Ein Blick auf die Beziehungen Post-COVID-19

Die transatlantische Gemeinschaft stand bereits vor dem Ausbruch der Pandemie vor gewaltigen innen- und geopolitischen Herausforderungen. Die Pandemie verstärkt diese Tendenzen und macht zugleich deutlich, warum Kooperation auch in Zukunft unerlässlich ist.

Vor nur wenigen Monaten, im November 2019, feierte die Welt das 30-jährige Jubiläum des Mauerfalls und des Niedergangs des Kommunismus in Osteuropa. Wir haben einen Moment innegehalten und dieses Wendepunktes für die Demokratie in Europa gedacht, und einer Periode, in der das wiedervereinte Deutschland zu einem der engsten Partner der USA auf der Weltbühne wurde. Wir haben uns darauf besonnen, dass die treibenden Kräfte hinter den Bewegungen des Jahres 1989, die Werte demokratischer und freier Gesellschaften, zu den Grundpfeilern der transatlantischen Gemeinschaft wurden.

Heute ist in genau den Ländern, die einst die Leuchttürme der liberalen Wende waren, die Euphorie von 1989 gewichen. Die Demokratie hat mit schweren Rückschlägen zu kämpfen. Gesellschaften auf beiden Seiten des Atlantiks sind mit mächtigen populistischen und nationalistischen Bewegungen konfrontiert. In den USA ritt Präsident Trump auf einer rechtspopulistischen Welle ins Weiße Haus und wird weiterhin von einer starken Basis unterstützt. In Europa sind rechtsextreme Parteien inzwischen in 23 von 28 Parlamenten vertreten. Die liberale Demokratie steht auf beiden Seiten des Atlantiks vor einer großen Herausforderung.

Gerade in dieser Zeit, da wir die Lehren von 1989 neu entdecken und pflegen müssten, ist das Vertrauen zwischen den Vereinigten Staaten und ihren europäischen Partnern auf einem Tiefststand. So sind wir schlecht gewappnet für die Herausforderungen der kommenden Ära, vor die uns autoritäre Staaten, technologischer Fortschritt, Migration und wachsende Ungleichheit in unseren Gesellschaften stellen. Während die Trump-Regierung das Verhältnis zwischen den USA und Europa immer weiter auf die Zerreißprobe stellt, steht Europa unter dem Druck seiner eigenen geopolitischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen.

Im vergangenen Jahrzehnt war die EU mit einer Reihe von Krisen konfrontiert. Dazu gehörten die weltweite Finanzkrise von 2008, die anschließende Schuldenkrise der Eurozone, Russlands Annexion der Krim und die Invasion der Ukraine 2014, mehrere furchtbare Terroranschläge, eine andauernde Flüchtlingskrise, der Brexit, ein aufstrebendes, spalterisches China und nun die COVID-19-Pandemie. Mangelnde politische Stabilität auf beiden Seiten des Atlantiks und Rückschläge in den transatlantischen Beziehungen wiederum beeinträchtigen die weltweite Stabilität und den liberalen Charakter der internationalen Ordnung.

1. Die Rückkehr der Geopolitik

Noch bevor die Coronavirus-Pandemie die Welt zum Stillstand brachte, deutete sich im Jahr 2020 ein Wendepunkt in den transatlantischen Beziehungen an. Mangelnde Transparenz öffentlicher Institutionen, Korruption, zunehmende Ungleichheit und die Auswüchse der Globalisierung hatten das Vertrauen vieler Bürger und Bürgerinnen in ihre Regierungen schwinden lassen. Eine digitale Revolution hatte begonnen, ganze Gesellschaften auf den Kopf zu stellen. Dies entfachte politische Debatten über neue Themen – von automatisierten Industrien bis hin zum digitalen Datenschutz. Die US-Außenpolitik hatte ihren Schwerpunkt bereits verlagert – weg vom globalen Terrorismus hin zum nationalen Wettbewerb mit autoritären Staaten, allen voran Russland und China.

Nach Ansicht der Vereinigten Staaten verfolgen sowohl Russland als auch China drei Ziele, wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln und unterschiedlichem Machtniveau: Sie wollen sich militärische und wirtschaftliche Einflusssphären in der eigenen Weltregion sichern. Sie wollen demokratische Institutionen und Normen aushöhlen. Und sie wollen die westliche Dominanz in der internationalen Ordnung schwächen.

Europa hat seine eigene, davon abweichende Position zu China formuliert. Einerseits sieht es Peking als einen wichtigen wirtschaftlichen und multilateralen Partner. Andererseits betrachtet es China als strategischen Rivalen, da die Kommunistische Partei Chinas in ihrem technologischen Vorherrschaftsstreben versucht, in Europa und andernorts ein autoritäres digitales Modell voranzutreiben.

