Raus aus der Pessimismusfalle

Die Energiewende ist eine riesige Chance für unsere Gesellschaft. Um sie zu einem Erfolg zu führen, müssen wir raus aus der Pessimismusfalle und in der Kommunikation zu einer positiven Erzählung kommen. Chancen, Lösungswege und erreichte Erfolge gehören in den Mittelpunkt.

Illustration: Elektroauto

Unser Ziel steht fest: Im Jahr 2050 wollen wir in Europa klimaneutral leben und wirtschaften. Es ist eine wichtige, zudem schöne und zugleich auch sehr ambitionierte Zukunftsvision, die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen mit dem European Green Deal als eine ihrer ersten Amtshandlungen ins Leben gerufen hat. Ich freue mich sehr und bin stolz darauf, dass mein Verband, der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft diese Entwicklung mitgestalten kann. Gleichzeitig frage ich mich, wie wir im Jahr 2050 auf die letzten drei Jahrzehnte zurückblicken werden. Werden wir unser Ziel erreicht haben? Welche Treiber haben uns zu Entwicklungssprüngen verholfen und welche Fehler haben uns ausgebremst?

Der Green Deal ist ein sehr ehrgeiziges Projekt, bei dem die Energiewirtschaft eine zentrale Rolle spielt. Sie hat nicht nur selbst die höchsten Einsparziele zu erfüllen, sondern ermöglicht es auch anderen Sektoren. Für die Dekarbonisierung der Industrie stellen wir Erneuerbare Energie bereit – in Form von Strom oder klimaneutralen Gasen. Für die Verkehrswende liefern wir regenerativen Strom, leistungsfähige Verteilnetze und die passende Ladeinfrastruktur. Und wir helfen dabei, die CO2-Einsparpotenziale im Wärmemarkt zu heben – sei es mit grünen Gasen, Wärmepumpen auf Basis von grünem Strom oder der immer grüner werdenden Fernwärme. Gleichzeitig organisieren wir den für die Transformation notwendigen Aus- und Umbau unserer leistungsfähigen Netzinfrastrukturen. Unsere Energie und unsere Infrastruktur sind das Fundament für die klimaneutrale Gesellschaft der Zukunft.

Klar ist: Alle Industriebranchen stehen wegen der Klimaziele unter einem enormen Druck. Schließlich gilt es, Pfadabhängigkeiten zu durchbrechen – im laufenden Betrieb. Das ist eine immense Herausforderung. Dabei darf uns aber eins nicht passieren: Pessimismus! Es ist wenig zielführend, Ängste zu schüren, wenn man Veränderung anstrebt. Transformation bedeutet aber Veränderung. Sie zu gestalten, sozial- wie umweltverträglich, ist der Schlüssel in die Zukunft.

Kommunikation über Energie- und Klimapolitik muss Erfolge in den Mittelpunkt stellen

Wir müssen insgesamt wieder zu einer positiven Erzählung über Energie- und Klimapolitik kommen und Chancen und Lösungswege in den Mittelpunkt stellen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Druck muss weiter hoch bleiben, damit sich etwas ändert. Aber parallel müssen wir zeigen, dass wir es schaffen können. Es gibt ja durchaus Erfolge, und die müssen wir auch benennen. So hat die Energiewirtschaft ihren Treibhausgas-Ausstoß im Vergleich zu 1990 um mehr als die Hälfte gesenkt. Damit ist sie mit Blick auf die Sektoren die Nummer eins im Klimaschutz.

Natürlich wäre es naiv zu glauben, der Umbau würde gänzlich ohne Schwierigkeiten voranschreiten. Zuletzt ist der Ausbau der Windenergie ins Stocken geraten. Zudem müssen soziale Härten abgefedert und die Entwicklung und Implementierung neuer Technologien gefördert werden. Aber nochmal: Dieser Wandel ist eine Chance, unser Land zu modernisieren. Wir sollten sie nutzen, da am Ende alle davon profitieren.

Investitionen im Sinne der Energie- und Klimaziele können die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Krise beflügeln. Allein die Realisierung der Erneuerbaren-Ausbauziele 2030 und der damit verbundene Umbau der Energiesysteme, aber auch der Aufbau öffentlicher Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge und der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft tragen signifikant zum Wachstum und zur Beschäftigung bei: Laut einer Schätzung des Bundesverbandes für Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) würden die hierfür notwendigen Maßnahmen Investitionen in Höhe von insgesamt 320 Milliarden Euro auslösen. Das käme nicht nur der Energiewirtschaft, sondern auch zahlreichen anderen Branchen zu Gute – von der Bauwirtschaft über den Maschinenbau bis hin zum Dienstleistungssektor. Zusätzlich sichern und schaffen diese Investitionen rund 270.000 Jobs in den verschiedenen Wirtschaftssektoren – allein in Deutschland. Die genannten Zusatzinvestitionen sorgen für eine Steigerung der Wertschöpfung in Deutschland um jährlich rund 0,6 Prozent. Das ist gut ein Drittel des durchschnittlichen Wirtschaftswachstums in den vergangenen Jahren.

