffen? Was bedeuten sie für den Menschen, und welche Fragen sind damit verbunden?

Genome Editing

Genome Editing bedeutet, das Erbgut eines Organismus zielgerichtet zu verändern. In engen Grenzen wird die Gentherapie in der Medizin bereits angewendet. In den USA werden Menschen mit einer erblich bedingten Augenerkrankung mit Genome Editing behandelt – und es zeigen sich Erfolge. Auch in Deutschland ist seit Ende 2018 die Behandlung von Blutkrebs mit Genscheren (CRISPR/Cas) zugelassen. Dabei werden Immunzellen genetisch so verändert, dass sie gezielt die kranken Blutzellen fressen.

Das Risiko dieser Therapien gilt als überschaubar, auch weil die Veränderung der Gene nicht weitervererbt werden kann. Sinnvoll ist es, diese Entwicklung weiter kritisch zu beobachten, so wie andere Therapiemethoden auch. Es bleibt abzuwarten, welche konkreten Verbesserungen die Anwendung von Genome Editing für die Patient/innen künftig bringt und welche unerwünschten Nebenwirkungen eventuell noch auftreten.

Eingriffe in die Keimbahn

Deutlich davon abzugrenzen sind Versuche, die bereits vor oder während der Entwicklung eines Menschen einsetzen, das heißt im Embryonalstadium oder bereits an den Keimzellen vor der Zeugung. Genetische Veränderungen am Spermium oder der (befruchteten oder unbefruchteten) Eizelle werfen eine ganze Reihe von wissenschaftlichen und ethischen Fragen auf.

Das Versprechen sogenannter Keimbahneingriffe ist, erblich bedingte Erkrankungen zu verhindern. Der so geborene Mensch verfüge dann nur über das korrigierte Gen und könne daher weder selbst erkranken noch die Erkrankung weitervererben.

Zuweilen wird diese Technik als etwas nicht mehr zu Verhinderndes wahrgenommen. Bisher wird sie aber von seriösen Wissenschaftler/innen nicht angewendet. Die ethische internationale Diskussion darüber ist noch längst nicht abgeschlossen.

Embryonalentwicklung und genetische Faktoren

Ein zentrales Problem ist: Wir wissen bislang immer noch zu wenig über die Embryonalentwicklung und das Zusammenspiel der einzelnen genetischen Komponenten, als dass wir die Auswirkungen von Keimbahneingriffen umfassend einschätzen, geschweige denn beherrschen könnten. Die Entwicklung des Menschen im frühen Stadium ist hochgradig komplex. Zu komplex, als dass Forscherinnen und Forscher dies derzeit – und ich wage die Prognose – jemals sicher kontrollieren könnten.

Mythen und Heilsversprechen

Generell kämen die Keimbahneingriffe nur für monogenetisch determinierte Erkrankungen in Frage. Zu lesen ist bisweilen, dass beispielsweise Demenzen durch Keimbahneingriffe verhindert werden könnten. Das halte ich für ausgeschlossen. Demenzen sind, wie die meisten Erkrankungen, multifaktoriell verursacht. Es gibt kein Demenzgen, wenn überhaupt, liegen genetische Determinanten auf verschiedenen Genen. Sicher ist inzwischen, dass Umweltfaktoren, Ernährung und Lebensstil einen erheblichen Einfluss auf die Erkrankung und deren Verlauf haben.

Unüberschaubare Nebenwirkungen

Die Nebenwirkungen von Keimbahneingriffen sind erheblich. Keimbahneingriffe haben hohe Fehlerquoten. Es entstehen Embryonen, die unbeabsichtigte Veränderungen auch in nicht betroffenen Teilen ihres Erbguts aufweisen. Diese sogenannten Off-Target-Effekte lassen sich nicht sicher ausschließen.

