Reframing Mobility: Postfossile Mobilität

Die Kinder und Jugendlichen der «Fridays for Future»-Demonstrationen machen derzeit unmissverständlich deutlich, wie unverantwortlich unser «weiter so» in der Klimakrise und beim fossilen Verkehr ist. Bis 2030 sollen vier operative Ziele erreicht werden.

 

Ein Drittel weniger Autoverkehr bis 2030

Die Kinder und Jugendlichen der «Fridays for Future»-Demonstrationen machen derzeit unmissverständlich deutlich, wie unverantwortlich unser «weiter so» in der Klimakrise und beim fossilen Verkehr ist. Alle Versuche, die jungen Aktivist/innen zu diskreditieren, scheitern. Weil sich mit Scientists4Future auch die Profis, die sich nun wirklich mit der Klimaerwärmung auskennen, auf die Seite der jugendlichen Aktivist/innen schlagen. Was wir heute nicht an Treibhausgasen vermeiden, müssen wir morgen umso mehr einsparen. Das grüne Verkehrsministerium in Baden-Württemberg hat in seiner Studie «Klimaschutzszenario 2030» deutlich gemacht, was die Klimaschutzziele praktisch bedeuten. Die Expert/innen haben vier Handlungsfelder identifiziert, bei denen das Land und die Kommunen auch handlungsfähig sind. Folgende operative Ziele sollen bis 2030 erreicht werden:

  • Verdoppelung des öffentlichen Verkehrs (ÖVT).
  • Ein Drittel weniger Kfz-Verkehr in Städten.
  • Jedes dritte Auto wird klimaneutral angetrieben.
  • Die Hälfte aller Wege wird zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt.

Minister Winfried Hermann hält angesichts dieses Zielport-folios wenig von Streit über Sinn oder Unsinn von Einzelmaßnahmen. Um die genannten Ziele zu erreichen, brauche man dringend und schnell einen Plan für eine Verkehrswende, die den Namen auch verdiene. Man werde, um die notwendigen Ziele zu erreichen, alles, was technisch möglich und sozial vertretbar sei, tun.

Dazu passt das Thesenpapier, das Anton Hofreiter, der Fraktionsvorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Anfang April vorlegte. Die Grünen fordern darin, dass ab 2030 keine Kraftfahrzeuge mehr mit Verbrennungsmotor zugelassen werden sollen. Ähnliche Regelungen sind bereits in mehreren Ländern in Kraft. So sollen in Norwegen ab 2025 keine Neuwagen, die mit fossilen Kraftstoffen betrieben werden, mehr auf den Markt kommen. Dänemark möchte den Verbrennerausstieg bis 2030 vollziehen, Frankreich bis 2040. Und auch der Bundesrat hatte sich für das Jahr 2030 als Enddatum für die Neuzulassung von Verbrennern ausgesprochen.

Wohlgemerkt: Fossil angetriebene Autos, die 2030 bereits zugelassen sind, dürfen auch weiter gefahren werden. Das Datum, ab dem keine weiteren Verbrenner mehr zugelassen werden, muss allerdings in einem vernünftigen Abstand zum Jahr 2050 liegen, in dem man bei Null-Emissionen auch im Verkehr angekommen sein will.

Im Grunde liegt die Agenda für eine Verkehrswende auf der Hand. Der Fuhrpark von 43 Millionen Pkw muss deutlich reduziert werden, die Antriebsenergie für die verbleibenden Kraftfahrzeuge muss möglichst schnell klimaneutral erzeugt werden. Um mit weniger Autos die gleiche Mobilität aufrechtzuerhalten, muss das Angebot an Alternativen ausgeweitet, verbessert und miteinander nutzerfreundlich vernetzt werden. Das heißt konkret, wir brauchen mehr und besseren ÖV, mehr Fuß- und Radverkehr, andere Nutzungsgewohnheiten für das Auto, möglichst als Sharing-Fahrzeug eingebunden in die multimodale Mobilitätskette, und eben genau die moderne und digital gestützte Vernetzung dieser integrierten multimodalen Mobilität mit einfachem Zugang für alle Bürgerinnen und Bürger.

Das Auto von morgen

Wie kann das Auto dekarbonisiert werden? Die Expert/innen sind sich einig: Die Zukunft ist elektrisch, genauer gesagt, vor allem batterieelektrisch. Die Priorität der direkten Verwendung des Stroms an Bord des Autos ergibt sich daraus, dass dieser Weg den bei weitem höchsten Wirkungsgrad aufweist: 69 Prozent. Bei der Umwandlung von elektrischer Energie in Wasserstoff ist das anders: Dieser muss komprimiert transportiert werden, um an Bord dann mit Hilfe 
einer Brennstoffzelle wieder in Strom umgewandelt zu werden, der den Elektromotor antreibt. Der Wirkungsgrad liegt hier nur bei 26 Prozent. Und die immer wieder heiß diskutierte Methode «Power-to-Liquid» erfordert eine mehrstufige Umwandlung von durch erneuerbare Energien gewonnenem Strom in Flüssigkraftstoff, der dann in einem Verbrennungsmotor verbrannt werden kann. Der Wirkungsgrad liegt hier bei nur 13 Prozent.

