Ein Soldat posiert für die Kamera

Krieg. Macht. Hunger

Dass Menschen nichts zu essen haben – das ist auch das Ergebnis unverantwortlicher und böswilliger Kriegsparteien. An die Stelle der klischeehaften Worte und Bilder, die Fatalismus und Mitgefühl auslösen, muss eine Sprache der Verurteilung treten.

Was kommt uns in den Sinn, wenn wir an Hunger denken? Jahrzehntelange Kampagnen wohlmeinender Hilfsorganisationen und wohltätig gesinnter Rockmusiker beschwören Bilder von hilflosen Opfern herauf – aber niemals von Tätern. Daher betrachten wir Hunger als ein Phänomen höherer Gewalt, verursacht durch Umweltkatastrophen und Überbevölkerung; die Lösungen sind immer technischer oder karitativer Art – niemals politisch.

Nach Jahrzehnten des kontinuierlichen Rückgangs nimmt Hunger seit 2015 wieder stetig zu. Deswegen ist es zwingend, Hunger als ein Problem mit anthropogenen Ursachen oder Lösungen zu verstehen. Hunger wird häufiger durch politische Entscheidungen und Versäumnisse von Regierungen verursacht als durch schieres Unglück oder Knappheit. Er wird zunehmend mit gewaltsamen Konflikten in Verbindung gebracht. Es ist also kein Zufall, dass neben Hunger auch Konflikte in den letzten Jahren zugenommen haben.

Dieser Zusammenhang spiegelt sich auch geografisch wider: Weltweit befinden sich 155 Millionen Menschen in 55 Ländern/Gebieten in einer Ernährungskrise oder einer schlimmeren Situation. Für 100 Millionen von ihnen, in 23 der Länder, ist Konflikt die Haupt­ursache dafür. Nach Schätzungen des Welternährungsprogramms (WFP), das fast 80 Prozent seines Budgets in Konfliktgebieten ausgibt, leben mehr als 65 Prozent der hungernden Menschen der Welt in nur zehn kriegsgebeutelten Ländern. Faktoren wie Erd­erwärmung und Pandemien verursachen und verschärfen Hunger in der Welt zwar immer stärker, doch bleibt die wichtigste «Variable» unbestreitbar: Krieg.

Konflikt und Hunger: Eine kausale Beziehung

Vieles deutet darauf hin, dass ein Kausalzusammenhang zwischen Hunger und Konflikten besteht – Krieg führt zu Hunger. In einigen Fällen sind die Zusammenhänge schockierend vorsätzlich und direkt: Auf ziviler Infrastruktur beruhende ­Nahrungsmittelsysteme werden absichtlich zerstört; Anbau und Vieh geraten ins Visier staatlicher und nichtstaatlicher Akteure. In anderen Fällen sind die Zusammenhänge weniger direkt, aber dennoch bewusst herbeigeführt: So werden beispielsweise neben militärischen Strategien auch Wirtschaftsblockaden und Einfuhrbeschränkungen verhängt, um Druck auf die Bevölkerung in bestimmten Gebieten auszuüben.

In anderen Fällen ergibt sich Hunger als unbeabsichtigte («strukturelle») Folge von Konflikten aus den Kriegswirren: Arbeitslosigkeit, steigende Lebensmittelpreise, gekappte Versorgungsketten und Vertreibung von Menschen in großem Umfang. Letzteres steht in engem Zusammenhang mit Hunger und Konflikt. Geflüchtete und Binnenvertriebene sind unter den hungernden Bevölkerungsgruppen besonders stark vertreten. Kurzfristig erschwert die Nahrungsmittelversorgung der Vertriebenen, dass sie sich in Lagern in abgelegenen Gebieten aufhalten, die für humanitäre Hilfeteams schwer zugänglich sind. Einige sind in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt und sitzen zwischen Checkpoints quasi in der Falle, sodass Sekundärmigration als Überlebensstrategie unmöglich wird. Längerfristig sind viele derjenigen, die es in die städtischen Gebiete schaffen, mit Diskriminierung, Arbeitslosigkeit und Inflationsdruck konfrontiert, was den Zugang zu gesunden Lebensmitteln weiter erschwert. Auch diese Schwierigkeiten sind das Ergebnis politischer und wirtschaftlicher Veränderungen – nicht von schlechtem Wetter oder unglücklicher Fügung.

