Der Natur auf die Finger geschaut

Wir stehen vor vielen Herausforderungen: Klimakrise, Biodiversitätsverluste, Bodenerosion, Fehlernährung und Einsatz hochgefährlicher Pestizide. Die Antwort heißt Vielfalt! Agrarökologie bringt Biodiversität auf die Felder und in die Kulturlandschaft und kann dazu beitragen, diese Trends umzukehren.

Vielfalt ist die Devise der Agrarökologie. Während sich an vielen Orten Monokulturen bis zum Horizont ausbreiten und mit nur neun Pflanzenarten zwei Drittel der globalen Ernte erzeugt werden, ­fördert Agrarökologie Vielfalt – vom Saatgut bis zur Ernährung. Statt auf einzelne Hochleistungssorten zu setzen, ahmt Agrarökologie die Biodiversität natürlicher Ökosysteme nach und zielt darauf ab, die Wechselwirkungen zwischen Pflanzen, Tieren, Menschen und der Umwelt zu optimieren. Auch soziale Aspekte, die für die Gestaltung nachhaltiger und fairer Ernährungssysteme essentiell sind, werden berücksichtigt. 

In agrarökologischen Systemen werden Pflanzen zusammen angebaut, die sich gut ergänzen und voneinander profitieren können. Wie das funktioniert, lässt sich gut am Beispiel von Agrarforstsystemen erklären: Mehrjährige und einjährige Pflanzen, darunter Feldfrüchte, Obst- und Waldbäume, Hülsenfrüchte und Futterpflanzen werden zusammen angebaut. Dies hat verschiedene Vorteile, zum Beispiel können die Bäume Schatten spenden, wodurch weniger Wasser verdunstet, und sie können den Aufprall von Starkregen abschwächen. Sie bremsen starke Winde aus und sorgen für ein günstigeres Mikroklima. Die tiefere Durchwurzelung des Bodens hilft, um die Pflanzen mit Nährstoffen zu versorgen.

Bodenuntersuchungen haben außerdem gezeigt, dass die Anzahl der Bodenorganismen und die biologische Bodenaktivität gesteigert werden. Das Laub wiederum liefert schnell abbaubare Biomasse und kann als Bodenbedeckung sowie als Tierfutter dienen; Holz kann als Baumaterial und zur Energiegewinnung genutzt werden. Aber Vielfalt wird auch erreicht durch den Anbau von Zwischenfrüchten, durch eine vielfältige Fruchtfolge sowie durch «lebende Zäune» – beispielsweise Hecken, die Insekten und Klein­tieren Unterschlupf bieten. Dadurch kann Biodiversität auf dem Feld, aber auch in der Agrarlandschaft gefördert werden. 

Im trockenen Nordosten Brasiliens arbeiten kleinbäuerliche Betriebe mit Agroforst-Systemen, und es hat sich bewährt. Durch die höhere Biodiversität und die Nutzung einheimischer, an das semiaride Klima angepasster Bäume und Sträucher sind Agroforst-Systeme weniger anfällig für Dürre und Schädlingsbefall. Dies wirkt sich auch positiv auf die Tierhaltung aus: Mit Zweigen und Blättern können Ziegen und Schafe bis weit in die Trockenzeit hinein ernährt werden. Gleichzeitig liefert der Tierdung wertvollen organischen Dünger für die kargen Böden. Auch bei den Tieren ist Vielfalt gefragt, und zwar genetisch. Lokale Rassen, die gut an die örtlichen Bedingungen angepasst und widerstandsfähig sind, dürfen in der agrarökologischen Kreislaufwirtschaft nicht fehlen.

Das vielfältige Produktionssystem erzeugt eine Bandbreite an Lebensmitteln und ermöglicht eine ausgewogene Ernährung für die Familien, gleichzeitig können Preisschwankungen bei einzelnen Produkten aufgefangen werden. Die Vielfalt stellt aber auch Anforderungen: Leicht verderbliche Früchte müssen zeitnah verkauft oder haltbar gemacht werden. Staatliche Programme, die Ausrüstung und Geräte zur Weiterverarbeitung zur Verfügung stellen, Obst und Gemüse für Schulen abnehmen und den Zugang zu Bauernmärkten fördern, können dabei unterstützen.

Vielfalt kann auch gezielt zum Schutz vor schädlichen Insekten eingesetzt werden, und zwar mit der sogenannten Push-and-Pull-Methode. Dafür werden Feldfrüchte zusammen mit Pflanzen angebaut, die durch Botenstoffe oder visuelle Anreize Insekten vertreiben (Push) und natürliche Feinde anlocken (Pull). Zum Schutz vor den Larven der Stängelbohrer-Motten pflanzen Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in Kenia Hülsenfrüchte wie Desmodium zwischen die Mais-Reihen und umsäumen diese mit einem Gürtel aus Elefantengras. Das Desmodium stößt die Stängelbohrer-Motte ab und zieht Fressfeinde des unerwünschten Insekts an. Gleichzeitig lockt das Elefantengras die Stängelbohrer zur Eiablage an den Feldrand. Weitere Vorteile dieser Methode: Wie die meisten Hülsenfrüchtler bindet Desmodium Stickstoff und verbessert so die Fruchtbarkeit des Bodens, und Elefantengras kann als Viehfutter genutzt werden. Erträge können so ohne Einsatz von Kunstdünger und Pestiziden verbessert werden.


Sarah Schneider arbeitet bei MISEREOR als Referentin für Landwirtschaft und Welternährung.

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