Der Fluch der Größe_ Illustration Schattenspiel

Der Fluch der Größe

Die Kosten sind astronomisch, der Nutzen fragwürdig. Dennoch erfreuen sich Megaprojekte mehr denn je großer Beliebtheit. Was steckt dahinter? Und vor allem: Geht es auch anders?

Eröffnungstermin: verschoben. Die Kosten: explodiert – für gigantische Fehlplanungen gibt es in Deutschland berühmte Beispiele. Die Elbphilharmonie in Hamburg etwa. Sie wurde 2017 eingeweiht – sieben Jahre später als gedacht. Und die ersten Kostenschätzungen beliefen sich auf 77 Millionen Euro, abgerechnet wurden am Ende 800 Millionen. Noch ein Fall: Der neue unterirdische Bahnhof in Stuttgart, S 21, sollte eigentlich schon seit 2008 in Betrieb sein. Daraus wurde nichts. Nun ist 2025 angepeilt. Die Planer rechneten anfangs mit 2,8 Milliarden Euro, heute liegt die Kostenkalkulation bei 8,2 Milliarden. Der Bundesrechnungshof spricht sogar von 10 Milliarden. Und – letztes Beispiel – der Hauptstadtflughafen Berlin Brandenburg, BER, seit 2006 im Bau, sollte ursprünglich schon 2011 fertig sein. Nun wird der Bau mindestens bis Oktober 2020 dauern. Er wird mehr als sieben Milliarden Euro kosten, obwohl beim ersten Spatenstich von 2,5 Milliarden die Rede war.

Egal ob Konzerthäuser, Verkehrsinfrastruktur oder IT- und Rüstungsprojekte – die veranschlagten Kosten werden erheblich überschritten, und zwar weltweit. Allein in den USA werden die Kosten für gescheiterte und mangelhafte IT-Projekte auf jährlich 55 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Dessen ungeachtet sind Groß-, ja Megaprojekte heute bei Politikern beliebter denn je, und weltweit werden für derartige Unterfangen jährlich zwischen fünf und acht Billionen Euro ausgegeben.

Obgleich derartige Projekte immer wieder gegen die Wand gefahren werden, ist der Eifer, mit dem sie verfolgt werden, ungebrochen. Warum? Zum einen ist da die Begeisterung der Ingenieure und Technikfans für große, neuartige Projekte, die die Grenzen des bislang Bekannten sprengen. Zum anderen setzen Politiker nur zu gerne sich selbst und ihrer Sache ein Denkmal. Großplanungen ziehen darüber hinaus die Medien an, und Politikern macht nur weniges mehr Vergnügen, als der Stapellauf eines Großprojekts – mit Ausnahme vielleicht der entsprechenden Einweihungszeremonie, bei der sie sich in Gesellschaft gekrönter Häupter und Präsidenten zeigen können.

Auch Geschäftsleute und Gewerkschaften unterstützen Megaprojekte, denn mit ihnen lässt sich viel Geld machen, und es können Arbeitsplätze geschaffen werden. Die beauftragten Firmen, die Ingenieure, Architekten, Berater, Bauarbeiter, Fahrer, Bänker, Investoren, Landbesitzer, Anwälte und Projektentwickler machen alle ihren Schnitt, die finanziellen Risiken aber trägt meist der Steuerzahler. Und schließlich hat auch die Schönheit von Bauwerken mit Symbolcharakter ihren Reiz. Wer hätte nicht gern die Oper von Sydney?

Gemeinsam sorgt dies dafür, dass sehr viele Personen von derartigen Projekten profitieren – und entsprechend verlangen sie nach immer mehr.
Die skeptische Öffentlichkeit muss von diesen Großvorhaben hingegen erst überzeugt werden. Ihr verkauft man sie meist durch die Arbeitsplätze, die entstehen werden, und verweist auf die wirtschaftlichen Vorteile, die bessere Versorgung und den Nutzen für die Umwelt. Auf all das folgt jedoch ein großes Aber, nämlich: «… aber diese positiven Effekte werden nur eintreten, wenn das Projekt auch richtig umgesetzt wird.» Nur wenn man diesen Vorbehalt ignoriert – und das ist oft der Fall –, lassen sich Megaprojekte als den besten Weg verkaufen, Infrastruktur zu schaffen.
Tatsächlich aber ist die Bilanz von Megaprojekten, was Kosten und Nutzen angeht, verheerend.

Eine Reihe psychologischer Gründe trägt dazu bei, dass sich hieran nichts ändert. Dazu gehört, was Technik und Design anbelangt, die Neigung, etwas erreichen zu wollen, das einzigartig ist. Projektplaner und -manager wollen immer gerne die Ersten sein, denen etwas Neues gelingt. Dies aber macht es unmöglich, aus früheren Projekten zu lernen. Auch legen sich Politiker in der Anfangsphase früh fest, was dann zu einer Mentalität führt, die kein Zurück kennt, auch wenn die Kosten explodieren. Der ehemalige kalifornische Abgeordnete Willie Brown brachte es auf den Punkt, als er sich 2013 zur Kostenexplosion beim Bau des Transbay Terminals in San Francisco äußerte. Er sagte: «Es wird einfach losgelegt, und man buddelt ein derart großes Loch, dass einem anschließend nichts übrig bleibt, als Geld aufzutreiben und es damit zu füllen.»