Patrick Graichen, der Direktor der Agora Energiewende, rät daher auch zu einem sehr gezielten Einsatz synthetischer Kraftstoffe, nämlich dort, wo bessere Lösungen nicht möglich sind. Die «Synfuels» sollten «wie ein Joker beim Kartenspiel» eingesetzt werden, sagt er: «Dort, wo sie wirklich Vorteile bringen und nicht durch bereits vorhandene Trümpfe ersetzbar sind. Vor allem im transkontinentalen Flug- und Schiffsverkehr, bei chemischen Grundstoffen und für Hochtemperaturwärme.»

Wie viel zusätzlicher Strom wäre notwendig, um den Verkehr damit klimaneutral zu versorgen? Das Forschungs- und Beratungsunternehmen Arepo Consult hat im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung drei Szenarien verglichen, die jeweils zwischen 35 und 75 Prozent mehr Strombedarf errechnen. In jedem Szenario wird daher großer Wert auf eine effizientere Verkehrsgestaltung gelegt, damit die zusätzlich benötigten Strommengen begrenzt werden können. Die Forscher kommen zu folgenden Forderungen: mehr gebündelte Transporte per Bus, Bahn und auch Fahrgemeinschaften, die allen Bürgerinnen und Bürgern einfach zugänglich sind, kleinere und leichtere Fahrzeuge und effizientere Antriebe und insgesamt weniger motorisierter Individualverkehr.

Mehr ÖPNV, digital und analog

Um die Notwendigkeit von individuellen Autofahrten zu reduzieren, ist der Ausbau des öffentlichen Verkehrs ein probates Mittel. Dieser sollte allerdings nicht wie bis heute in den allermeisten Städten isoliert betrachtet werden. Vielmehr muss er vernetzt in ein Gesamtsystem eingebettet werden, das Mobilität so gestaltet, dass der individuell besessene Pkw in der Stadt weniger nötig ist. Die Benchmarks für einen optimierten analogen ÖPNV liefern Städte wie Wien, Zürich oder Berlin. Für die neue digitale Vernetzung der multimodalen Mobilität nach der Idee einer «Mobility as a Service» ist derzeit die finnische Hauptstadt Helsinki das Maß der Dinge.

Das Zürcher Modell

Die Menschen in Zürich legen 41 Prozent ihrer Wege mit Bus und Bahn zurück, die in Wien 39 Prozent. Wien hat gleich zwei internationale Rankings als lebenswerteste Stadt der Welt gewonnen und Zürich liegt auf Platz zwei. Da liegt der Verdacht nahe, dass Verkehrspolitik etwas mit Lebensqualität zu tun hat. Beide Städte haben einfach mehr Platz für Fußgänger/innen und Radfahrer/innen, und sie gehen wertschätzend mit diesem Platz um. In Wien wurde 2012 das 365-Euro-Ticket für den ÖPNV im Umkreis von 100km um Wien beschlossen. Die Zahl der Abonnenten verdoppelte sich auf fast 800.000, sie liegt damit höher als die Zahl der Autofahrer/innen. In Zürich liegt die Autobesitzquote bei 0,35 pro Kopf, in Deutschland zum Vergleich in vielen Städten über 0,5. Das hat mit einer Doppelstrategie zu tun, die Autos begrenzt und den ÖPNV fördert. Busse und Bahnen sind pünktlich und sauber und fahren in einem dichten Takt auch ins Umland. Eine Haltestelle ist in Zürich nie weiter als 300 m entfernt. Durch Induktionsschleifen erhält die Tram in Zürich an Kreuzungen immer Vorfahrt vor dem Autoverkehr. Die Zürcher/innen bewerten ihren ÖPNV mit 5,4 von 6 Sternen. Im sogenannten «Historischen Kompromiss» hat der Gemeinderat die Zahl der Parkplätze in der Innenstadt auf dem Niveau von 1990 eingefroren. Durch den Bau von Garagen gibt es mittlerweile ganze Straßenzüge, aus denen parkende Autos komplett verschwunden sind.