Die Unternehmen wollen weiter investieren in eine sichere und immer nachhaltigere Energiewelt. Dafür muss die Politik Konjunktur- und Wachstumsimpulse setzen und Fesseln lösen. Beispielsweise müssen die Strompreise spürbar und verlässlich entlastet werden. Eine zentrale Aufgabe der nächsten Bundesregierung wird es deshalb sein, die Finanzierung der Erneuerbaren Energien zu reformieren. Der BDEW wird hierzu Vorschläge vorlegen. Weiterhin müssen Investitionen gezielt angeschoben werden, der klimafreundliche Umbau des Kraftwerksparks gefördert, die Wärmewende vorangetrieben und Kapital durch eine nachhaltige Finanzierung mobilisiert werden. Darüber hinaus brauchen wir einen verlässlichen Investitionsrahmen für moderne Energienetze, den Ausbau digitaler Infrastruktur und die Lade- und Tankinfrastruktur für eine klimafreundliche Mobilität.

Umbau bedeutet auch verlässliche Versorgung und soziale Ausgewogenheit

Essenziell für nachhaltiges Wachstum und Klimaschutz ist die internationale Zusammenarbeit. In Europa werden derzeit wichtige Weichen gestellt, beispielsweise mit einer länderübergreifenden Offshore- und einer EU-Wasserstoff-Strategie. In beiden Feldern können wir mehr erreichen, wenn wir mit den europäischen Partnern zusammenarbeiten. Zentral hierbei ist es, Hemmnisse für den Ausbau der Erneuerbaren Energien abzubauen. Daneben sind der Ausbau von Kohlenstoffsenken, der Aus- und Umbau der europäischen Energieinfrastruktur und die Flexibilisierung beim Beihilferahmen elementar. Zu einem verantwortungsvollen Umbau gehört aber auch, eine jederzeit verlässliche Energieversorgung, die Bezahlbarkeit und soziale Ausgewogenheit für die Verbraucher sicherzustellen.

Blicken wir auf die globale Entwicklung, zeigen sich bereits große Fortschritte beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. Laut World Energy Outlook ist die Photovoltaik weltweit auf dem Vormarsch, ihr Anteil wird sich bis 2030 verdreifachen. Gleichzeitig geht – auch auf globaler Ebene – mit dem wachsenden Anteil Erneuerbarer Energien ein erhöhter Bedarf für Netzausbau und die Digitalisierung der Netze einher. Die Netze haben eine große Bedeutung für die Senkung der Treibhausgasemissionen, sie sind Teil des Gesamtsystems und müssen in diesem Sinne ertüchtigt werden. Auch hier tragen Investitionen zur Wertschöpfung bei und können Wachstumsimpulse auslösen.

Deutschland hat die Chance, Spitzentechnologie zu entwickeln und zu exportieren

Der World Energy Outlook zeigt aber auch: Um die Klimaziele zu erreichen, sind weltweit entschlossenere Maßnahmen erforderlich. Die Tatsache, dass Japan als viertgrößte Wirtschaftsmacht Ende vergangenen Jahres erklärt hat, ebenfalls bis 2050 Klimaneutralität anzustreben, gibt Hoffnung. Aber letztlich braucht es zusätzliche Anstrengungen weiterer großer Wirtschaftsmächte. Das gilt neben der EU insbesondere auch für die USA und Indien. Mit dem Wechsel im Weißen Haus sind diesbezüglich große Hoffnungen verbunden. Vor allem sollten wir auch hier wieder den Blick auf die Chancen richten, die im weltweiten Transformationsprozess hin zu einer nachhaltigen, CO2-armen Gesellschaft stecken: Umwelttechnologien werden weltweit nachgefragt werden. Deutschland hat hier die Chance, Spitzentechnologie zu entwickeln und zu exportieren. Deswegen ist der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft nicht nur klima-, sondern auch industriepolitisch sinnvoll. Der BDEW strebt einen breiten und ambitionierten Ansatz an, eine Einengung auf wenige Anwendungsfelder ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht geboten.

Die internationale Zusammenarbeit im Bereich Energie und Klimaschutz ist für Deutschland nicht nur auf Exportseite interessant. Deutschland und Europa werden beispielsweise auf den Import von Wasserstoff angewiesen sein. Kein Staat kann die Herausforderungen, die mit dem Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft verbunden sind, allein bewältigen. Wir müssen Partner werden, nicht Wettbewerber. Um frühzeitig ins Gespräch zu kommen, hat der BDEW gemeinsam mit dem Weltenergierat den «Ambassadors» Energy Talk» ins Leben gerufen. Vertreter von 23 Ländern aus aller Welt haben teilgenommen, um über die ökologischen und ökonomischen Potenziale von Wasserstoff zu sprechen, Möglichkeiten für Kooperationen auszuloten und über eine globale Wasserstoffwirtschaft zu beraten. Eine meiner wichtigsten Botschaften war schlicht: «Time is now!»

Ökonomie und Ökologie gehen nur gemeinsam. Die Unternehmen werden in Zukunft nur erfolgreich sein, wenn sie sich weiter in Richtung Klimaschutz orientieren. Umgekehrt gilt aber auch: Die Energiewende wird ohne die Unternehmen nicht gelingen. Die Unternehmen brauchen verlässliche politische Rahmenbedingungen. Die Energiewirtschaft hat gezeigt, dass ein ganzer Industriesektor den Wandel hin zu den Erneuerbaren Energien bewältigen kann.

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