Illustration: Jens Südekum

«Der Staat muss expansiv bleiben»

Der Arbeitskreis Finanzpolitik der Heinrich-Böll-Stiftung hat eine Studie zum Investitionsbedarf in klimarelevante und digitale Infrastrukturen erarbeitet. Beteiligt waren Personen aus Bundes-, Länder- und kommunaler Politik sowie der Wissenschaft. Ein Gespräch mit Teilnehmer Jens Südekum, Professor für Internationale Volkswirtschaft an der Universität Düsseldorf, über zukunftsfeste Finanzpolitik nach Corona.

Herr Südekum, erwarten Sie nach Corona einen Wirtschaftsboom oder einen anhaltenden Dämpfer?

Beide Szenarien werden eintreten. Für viele Unternehmen und Beschäftigte ist der Ausblick recht positiv, denn im letzten Jahr hat sich viel Geld angestaut, weil die Möglichkeit zum Konsum fehlt. Die Bevölkerung möchte gern in Urlaub, ins Restaurant oder ins Konzert. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Konsumwünsche nachgeholt werden.

Und Ihr pessimistisches Szenario?

Viele Unternehmen haben im Verlauf der Krise ihre Reserven komplett aufgezehrt oder sind heillos überschuldet. Das wird lange nachwirken und einige werden es gar nicht schaffen – auch wenn demnächst beim Konsum die goldenen 2020er-Jahre anbrechen.

Wie steht Deutschland künftig im internationalen Vergleich da?

Eine aktuelle Projektion der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, sieht Deutschland bis Ende 2022 im Mittelfeld. Es gibt Länder, die deutlich besser dastehen, allen voran China mit 17 Prozent Wachstum gegenüber 2019 oder die USA mit sieben bis acht Prozent. Andere kommen besser und schneller aus der Krise als Europa und Deutschland.

Woran liegt das?

Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang, dass eine höhere Geschwindigkeit beim Impfen mit einer schnelleren Erholung einhergeht. Außerdem tun andere Länder, etwa die USA, deutlich mehr für den Anschub der Konjunktur. Denken Sie etwa an das Biden-Paket im Umfang von fast zwei Billionen Dollar.

Wie stark ist Deutschland als Exportnation betroffen?

Die Industrie hat in Deutschland ihren Vorkrisenstand bereits übertroffen. Ein wesentlicher Treiber war der Export, vor allem nach China und in der Autoindustrie. Momentan funktioniert auch der Export in andere europäische Länder relativ gut. Aber es könnte sein, dass Industrie, Export und dadurch die Gesamtwirtschaft wegen der dritten Welle nochmal erheblichen Schaden nehmen.

Belasten sinkende Investitionen und Rücklagen auch den Arbeitsmarkt?

Auf jeden Fall. 2020 und 2021 wurde durch Maßnahmen wie Kurzarbeitergeld und die gute Entwicklung in etlichen Wirtschaftszweigen verhindert, dass die Arbeitslosigkeit stark gestiegen ist. Aber überschuldete Unternehmen werden ihre Investitionen auf die lange Bank schieben oder ganz streichen. Etliche werden in Insolvenz gehen, gerade Kleinere. Das schlägt dann durch auf die Dynamik am Arbeitsmarkt bei den Neueinstellungen. Der Abgang aus Arbeitslosigkeit in reguläre Beschäftigung ist so niedrig wie noch nie.

Welche finanzpolitischen Herausforderungen sehen Sie bei den öffentlichen Einnahmen?

Die Schuldenquote, also der Gesamtschuldenstand bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, ist viel niedriger als in der Finanzkrise 2009. Es macht keinen Sinn, jetzt als oberste Priorität Staatsschulden schnell zu tilgen. Für das Geld sind keine Zinsen fällig und es liegt bei der Europäischen Zentralbank als quasi staatlicher Einheit. Sobald wir wieder ein normales Wachstumsniveau haben, und das dürfte spätestens 2022 wieder der Fall sein, ist die Schuldentragfähigkeit relativ einfach wiederherzustellen.

Was gilt für staatliche Ausgaben?

Aus konjunktureller Sicht ist es wichtig, dass der Staat expansiv bleibt, also bei den Ausgaben nicht plötzlich eine Vollbremsung hinlegt. Diesen Fehler hat man nach der Finanzkrise gemacht und das darf sich nicht wiederholen. Das Geld muss aber gezielt ausgegeben werden. Erstens zur Unterstützung für diejenigen, die wirklich hart getroffen sind. Zum anderen, um transformative Investitionen anzuschieben. Ich bin zufrieden, dass es in der akuten Krisenbewältigung Programme wie die Abwrackprämie nicht nochmal gab.

Worauf kommt es jetzt vorrangig an?

Aus konjunkturellen Gründen muss auch die Autoindustrie gefördert werden, aber nur die Transformation hin zu Elektromobilität und Wasserstoff. Diese Investitionsagenda muss mindestens zehn Jahre durchgehalten werden. Digitalisierung ist genauso wichtig. Hier brauchen wir dringend, gerade im Bereich Schulen und öffentliche Verwaltung, einen echten Schub.


Jens Südekum hat einen Lehrstuhl am Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie (DICE) und forscht zu den Arbeitsmarktauswirkungen von Globalisierung und Digitalisierung. Er berät unter anderem die EU-Kommission, die Bundesregierung und die Welthandelsorganisation (WTO). Er ist Mitglied im Finanzpolitischen Arbeitskreis der Heinrich-Böll-Stiftung.

Kerstin Kloss arbeitet als freie Journalistin in Hamburg.

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