Während die transatlantischen Partner mit Demokratiedefiziten und Herausforderungen seitens autoritärer Staaten zu kämpfen haben, sind zugleich die Vereinigten Staaten selber zu einer destabilisierenden Kraft für Europa geworden. Nach Meinung vieler Menschen in Europa ist Präsident Trump der erste US-Präsident seit dem Zweiten Weltkrieg, der das europäische Projekt nicht nur missachtet, sondern ihm offen feindselig gegenübersteht. An der wirtschaftlichen Front führt die Trump-Regierung einen Zollkrieg mit den europäischen Partnern, indem sie unter dem Deckmantel nationaler Sicherheitspolitik Zölle auf Stahl und Aluminium verhängt und mit Importzöllen auf Kraftfahrzeuge droht.

In Sicherheitsfragen hat Präsident Trump immer wieder den Wert der NATO in Frage gestellt und dabei das Bündnis wie eine Organisation von Schutzgelderpressern behandelt. Politisch haben sich die Vereinigten Staaten aus multilateralen Abkommen zurückgezogen, die für Europa von entscheidender Bedeutung sind. Dazu zählt das Pariser Klimaabkommen und das Atomabkommen mit Iran. In einer Ära heftigen Machtwettbewerbs scheint die Trump-Regierung die Europäische Union als Konkurrenten und sogar als «Feind» zu betrachten.

2. Die Welt nach der Pandemie

Vor diesen gewaltigen Herausforderungen stand die transatlantische Gemeinschaft bereits vor dem Ausbruch der Pandemie. Es ist gut möglich, dass sich diese innen- und geopolitischen Herausforderungen in einer Welt danach nur noch beschleunigen werden.

Innenpolitisch werden die aus der Pandemie folgenden Gesundheits- und Wirtschaftskrisen die wirtschaftliche Unsicherheit und Ungleichheit verschärfen, die ohnehin schon Misstrauen gegenüber demokratischen Regierungen geschürt hatten. Außenpolitisch werden Russland und China versuchen, die Krise zu nutzen, um ihre innenpolitische Macht zu festigen und ihren Einfluss im Ausland auszubauen. Vor allem China befeuert eine Reihe von Verschwörungstheorien über den Ursprung des Virus und kritisiert die Reaktionen der USA und Europas auf die Pandemie als unwirksam und schwach. Moskau und Peking wollen die Vereinigten Staaten schon seit langem schwächen, die Attraktivität demokratischer Institutionen schmälern und im Westen Zwietracht säen. Dieselben Ziele verfolgen sie auch in dieser Krise.  

3. In der Krise Optimismus finden

Die gegenwärtigen Spannungen sind das Ergebnis jahrzehntelanger destabilisierender Faktoren, der Machtspiele Russlands und Chinas und nun der unmittelbaren Bedrohung durch die Pandemie. Sie sollten uns jedoch nicht dazu verleiten, die Zukunft der transatlantischen Gemeinschaft und der amerikanisch-deutschen Beziehungen verloren zu geben. Vielmehr ist dieser Moment ein neuer Aufruf zu Fortschritt und Widerstandsfähigkeit in einer sich wandelnden Weltordnung.

Um unsere Resilienz zu stärken, werden wir innenpolitisch die Gesellschaftsverträge zwischen Regierungen und Bürgern und Bürgerinnen neu gestalten müssen. Die Ursachen der wirtschaftlichen Unzufriedenheit und des Misstrauens in demokratische Institutionen können auf diese Weise addressiert werden. Zudem können Europa und die USA in ihren bilateralen und multilateralen Beziehungen weiterhin eine wertebasierte Agenda fördern. Dazu gehören der Umgang mit den von China ausgehenden Herausforderungen und die Förderung demokratischer Standards mit Bezug auf Künstliche Intelligenz (KI) und neue Technologien, die den Bedürfnissen freier Gesellschaften dienen. Darüber hinaus muss eine starke Klima-Agenda in unser wirtschaftliches, politisches und soziales Gefüge integriert werden und es müssen strenge Maßnahmen zur Bekämpfung von Korruption ergriffen werden.

Vor allem müssen wir auch inmitten dieser Krise erkennen, dass unsere demokratischen Institutionen und Normen ständig verteidigt und immer wieder neu belebt werden müssen. Demokratie bleibt stets ein unvollendetes Projekt. Wir müssen verantwortungsvolle und transparente politische Führung fordern – und auch wählen. Die Pandemie macht deutlich, wie stark nationalistische Spaltungen essentielle internationale Zusammenarbeit bedrohen – von der Impfstoffforschung bis hin zu koordinierten wirtschaftlichen und steuerpolitischen Reaktionen. Die Pandemie hat gleichzeitig aufgezeigt, warum wir einander mehr denn je brauchen. Wir sollten diesen Moment der Klarheit nicht einfach an uns vorbeiziehen lassen.


Torrey Taussig ist Forschungsdirektorin am Belfer Center des Kennedy Instituts der Harvard-Universität. Sie leitet unter anderem das Projekt «Transatlantic Relations 2021», eine Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

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