Blinder Glaube

Künstliche Intelligenz, Geoengineering: Angeblich sollen Technologien die Welt retten, ohne dass wir unser Verhalten ändern müssen. Die Folgen dieses Hypes kann (und darf) indes kaum jemand einschätzen.

In einer Zeit, in der die Welt eine noch nie da gewesene Erosion biologischer und kultureller Vielfalt erlebt, muss die Gesellschaft auch die rasante Entwicklung extremer Technologien berücksichtigen. Das gilt für datengesteuerte Technologien bis hin zu synthetischer Biologie und Versuchen, das gesamte Erdsystem zu manipulieren. Meist sind es mächtige transnationale Unternehmen, die diese Technologien auf den Markt bringen, unterstützt von Staaten, die im internationalen Wettlauf nicht ins Hintertreffen geraten wollen. Dabei gibt oft das Wissen lokaler und indigener Communities, insbesondere von Frauen, wirkungsvolle Antworten auf die Biodiversitäts-, Klima- und
Ernährungskrise der Menschheit.

Um nun in Hinsicht auf diese neuen Technologien einen angemessenen Rechtsrahmen zu schaffen, brauchen wir transparente Kontrollsysteme, um ihre potenziellen Vor- und Nachteile zu bewerten. Man spricht hier von  Technologiefolgenabschätzung (TA).

Ginge man nach den in den Medien gehypten Versprechungen, käme man zu dem Schluss, dass unsere Zukunft unvermeidlich von Technologien wie künstlicher Intelligenz (KI), Gentechnik (GT) und der  Manipulation des Erdsystems (Geoengineering) geprägt sein wird. In Wirklichkeit aber sind dies alles Beispiele für Technologien, die den Markt bereits erreicht haben, bevor sie auf ihre potenziellen Risiken für Gesellschaft und Umwelt hin bewertet wurden. Sie sind zumeist auch ein Produkt von Szientismus – des blinden Glaubens, dass allein Naturwissenschaften und von ihr abgeleitete Technologien die Probleme der Menschheit lösen können.

In den 90er Jahren zum Beispiel behaupteten Gentechnik-Befürworter*innen, dass sich mit dieser Technik die Welt ernähren und der Einsatz giftiger Chemikalien reduzieren ließe. 30 Jahre später sind mehr als 800 Millionen Menschen unterernährt, und in unserer Nahrung, unseren Körpern und unserer Umwelt zirkulieren so viele giftige synthetische Chemikalien wie nie zuvor. Und zwar in besonders hohem Maße bei der Nutzung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen. Auswirkungen, die bereits in den frühen Entwicklungsphasen der Gentechnik vorhergesagt wurden. Dennoch war und bleibt der Gesellschaft fast jede Möglichkeit verwehrt, Gentechnik einem systematischen TA-Prozess zu unterziehen.

Eine TA ermöglicht bestehende Technologien zu bewerten und Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Am wirksamsten ist sie jedoch, wenn sie bereits im Vorfeld verschiedene Optionen für die Zukunft prüft. So lassen sich schädliche Auswirkungen noch vor Einführung neuer Technologien antizipieren und verhindern. Denn sind sie erst einmal auf dem Weltmarkt eingeführt, argumentiert die Industrie, dass die Überwachung ihrer Auswirkungen zu kostspielig sei. Je stärker sich eine Technologie durchgesetzt hat, desto schwieriger wird es, sie zu überwachen oder zu steuern.

Die besten TA-Ansätze bringen hingegen bereits in einem frühen Stadium der Technologieentwicklung vielfältiges Wissen und verschiedene Perspektiven in die politische Entscheidungsfindung ein, in der Regel im Rahmen eines deliberativen Forums. Die Teilnehmenden können alternative Lösungsansätze für die Probleme vorschlagen, die die neue Technologie laut ihren Befürworter*innen zu lösen verspricht.

Gelingt es uns nicht, solch integrative und rechenschaftspflichtige TA-Systeme aufzubauen, liegen die Entscheidungen über risikoreiche Technologien praktisch in den Händen von Milliardär*innen, Großunternehmen und deren Lobbys. Bill Gates etwa fordert die Welt auf, dem Beispiel seines Unternehmens zu folgen und bis 2030 «netto» klimaneutral zu werden. Dies würde bedeuten, dass wir die Kontrolle über unsere Ökosysteme an digitale Unternehmensplattformen abgeben und weltweit Geoengineering-Techniken einführen.

Die Politiker*innen sscheinen immer stärker zu solchen risikoreichen Ansätzen zur Bekämpfung des Klimawandels zu neigen, obwohl derzeit keine Beweise dafür vorliegen, dass sie überhaupt funktionieren würden. Die eigentliche Ursache des Klimawandels – ein auf fossilen Brennstoffen basierendes industrielles Produktions- und Konsumsystem – bliebe durch Geoengineering unangetastet, sodass sich der Klimawandel mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter beschleunigen würde.

Inzwischen arbeiten die Tech-Tintanen auch mit John Deere, Bayer und anderen landwirtschaftlichen Megakonzernen zusammen, um das Ökosystem auf der Erde bis ins letzte Detail zu digitalisieren und Beschäftigte in Landwirtschaft und Fischerei durch Präzisionsroboter und neue Chemikalien zu ersetzen. Sie fördern strategisch jede noch so weit hergeholte Technologie, um den Status quo zu erhalten, der ihren Interessen entspricht.

50 Jahre nach der ersten Stockholmer Konferenz beweisen uns mehrere Umwelt- und Gerechtigkeitskrisen, wie schlecht uns eine Politik gedient hat, die auf unternehmerischem Hype basiert. Echte nachhaltige Governance muss in den kommenden Jahren partizipativen Formen der TA Vorrang einräumen, damit Entscheidungen über die Zukunft der Menschheit kritisch und verantwortungsbewusst getroffen werden.


Dieser Artikel wurde von der ETC Group verfasst. Die Organisation setzt sich dafür ein, der Menschheit mehr Kontrollmöglichkeiten über neue Technologien zu geben – und widersetzt sich der Dominanz von Unternehmen auf die Gestaltung des Planeten. 

This article is licensed under Creative Commons License