Der neue Frame: Mobility as a Service

Wien und die Seestadt Aspern gestalten gerade mit Hilfe von Gehl Architects, Kopenhagen einen Stadtteil als «urbanes Mobilitätslabor». Hier werden die Weichen für die ÖPNV-Anbindung frühzeitig gestellt. Die intelligente Vernetzung mit anderen Verkehrsmitteln im Sinne von «Mobility as a Service» wird hier großräumig erprobt, um sie dann in einen Stadtentwicklungsplan «STEP2025» zu integrieren, der eine «Smart City» im Sinne radikaler Ressourcenschonung im Blick hat.

Die finnische Hauptstadt Helsinki ist dieser Smart City schon ein ganzes Stück näher gerückt. Dort bietet der Dienstleister «MaaS Global» mit seiner App «Whim» die ganze Mobilität der Stadt in unterschiedlichen Flatrates an. Der Preis der Flatrate variiert zwischen 49 und 499 Euro im Monat, sie wurde innerhalb eines Jahres bereits 60.000 Mal gebucht. Wichtig für dieses komfortable Angebot ist der «Act on Transport Services» des finnischen Ministeriums für Transport und Kommunikation. Das Gesetz ist seit 1. Januar 2018 in Kraft und verpflichtet alle Transportunternehmen ihre Daten für Dienstleister offenzulegen. Nur so kann die App auf Standorte und Echtzeitinformationen der Unternehmen zugreifen und dieses attraktive Angebot machen, das größtmögliche Einfachheit für den Kunden garantiert. Die Angst vieler ÖPNV-Unternehmen in Deutschland, ein derart gutes multimodales Angebot könnte ihnen Kunden zugunsten von Mietwagen wegnehmen, ist nach den finnischen Erfahrungen unbegründet. Die Whim-Nutzer haben ihren ÖPNV-Anteil von 48 Prozent auf 72 erhöht.

 

Cycling is the city changer

Die schnellste Veränderung im Lebensgefühl und im Modal Split (Verteilung des Transportaufkommens auf verschiedene Verkehrsmittel) einer Stadt bringt die Fahrradförderung. Die Wiener Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou brachte es 2013 bei der Velocity auf die einfache Formel: Cycling is the city changer.

Fahrrad-Champion Karlsruhe

2019 wurde Karlsruhe zum ersten Mal im Fahrradmonitor des ADFC auf Platz 1 der Großstädte gewählt, noch vor Münster und Freiburg. Diese Erfolgsgeschichte begann 2005 mit einem 20-Punkte-Programm, das parteiübergreifend einstimmig im Rat beschlossen wurde. Seitdem verfolgt die Stadt eine konsequente Fahrradpolitik und redet darüber. In Karlsruhe fehlen die spektakulären Einzelprojekte, die überregional für Bilder sorgen. Was aber konsequent von der Fahrradabteilung im Stadtplanungsamt verfolgt wird, ist der Netzgedanke. Auf Hauptrouten gelangen die Badener vom Stadtrand ins Zentrum und wieder zurück. Es gibt ein gutes Parkhaus am Hauptbahnhof und immer mehr Abstellmöglichkeiten für das Zweirad in der ganzen Stadt. Autostraßen wurden in Fahrradstraßen umgewandelt und jede Neuerung wurde den Bewohner/innen positiv vermeldet.

2005 startete Karlsruhe bei 16 Prozent Radanteil und setzte sich das Ziel, 25 Prozent bis 2015 zu erreichen. Die waren schon 2012 erreicht, also wurde das Ziel jetzt auf 30 Prozent für 2020 neu  formuliert.

Die Welthauptstadt des Fahrrades bleibt allerdings Kopenhagen, dicht gefolgt von praktisch allen niederländischen Städten. Hier werden Anteile von 35 und mehr Prozent erreicht. Kopenhagen strebt 50 Prozent aller Pendlerwege an. All diesen Metropolen ist gemein, dass sie seit drei bis fünf Jahrzehnten das Fahrrad konsequent bei allen Entscheidungen mitdenken. In beiden Vorreiterländern existiert eine komplett vom Autoverkehr separierte Infrastruktur, die großzügig und komfortabel gebaut wird. Der Unterschied zeigt sich auch in den durchschnittlichen Investitionen pro Kopf in den Radverkehr. Kopenhagen liegt bei 35 Euro pro Kopf und Jahr, deutsche Städte meist bei 2-5 Euro.

Dieser Zukunftsentwurf folgt bewusst keiner hochtechnisierten Science-Fiction. Robocopter, Megazüge, die vier Meter hoch auf Schienen über Highways geführt werden, Hochgeschwindigkeitstransport mit Hyperloop-Rohrpost: All das ist zweifellos technisch machbar, aber bietet bisher nur Insellösungen für die Reichen und Superreichen. Robocopter gehören wahrscheinlich bald zum Stadtbild von Dubai, aber eher nicht von Bielefeld. Wir haben uns hier allerdings auf die pragmatisch notwendigen Lösungen für eine Mobilität für alle konzentriert. Die konkrete Utopie liegt in der Kombination aus Wien, Helsinki und Kopenhagen. Wenn wir mit ihrer Verwirklichung morgen anfangen, liegt darin ein faszinierendes Projekt einer Zukunftsmobilität, die den Menschen ihre Städte und Gemeinden zurückgibt.