Verbreitet ist auch der Glaube, alles unter Kontrolle zu haben, weshalb man unvorhergesehene, dramatische Entwicklungen – sogenannte «schwarze Schwäne» – bei der Planung nicht berücksichtigt, obgleich es gerade bei Megaprojekten häufig zu solchen Entwicklungen kommt. Projektmanager handeln oft, als lebten sie in einer deterministischen Welt, in welcher Ursache und Wirkung einfach zu erkennen und zu beherrschen seien. Und schließlich ist man, was die Kosten angeht, in der Regel sehr blauäugig.

Manche behaupten, all dies spiele keine Rolle, denn zwar seien Kostenschätzungen in der Regel zu optimistisch, dafür jedoch würde der Nutzen solcher Projekte meist zu pessimistisch bewertet. Diese einseitige Sicht, heißt es weiter, sei zudem erforderlich, denn ohne sie würde nie etwas Großartiges entstehen, weil uns dann die möglichen Risiken lähmten, welche wir jedoch dank unserer menschlichen Kreativität ausräumen könnten. Wirtschaftswissenschaftler wie Albert Hirschman entwickelten eine solche Sichtweise, und sie ist heute weit verbreitet.

Die Messwerte, über die wir heute verfügen, sind viel zuverlässiger – und entsprechend besser sind unsere Theorien. Es hat sich gezeigt, in den Beispielen und Schlussfolgerungen Hirschmans steckt zwar ein Körnchen Wahrheit, jedoch sind sie alles andere als repräsentativ. Speziell die Annahme, dass bei Kostenschätzungen zu optimistisch, bei der Schätzung des Nutzens zu pessimistisch verfahren werde, hat sich als falsch herausgestellt. In beiden Fällen, das hat sich gezeigt, fallen die Schätzungen zu optimistisch aus. Die Folge ist, dass erst die Kosten explodieren und anschließend, beispielsweise, viel weniger Menschen als vorhergesagt eine neue Verkehrsverbindung nutzen.

Schlimmer noch ist, häufig haben wir es mit einer Art von umgekehrtem Darwinismus zu tun – dem Überleben des Untauglichsten. Es werden nicht etwa die besten Projekte für die Umsetzung ausgewählt, sondern jene, die sich auf dem Papier am besten machen. Dabei handelt es sich um eben jene, bei denen die Kosten unter-, der Nutzen aber überschätzt werden. Die katastrophalen Folgen lassen nicht lange auf sich warten.

Immer deutlicher zeigt sich: Läuft ein Megaprojekt erst einmal aus dem Ruder, dann verhält es sich wie ein Elefant im Porzellanladen. Eine Volkswirtschaft kann dadurch schweren Schaden nehmen. Gleichfalls ist immer mehr Beteiligten bewusst, dass hier gegengesteuert werden muss.

Glücklicherweise gibt es hierfür Beispiele. Das britische Finanzministerium schreibt bei Megaprojekten allen Ministerien ein Verfahren vor, durch welches zu optimistische Abschätzungen verhindert werden sollen. Die Schweiz und Dänemark haben dieses Verfahren bereits übernommen. In den Niederlanden arbeitet man daran, bei großen Infrastrukturprojekten Fehlinformationen auszusieben. In Deutschland lässt sich derweil vom Ausbau der erneuerbaren Energien lernen, dass Megaprojekte in Bausteine zerlegt werden sollten. Einen Windpark auf dem Meer zu bauen, das ist zwar ein gigantisches Projekt, aber es wird ein Windrad nach dem anderen hinzugefügt. Stück für Stück. Das funktioniert wie Lego – und ist gut berechenbar. Mittlerweile gibt es viele wissenschaftliche Studien dazu, wie sich Megaprojekte steuern lassen. Beim Verständnis davon, warum bestimmte Projekte scheitern, wurden große Fortschritte gemacht. Versteht man dies aber erst einmal, ist der erste Schritt hin zu Lösungen genommen. Jene, die ganz besonders zuversichtlich sind, behaupten sogar, es werde soweit kommen, dass eines Tages das Wort «Megaprojekt» nicht mehr gleichbedeutend sein wird mit Kostenexplosion und zweifelhaftem Nutzen.


Bent Flyvbjerg ist Gründungsprofessor für Großprojektmanagement
an der Saïd Business School, University of Oxford.

Ins Deutsche übersetzt von Bernd Herrmann und bearbeitet von Hanna Gersmann.

Der Text erschien zuerst auf Englisch unter dem Titel «Throw me the Money» im New Scientist.

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