Wir wissen nicht, wie sich diese unbeabsichtigten Veränderungen im späteren Leben der Menschen gesundheitlich auswirken. Klar ist allerdings, dass auch die ungewollten Veränderungen zu dem Erbgut dieser Menschen gehören und somit an ihre Nachkommen vererbt würden. Die Risiken und Nebenwirkungen von Keimbahneingriffen sind derzeit also nicht überschaubar. Dazu kommt: Eine Einwilligung der direkt betroffenen Personen kann es im Vorfeld niemals geben.

Rechtslage in Deutschland

In Deutschland sind Keimbahneingriffe nach § 5 Embryonenschutzgesetz verboten.
Der Deutsche Ethikrat hat in einer Ad-hoc-Stellungnahme eine parlamentarische und internationale gesellschaftliche Debatte über Nutzen und Folgen dieser Technik angemahnt, nachdem die Bioethik-Kommission der UNESCO bereits 2015 für ein Moratorium plädiert hat.

Generell wünsche ich mir wissenschaftlichen Fortschritt im Sinne der Patientinnen und Patienten. Während meiner langjährigen ärztlichen Tätigkeit habe ich aber auch gelernt, dass die Diskrepanz zwischen Heilsversprechen und tatsächlichem Fortschritt häufig groß ist. So hat die embryonale Stammzellforschung bisher keine substanziellen Verbesserungen bei der Heilung und Linderung von Krankheiten erbracht. Wir sollten mitdenken, dass sowohl in Teilen der Wissenschaft als auch der (Pharma-)Industrie wirtschaftliche Interessen und der Wunsch Einzelner nach Macht und Renommee relevante Taktgeber sind.

Zwischen Heilung und Optimierung

Wenn wir genetische Manipulation an der Keimbahn zulassen, ist die Grenze zwischen heilendem und optimierendem Eingriff nicht scharf zu ziehen. Ich versuche mir als Psychotherapeutin vorzustellen, was es mit einem Kind macht, was es für die Eltern-Kind-Beziehung bedeutet, wenn ein Kind genetisch verändert wurde. Welche Auswirkungen hat es für uns Menschen, wenn wir nicht mehr für unser So-Sein, in unserer Individualität anerkannt und geliebt sind, mit unseren Stärken und Schwächen, sondern weil wir «optimiert» wurden?

Ich halte die weitere Forschung im Bereich der Gentherapien an geborenen Menschen und deren Weiterentwicklung für sinnvoll. Bei Keimbahneingriffen aber ist für mich eine ethische Grenze erreicht, weil hier ein fundamentaler Eingriff in unser Menschsein vorgenommen wird. Auch wenn diese Methode derzeit noch keine seriöse Anwendung findet, werden die Weichen heute gestellt. Ich habe großes Interesse daran, die Diskussion weiterzuführen, denn wir gestalten unsere Zukunft, politisch und menschlich.

 

Grundsätzliche Fragen zur Gentechnik:
  1. Wie gehen wir als Gesellschaft mit den Risiken um? Welche Risiken sind wir bereit in Kauf zu nehmen?
  2. Wie prägen solche Techniken unseren Blick auf Behinderungen als etwas zu Vermeidendes? Welchem Druck werden Eltern ausgesetzt, diese Technik auch zu nutzen, um die Geburt eines Kindes mit einer Erbkrankheit zu vermeiden? Was würde das generell für unsere vielfältige Gesellschaft bedeuten?
  3. Die von den Folgen des Genome Editings betroffenen Kinder und ihre Nachkommen haben nicht in den Eingriff eingewilligt. Dürfen wir solche elementaren Eingriffe auch in einem Stadium zulassen, in dem die Betroffenen nicht darüber entscheiden können? Welchen Einfluss hat das Wissen, genetisch «optimiert» worden zu sein, auf ihre spätere Identität?
  4. Forschung in diesem Bereich ist für sich schon ethisch und rechtlich schwierig, weil dafür «verbrauchende» Embryonenforschung notwendig wäre. Das heißt Embryonen würden zugunsten der Interessen Dritter verzweckt. Wollen wir das künftig akzeptieren?


Dr. Kirsten Kappert-Gonther, MdB, ist Sprecherin für Gesundheitsförderung der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie.

This article is licensed under Creative Commons License