 

Autostop in Singapur

Singapur war schon immer etwas Besonderes. Der Stadtstaat mit mehr als 5 Millionen Einwohnern ist mit seiner autoritär paternalistischen Staatsform wirtschaftlich erfolgreich, aber seine Staatschefs haben sich von Anfang an nicht gescheut, die Bürgerinnen und Bürger zu lenken. So wurde in Singapur in den 80er Jahren das Spucken auf die Straße unter Strafe gestellt. In der Mobilität greift die Regierung nun auch massiv ein. Jeder zehnte Singapurer besitzt nur ein Auto, und dennoch hat die Regierung konstatiert, dass es nicht mehr werden dürfen. Eine neue Zulassung erhält seit 1. Februar 2018 nur der, der gleichzeitig die Verschrottung eines an-deren Fahrzeuges nachweisen kann. So wird die Pkw-Zahl stabil gehalten und die Staugefahr verringert. Die Luxussteuer auf eine Autozulassung von 30 – 60.000 Euro hat schon bisher den Autobesitz reglementiert. Und eine City-Maut regelt  die Zufahrt. Gleichzeitig lässt Singapur aber seine Bürgerinnen und Bürger nicht im tropischen Regen stehen. 13 Milliarden Euro investiert die Stadt in den nächsten Jahren in den ÖPNV. 80 Prozent aller Einwohner sollen dann maximal 10 min Fußweg von einer Haltestelle entfernt leben. Außerdem strebt die Regierung an, die grünste Stadt der Welt zu werden. Aber auch die Haltestellen werden zu idyllischen Warteräumen umgebaut. Bei einigen Prototypen wachsen Bäume auf den Dächern, in einer Bibliothek kann man Bücher ausleihen, die man auf einer Schaukel lesen kann, man kann das Handy aufladen und für die Kinder gibt es einen Spielplatz. Da will man gar nicht mehr weg aus dem Wartehäuschen.

 

Lkw am Draht

Auf bestimmten Autobahnstrecken reiht sich auf der rechten Spur Lkw an Lkw. Permanenter Gütertransport ist notwendig, um unsere Just-in-time-Produktionsweise, unseren Konsumhunger und unseren «heute online bestellt, morgen geliefert»-Lebensstil zu befriedigen. 72 Prozent der Gütermenge wurden im Jahr 2017 mit dem Lkw transportiert, 17 Prozent mit der Bahn, acht Prozent mit dem Binnenschiff, durch die Luft waren es drei Prozent. Mit insgesamt 70 Millionen Euro fördert das Bundesumweltministerium Pilotprojekte zu sogenannten Oberleitungs-Lkw unter dem Namen ELISA (Elektrifizierter innovativer Schwerverkehr auf Autobahnen). Mit rein elektrischen Zugmaschinen oder Hybrid-Lkw, die zusätzlich zur Batterie über einen Diesel-, Gas- oder Brennstoffzellenantrieb ver-fügen, soll so ein nennenswerter Beitrag zum Klimaschutzziel im Verkehr geleistet werden.

Beim derzeitigen Strommix kommt das Öko-Institut zu einem CO2-Einsparvolumen von 25 Prozent im Vergleich zum Diesel. In Feldversuchen in Schleswig-Holstein, Hessen und Baden-Württemberg wird die Praxistauglichkeit seit letztem Herbst untersucht. Das Ganze lässt sich relativ unkompliziert umsetzen. Die Lkw erkennen über Sensoren, wann sich eine Oberleitung über ihnen befindet. Der Stromabnehmer fährt automatisch aus und der Lkw fährt dann elektrisch. Und wenn er die Autobahn wieder verlässt, koppelt er einfach wieder ab und fährt die letzte Meile entweder mit geladener Batterie oder fossilem Treibstoff.

Im besten Fall für das Klima und die Stadtluft lädt der Lkw den Container dann an einem innenstadtnahen Platz, einem sogenannten Hub, ab. Von diesem holen wahlweise Elektro-Lieferwagen, wie sie Streetscooter für die Deutsche Post entwickelt hat, oder Cargo-Bikes, wie sie UPS in Hamburg, London und anderen Städten im Einsatz hat, die Güter und Pakete ab und übernehmen die Feinverteilung am Ort.


Michael Adler ist Gründer und Geschäftsführer der Kommunikationsagentur tippingpoints. Die Daten wurden ausgewählt in Zusammenarbeit mit Böll.Thema.Dossier.

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