Illustration: Thomas Straubhaar

Die Globalisierung ist nicht am Ende …

… aber es entsteht gerade etwas Neues aus ihr.

Alle großen Herausforderungen der Menschheit werden eine globale Dimension haben. Das gilt für Erderwärmung und Klimawandel genauso wie für Artensterben und Biodiversität oder Viren in der Natur und im Cyberspace. Ihre Folgen jedoch werden lokalen Charakter haben. Wenn Meeresspiegel ansteigen, triff t es zunächst die Bevölkerung der Küstengebiete, wenn Überschwemmungen häufi ger werden, leiden die Bewohnerinnen an Flüssen und Seen, wenn Menschen erkranken, ihre Wohnung oder ihren Job verlieren, müssen sie in Dörfern und Städten, Gemeinden und Landkreisen aufgefangen werden.

Die Kunst von Politik und Wirtschaft wird somit künftig darin liegen, die Ursachen großer Herausforderungen global, die Folgen jedoch lokal anzugehen. Für die Symbiose globaler Probleme und lokaler Wirkungen steht der Begriff der «Glokalisierung». Sie erfordert einerseits globale Regeln für globale Spiele. Die dürft en künftig eher schwerer als einfacher festzulegen sein. Aber andererseits verlangen lokale Effekte nach lokal unterschiedlichen Antworten. Da wird die Digitalisierung vieles möglich machen, was bis dahin nicht möglich war.

Die Globalisierung wird nicht verschwinden. Aber sie wird sich weiter verändern. Sie tat sich bereits seit Ende der 2000er Jahre schwer. Die globale Arbeitsteilung hatte schon mit den Nachbeben der Finanzmarkterschütterungen Schwung verloren. Sie hat bis heute nicht wieder zur alten Dynamik zurückgefunden. Mit verstärkten Erwartungen auf bessere Bezahlung für die Arbeit an den Werkbänken ärmerer Weltregionen schmolzen die Vorteile des Kostendrückens mittels Produktionsverlagerung. Die Nachteile steigender Transaktions- und Transportkosten sowie zunehmende Abhängigkeit von ausländischen Zwischenhändlern wurden bereits im Laufe der letzten Dekade stetig gewichtiger.

Im Nachgang zur Corona-Krise dürft e es nun erneut zu globalen Standortverlagerungen der Produktion kommen. Aber anders als während der Hochblüte der Globalisierung wird dieses Mal die Bewegung nicht aus teuren Industriebetrieben im Westen in Richtung billiger Standorte in aufstrebenden Volkswirtschaften führen. Im Gegenteil wird eine Umkehr statt finden. Heute noch im fernen Ausland produzierte Zwischenprodukte und Konsumgüter werden vermehrt wieder in der heimischen Nachbarschaft hergestellt – wohl teurer, dafür aber verlässlicher. So sollen Klumpenrisiken bei der Beschaffung und Abhängigkeiten beim Absatz reduziert werden.

In der Post-Corona-Zeit wird in vielen Bereichen die Digitalisierung zur genuinen Nachfolgerin der Globalisierung werden. Mehr noch: Digitalisierung wird mehr und mehr Teile der Globalisierung überflüssig machen. Dadurch wird sie das zweite Standbein der Glokalisierung, die Lokalisierung, stärken. Datenflüsse werden Handelsströme ablösen. Video-Besprechungen ersetzen Geschäftsreisen. Das Homeoffice tritt anstelle des Geschäft sbüros. Im Zuge der Pandemie wurden Bevölkerung und Unter nehmen flächendeckend vor Augen geführt, was digitale Technologien zu leisten im Stande sind.

Was als Notmaßnahme infolge des Coronavirus erst ausprobiert und getestet wurde, kann und wird in vielen Bereichen und Tätigkeiten auch nach der Pandemie beibehalten werden. Möglich werden völlig neue Verbindungen von Zentralität und Dezentralität – globaler Standardisierung und lokaler Spezifikation. Vieles wird einheitlich programmiert, vorgegeben, organisiert und umgesetzt. Manches jedoch wird vor Ort, zu Hause oder beim Kunden geleistet, produziert oder ausgedruckt und lokal so spezifiziert, wie es lokaler Gewohnheit und Anforderungen entspricht.

«Hybrid» wird zum Zauberwort der Glokalisierung werden. Es bezeichnet die intelligente Kreuzung von Vereinheitlichung (um die Vorteile einer globalen Standardisierung, also der «Economies of Scale» zu nutzen) und Vielfalt (um lokal unterschiedlichen Ansprüchen gerecht zu werden) zu neuen Mischformen. Im Bildungswesen werden Präsenzunterricht und Fernstudium kombiniert. Firmen werden Heimarbeit und Anwesenheitspflichten zu modernen Arbeitsplatz- und -zeitmodellen vermengen und so Mitarbeiter(inne)n ermöglichen, Beruf und Familie besser zu vereinbaren und ein ausgewogenes Verhältnis von Arbeit und Freizeit zu verwirklichen. Unternehmen werden Kernkompetenzen am Stammsitz entwickeln und dann zwar weltweit vermarkten, jedoch kulturellen Eigenarten und individuellen Kundenwünschen entsprechend, passgenau und maßgeschneidert vor Ort spezifizieren.

In der Welt der Glokalisierung wird «hybrid» dafür sorgen, dass die auf Massenproduktion, Economies of Scale und Kostenminimierung ausgerichtete Globalisierung durch eine auf Spezifikation, Spezialisierung und Qualitätsoptimierung ausgerichtete Lokalisierung ergänzt und geerdet werden wird. Das sind mit Blick auf die Ursachen der großen Menschheitsprobleme gute Nachrichten.


Thomas Straubhaar ist Professor für Volkswirtschaftslehre (insbesondere Internationale Wirtschaftsbeziehungen) an der Universität Hamburg.

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