Jede dieser drei verschiedenen Erscheinungsformen konfliktbedingten Hungers lässt sich im Jemen und in Tigray beobachten, wo Regierungstruppen Aufstände niederschlagen, indem sie brutal gegen ihre eigene Bevölkerung Krieg führen. Im ersten Fall wurde der Konflikt von außen durch eine (von den Vereinigten Staaten unterstützte) Saudi-Koalition geschürt und internationalisiert. Im zweiten Fall haben die Truppen des Nachbarlandes Eritrea dazu beigetragen, dass rund 350.000 Zivilisten in eine Hungersnot geraten sind. Bei beiden Konflikten lässt sich eine Kombination aus direkten, indirekten und strukturellen Zusammenhängen zwischen Konflikt und Hunger feststellen.

Gleichzeitig spiegeln beide Szenarien eine allgemeine Tendenz wider: Weg von konventioneller Kriegsführung zwischen zwei uniformierten Armeen hin zu asymmetrischer, langwieriger ziviler Gewalt. An diesen sogenannten «neuen Kriegen» sind häufig nichtstaatliche Akteure beteiligt, die zum Leid der Zivilbevölkerung beitragen und es verschlimmern: Den Houthi-Rebellen im Jemen und in jüngerer Zeit der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) wurde jeweils vorgeworfen, dass sie humanitäre Organisationen wie das Welternährungsprogramm strategisch daran hindern, die hungernde Bevölkerung zu unterstützen.

Was ist zu tun?

US-Präsident Joe Biden hat vor Kurzem eine Neuausrichtung der US-Außenpolitik angekündigt, in der Diplomatie Vorrang vor Krieg hat. Dies ist eine willkommene Entwicklung. Ein Ende des Hyper-Nationalismus, der Kriegstreiberei und der nicht enden wollenden Konflikte der letzten Jahrzehnte ist unabdingbar, wenn der weltweite Hunger nicht weiter ansteigen soll. Es ist noch zu früh, um zu sagen, ob sich hier ein grundlegender Wandel ankündigt. Aber nach zwei Jahrzehnten des verheerenden und traumatischen «Krieges gegen den Terror» braucht es nichts Geringeres als einen «Krieg gegen den Krieg», in den Worten Joshua Goldsteins.

Auch die Wahrnehmung des Friedens muss sich ändern und seine positiven wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen müssen stärker betont werden. In den letzten Jahren wurde Frieden fälschlicherweise getrennt von den Prioritäten des Wirtschaftswachstums betrachtet – als eine Art optionales Extra und nicht als ein Kernstück von Entwicklung. Staaten wie Äthiopien, die in den letzten Jahren hohe Wachstumsraten zu verzeichnen hatten, betrachten Frieden wohl als ein weniger wichtiges Gut, das nichts mit der Entwicklung zu tun hat. In den kommenden Jahren muss die Förderung «friedlicher und inklusiver Gesellschaften» (SDG 16) sinnvoll in die Entwicklung integriert werden, damit die politischen Eliten sich (Bürger-)Kriege allein schon wirtschaftlich nicht mehr leisten können.

Kinder holen Wasser
Kinder holen Wasser an einer karitativen Wasserstelle in Sanaa, Jemen.

Wir brauchen stärkere Unterstützung für die hungernden Bevölkerungsgruppen. Neben humanitären Maßnahmen ist es entscheidend, die Rechte der durch Krieg entwurzelten Menschen zu stärken. Die bestehende Architektur zum Schutz für Asylsuchende wird von Unterzeichnerstaaten der Flüchtlingskonvention von 1951 und des dazugehörigen Protokolls von 1967 heute ausgehöhlt. Migrationspolitik muss von Grund auf neu gedacht werden und muss Hoffnung und dauerhafte Lösungen für Geflüchtete und Binnenvertriebene in den Lagern und weit darüber hinaus bieten.

Letztlich – und das ist vielleicht das Wichtigste – müssen die Verursacher von Hunger zur Rechenschaft gezogen werden. Wir müssen davon ausgehen, dass Hunger nicht einfach so passiert. Hinter Hunger steht Täterschaft. Wie Alex de Waal feststellt, ist das englische Verb «starve» transitiv: Es kann verhungern heißen – aber auch aushungern. Hunger sollte als das gesehen werden, was er wirklich ist: das Ergebnis unverantwortlicher, gefühlloser und böswilliger Kriegsparteien. An die Stelle der klischeehaften Worte und Bilder, die bei Betrachter*innen Fatalismus und Mitgefühl auslösen, muss eine Sprache der Verurteilung treten. Wo Hunger nachweislich auf klaren Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit oder Inkompetenz zurückzuführen ist, sollte er von internationalen Institutionen und Behörden stigmatisiert und geächtet werden. Nur so lässt er sich als die entsetzliche Massengräueltat, die er ist, bekämpfen.


Ali Nobil leitet das African Migration Hub der Heinrich-Böll-Stiftung in dem neuen Büro am Horn von Afrika.

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