Sie haben schon Klagen gegen große Konzerne gewonnen – Hermann Ott von der Umweltrechtsorganisation Client Earth über den Rechtsweg zum Schutz der Biodiversität, die Gegenstrategien großer Unternehmen und die Menschheitsaufgabe dieses Jahrhunderts.
Interview: Hanna Gersmann
Hanna Gersmann: Hermann Ott, gibt es ein Recht auf blühende Wiesen, intakte Wälder, quicklebendige Ökosysteme?
Hermann Ott: Wir meinen: Ja! Bisher steht das nur noch nirgends in einem Gesetz. Es lässt sich aber aus den bestehenden Menschenrechten ableiten, weil eine gesunde Umwelt für das Recht auf Leben und Gesundheit nötig ist. Auch aus dem Recht auf ein menschenwürdiges Leben lässt es sich herleiten.
Jurist/innen können doch die Biodiversität schon heute mit Paragraphen schützen. Mancher klagt gar über die ‹blockierte Republik›, weil Vorhaben zugunsten von Fledermäusen, Großtrappen, Zauneidechsen, der Natur gekippt werden.
Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, die Nitratrichtlinie, die Wasserrahmenrichtlinie, die Pestizidrichtlinie – es gibt viele gute EU-Richtlinien, sie werden aber oft jahrelang ignoriert. Das Ausmaß hat mich selbst überrascht. Und Deutschland ist absoluter bad boy.
Bad boy?
In Deutschland ist die Verquickung von Politik und Industrie besonders stark, wo sich Verkehrsminister verhalten, als würden sie auf der Gehaltsliste der Autoindustrie stehen. Niemand hat die Probleme mit der schlechten Luft in Städten, die viel zu hohen Stickoxidbelastungen in Angriff genommen. Erst, als die Deutsche Umwelthilfe geklagt hat, änderte sich was, kamen Fahrverbote für Diesel.
Sie haben die Klagen unterstützt.
Wir hängen das aber nicht an die große Glocke, so fühlen wir uns freier. Wir nutzen das Recht als strategisches Instrument, um die Interessen von Bürgerinnen und Bürgern durchzusetzen.
Ihr denkwürdigster Fall?
In Polen haben wir Anteile des Energieversorgers ENEA gekauft. Auf der Hauptversammlung haben wir einen Antrag gegen den Bau eines weiteren
Kohlekraftwerks gestellt. Der kam nicht durch. Dann haben wir vor Gericht geklagt, gegen unsere Firma. Die Kohlepläne sind jetzt vom Tisch. Unser Argument war nicht das Klima …
… sondern?
Dass die Investition in das Kohlekraftwerk ein großes Risiko für das Unternehmen birgt, weil die Preise für erneuerbare Energien sinken und die für CO2-Emissionen steigen.
Und außerhalb Europas?
In Ghana, Liberia, im Kongo und der Elfenbeinküste arbeiten wir mit an guten Waldgesetzen. Sind sie verabschiedet, machen wir sie öffentlich. Das ist ein Service für die Regierungen in den Ländern, in denen häufig nicht mal Beamt/innen wissen, welche Gesetze wirklich gelten. Zum anderen bekommen die Communities vor Ort eine bessere Chance, ihre Rechte gegen Regierung und Holzfirmen durchzusetzen. Die schulen wir auch mit Hilfe lokaler Jurist/innen, damit sie ihre Rechte kennen und durchsetzen können.
Was sind die entscheidenden Tricks Ihrer Gegner/innen?
Große Unternehmen beschäftigen ein Heer von Jurist/innen. Wir nehmen es in einem David-gegen-Goliath-Kampf mit diesen tausenden Anwält/innen auf und schaffen das ganz gut.
Sie haben Top-Leute – Harvard-, Oxford-, Yale-Absolventen.
Vor allem sind sie leidenschaftlich. Das macht oft den Unterschied, auch zu den teuren Anwaltskanzleien. Der Mineralölkonzern BP musste zum Beispiel seine irreführende Werbung mit schönen Bildern von Wind- und Solaranlagen zurückziehen.
Die Autorin Tanja Busse schlägt in ihrem Buch «Das Sterben der Anderen» ein öffentliches Tribunal der aussterbenden Tiere vor. Anders gesagt: Sie will ein einklagbares Überlebensrecht für Arten. Geht das?
Neuseeland und Kolumbien haben bereits einzelnen Ökosystemen Rechte gegeben, einem Fluss, einem Nationalpark. Das Recht ist nicht starr, man kann und muss es weiterentwickeln.
Tut sich da in Deutschland was?
Tierschützer/innen, die in riesige Schweineställe eingedrungen sind, um das Leiden der Tiere zu dokumentieren, werden regelmäßig angezeigt wegen Hausfriedensbruch. Jetzt sind Aktivist/innen freigesprochen worden mit dem Argument, dass sie Nothilfe geleistet haben. Die Richter/innen werteten die Rechte der Tiere höher als das Hausrecht.
Wann hören Sie auf zu klagen?
Wenn wir die menschliche Zivilisation eingebettet haben in die ökologischen Systeme dieses Planeten. Das ist die Aufgabe für dieses Jahrhundert. Der Mensch verdrängt alle anderen Lebewesen von der Erde! Das ist keine hinnehmbare Zukunft – weder für die Natur, noch für uns Menschen.
Hermann Ott ist Jurist und leitet das Deutschlandbüro von Client Earth in Berlin, einer Umweltrechtsorganisation mit Hauptsitz in London. Sie klagt für ihre Mandantin, die Erde. Sie wird finanziert von privaten Spendern, Stiftungen sowie der Europäischen Union.
Hanna Gersmann arbeitet als Reporterin bei die-korrespondeten.de