«Wächterinnen der Ernährung»

Die indische Ökonomin Soumya Gupta über die zentrale Rolle von Frauen in der Landwirtschaft und warum ein wirkungsvoller Weg aus Armut und Hunger ohne sie nicht zu schaffen ist.

In einem ein Bericht von CARE heißt es, «Ausgegrenzt und zurückgelassen: ­Solange wir Frauen ignorieren, werden wir die Hungerkrise nicht lösen». Was genau ist damit gemeint und was müssten wir besser machen?

Soumya Gupta: Frauen spielen eine wichtige Rolle im Agrarsektor und stellen den Großteil der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte in Afrika südlich der Sahara und in Südasien. Gleichzeitig sind sie die Wächterinnen der Ernährung in ihren Haushalten. Unsere Arbeit am Tata-Cornell Institute für Landwirtschaft und Ernährung (TCI) in Delhi hat gezeigt: Wenn wir Frauen stärken, insbesondere in der Landwirtschaft, führt das nicht nur für sie selbst, sondern auch für ihre Familien zum Beispiel zu einer abwechslungsreicheren Ernährung. Wir wissen darüber hinaus, dass das Wohlergehen von Müttern Auswirkungen auf die Gesundheit, die Lernfähigkeit und schließlich sogar das Einkommen ihrer Kinder hat. Das findet viel zu wenig Beachtung, Frauen bekommen zu wenig Zugang zu Bildung und wichtigen Ressourcen.

Soumya Gupta

Gleichzeitig sind Frauen und Mädchen auch besonders von Hunger und Unterernährung bedroht …

… und diese Kluft hat sich seit der Covid-19-Pandemie noch vergrößert. Schätzungen gehen davon aus, dass insgesamt 60 Prozent aller unterernährten Menschen auf der Welt Frauen und Mädchen sind. Die Versorgung mit Lebensmitteln innerhalb eines Haushalts hängt ja auch davon ab, wer welche Nahrung erhält. Manchmal bekommen Jungen oder Männer mehr, da sie das Haupteinkommen erwirtschaften und daher Investitionen in ihre Ernährung den größten Nutzen für den Haushalt bringen. Das führt dann zu den weiteren Folgen von Ernährungsunsicherheit wie Prostitution und Kinderheirat, eine häufige Überlebensstrategie, da dann ein Familienmitglied weniger zu ernähren ist.

Wie kann der Kampf gegen Hunger Frauen und Mädchen gezielter ansprechen und unterstützen?

Das muss auf verschiedenen Ebenen geschehen. Da ist die lokale Gesetzgebung, da sind nationale Initiativen und Programme erforderlich, da sind soziokulturelle Normen in Frage zu stellen. Frauen müssen Land besitzen und erben können. Sie brauchen angemessene Löhne. Wichtig ist, sie in Netzwerke einzubinden und so den Zugang zu erschwinglichen Lebensmitteln zu ermöglichen. Ernährungsprogramme könnten bestimmte Lebensphasen wie Schwangerschaft oder Stillzeit begleiten, Informationen über Mangelernährung und Gesundheitsvorsorge sind unentbehrlich, um Unterernährung und entsprechenden Krankheiten vorzubeugen. Kommunikationsprogramme helfen, soziokulturelle Normen und Tabus anzusprechen und hier eine Bewusstseins- und Verhaltensänderung zu bewirken – auch diese Ebene gehört dazu, um die Lage von Mädchen und Frauen zu verbessern.

Was muss auf internationaler Ebene geschehen?

Wir müssen in eine Dateninfrastruktur investieren, um wirksam messen zu können, wo wir Fortschritte machen. Wir haben zwar viele Daten von nationalen Statistikämtern, brauchen aber dringend auch nationale und subnationale Erhebungen, um Indikatoren wie Lebensmittelpreise, Zugang der Haushalte zu Lebensmitteln und Ungleichheiten beim Lebensmittelkonsum zwischen Haushalten zu erfassen.

Was macht Ihnen in Bezug auf Hunger und Frauen die größten Sorgen?

Mich beunruhigt, dass viele Errungenschaften im Bereich Ernährung von Frauen durch die aktuelle Covid-19-Pandemie wieder zunichte gemacht werden. Seit Ausbruch der Pandemie mussten auch viele Haushalte Einbußen hinnehmen – insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Hinzu kamen Engpässe auf den lokalen Lebensmittelmärkten, das erschwerte den Zugang zu einer nährstoffreichen und abwechslungsreichen Ernährung weiter. Das heißt nicht, dass gesunde Ernährung vor der Pandemie für Arme erschwinglich war. Wie schockierend unerschwinglich gesunde Ernährung ist, wurde sowohl im Rahmen unserer Arbeit in Indien als auch von der FAO weltweit ausführlich dokumentiert.

Was stimmt Sie bei allem ein wenig hoffnungsvoll?

Ich bin zuversichtlich, dass wir in Zusammenarbeit mit dem Food Systems Summit der Vereinten Nationen immer besser verstehen werden, wie die verschiedenen Ursachen von Hunger und Unterernährung zusammenhängen, und dass wir dann faktengestützte, kontextspezifische Maßnahmen zu deren Bekämpfung entwickeln.


Soumya Gupta forscht als Ökonomin  beim Tata-Cornell Institute für Landwirtschaft und Ernährung in Delhi an der Schnittstelle von Ernährungssicherheit, Landwirtschaft und Ernährung von Müttern und Kindern. Derzeit konzentriert sie sich als Mitwirkende am TARINA-Projekt des TCI auf Forschungsdesign, Projektdurchführung und -bewertung sowie empirische Forschung. Soumya wurde vom International Council for Research on Women mit dem erstmals verliehenen Paula Kantor Award for Excellence in Field Research ausgezeichnet.

Jana Prosinger ist Leiterin der Global Unit for Feminism and Gender Democracy der Heinrich-Böll-Stiftung in Sarajevo (Bosnien und Herzegowina).

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