Ja, denn es gibt längst Alternativen zu Meta.

«Ist es verantwortungslos, weiter bei Facebook, Instagram und WhatsApp angemeldet zu sein?»

Das Internet wäre nicht zu dem geworden, was es heute ist, ohne den Netzwerk­effekt. Also ohne das Phänomen, dass alle dort hingehen, wo alle sind, weil da alle sind. Dort gibt es das ganze Schöne und Dopaminauslösende, was Onlineplattformen wie Facebook, Whatsapp und Instagram, aber auch Tiktok, Twitter oder Snapchat so bieten: Herzchen und Likes, Bestätigung und Voyeurismus, Ästhetik und das Gefühl, immer mit jemandem verbunden zu sein. Klar, es gibt auch den Hass, die Shitstorms und das Stalking, aber das hat noch nicht dazu geführt, dass Nutzer:innen die Plattformen in Scharen verlassen, sonst wäre ja kaum noch jemand da.

Der Netzwerkeffekt ist deshalb so toxisch, weil er immer den marktmächtigsten Player stärkt. Und weil jede und jeder, der:die mitmacht, gleich doppelt dazu beiträgt: Einerseits durch die eigene Nutzung. Und andererseits dadurch, dass andere, die diese Beiträge verfolgen möchten, zur Nutzung gezwungen werden.

Die Plattformen bedienen sich dabei durchaus Methoden, für die es auf der hohen Schule der Manipulation eine Auszeichnung mit Sternchen gäbe. Snapchat zum Beispiel und seine Snapstreaks. Das ist ein kleines Flammensymbol und eine Zahl daneben. Die gibt an, wie viele aufeinanderfolgende Tage man mit der betreffenden Freundin mindestens ein Foto täglich geteilt hat. Einen Tag ausgelassen – und der Zähler steht wieder auf null. Wer macht das schon, wenn dort vorher eine 274 stand? Aber: Darf man sich so behandeln lassen als mündige Bürgerin und Verbraucher, die:der wir doch immer sein wollen?

Schauen wir mal auf die Body-Positivity-Bewegung, die ganz maßgeblich auf Instagram stattfindet und deren Bedeutung für die Debatte um Körperbilder kaum zu unterschätzen ist. Doch gleichzeitig wird sie von den Plattformen rücksichtslos instrumentalisiert. Schließlich geht es den Konzernen nicht um positiven gesellschaftlichen Impact – auch wenn sie selbst das gerne so darstellen –, sondern um das Maximieren der auf der Plattform verbrachten Zeit und das Verkaufen von Werbung. Und das funktioniert immer noch am besten im Kontext des normschönen Körpers.

So tragen alle Nutzer:innen mosaikartig dazu bei, einen sowieso schon mächtigen Konzern zu einem noch mächtigeren Gatekeeper zu machen. Dieses Problem haben auch die EU-Gremien endlich erkannt und adressieren es in einem ihrer aktuellen Gesetzesvorhaben, dem Digital Markets Act. Das Problem ist: Der Gesetzgeber kann sich noch so viel Mühe geben, Brücken zu bauen. Wenn niemand rübergeht, dann gibt es auch keine. Denn der Netzwerkeffekt funktioniert auch umgekehrt: Wo (fast) niemand ist, geht niemand hin. Es gibt alternative Open-Source-Plattformen, die ihre Nutzer:innen weder tracken noch mit Werbung zumüllen. Was sie aber nicht haben: ein gut ausgestattetes Marketingbudget.

Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hatte es bei der vergangenen Digitalkonferenz re:publica so schön gesagt: „People have a life.“ Die meisten Menschen haben einfach nicht die Kapazität, sich neben dem ohnehin schon heraus- und mitunter überfordernden Leben auch noch um Datenschutzbedingungen zu kümmern. Es muss also jemand anfangen, der oder die es kann. Jemand mit politischem Bewusstsein. Mit der ausreichenden Zeit und Reflexionskapazität, sich Gedanken darüber zu machen, ob Datenschutz vielleicht etwas mehr ist als der Schutz von Nullen und Einsen. Jemand, der:die den Weg bereiten kann dafür, dass die heutige Nische zum Standard der Zukunft wird. Das betrifft Privatpersonen genauso wie Verbände und NGOs, die das Potenzial haben, ungleich mehr Follower:innen mitzubewegen.

Wie das gehen könnte, zeigt sich übrigens gerade in Ansätzen auf dem Markt der Messengerdienste. Seit einer etwas kryptischen Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von WhatsApp melden Alternativen wie Signal und Threema einen deutlichen Zuwachs bei den Nutzer:innenzahlen. Und auf individueller Ebene kommt auf einmal die Erkenntnis: Es geht auch ohne den Marktführer. Es ist ein Anfang.


Svenja Bergt ist Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt bei der taz. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte sind Themen aus dem Bereich Netzökonomie und Verbraucherschutz.

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