Die Welt reparieren

Sie kümmern sich darum, dass Biomüll in Indien kompostiert wird, schaffen Wasserreservoirs in Mexiko und stellen Photovoltaikanlagen in Kanada auf: Porträts von sechs Agentinnen des öko-sozialen Wandels aus sechs Ländern.

«Eine mentalitäts­verändernde Firma»

Poonam Bir Kasturi, 60, Bengaluru, Indien, Gründerin von Daily Dump

Gezeichnetes Bild von Poonam Bir Kasturi

Sechzig Prozent des städtischen Mülls in Indien besteht aus organischem Abfall. Wenn dieser zusammen mit anderweitigem Müll zur Deponie gefahren wird, kostet das nicht nur viel Geld, sondern verursacht auch Emissionen. Eine Verschwendung, sagt Poonam Bir Kasturi: «Bio-Müll besteht zu 70 Prozent aus Wasser. Also fahren wir im Grunde Wasser durch die Gegend. Das ist so ineffektiv.»

Aus diesem Grund hat sie Daily Dump gegründet. Die Firma bietet verschiedene Behältnisse an, in denen Stadtbewohner*innen ihren Biomüll kompostieren können. Doch die Produkte selbst sind nur ein kleiner Teil. «Wir bezeichnen uns als eine mentalitätsverändernde Firma. Wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass die Leute sehr schwarz-weiß Denken: Entweder ist es Müll oder es ist eine Ressource.» Mit der Webseite, Videos und Workshops versucht Daily Dump, solche Einstellungen zu verändern – und zu zeigen, dass Müll auch eine Ressource sein kann.

Früher erklärte Kasturi als «Compostwali» auf Social Media ihre Produkte und war das Gesicht der Marke. Doch um alle Menschen in diese ökologische Transformation miteinzubeziehen, sei es wichtig, als «Gründerinnenfigur» zurückzutreten, sagt sie. «Die Distanz zwischen mir und dem Produkt ist jetzt so groß, dass Menschen es nicht mehr unbedingt mit mir assoziieren. Sie assoziieren es mit sich selbst. Und das ist wichtig, denke ich.»


«Ein ganzheitlicher Ansatz für Reparatur»

Victoria Collier, 47, San Miguel de Allende, Mexiko, Mitgründerin und Leiterin des Tikkun Eco Center

Gezeichnetes Bild von Victoria Collier

Vor elf Jahren begannen die US-Amerikanerin Victoria Collier und ihr Partner Ben Zion Ptashnik, ein Stück Land in Zentralmexiko in eine Permakultur zu verwandeln. Das Zentrum ist benannt nach dem hebräischen Prinzip «Tikkun Olam», oft wird der Begriff als «Reparatur der Welt» übersetzt. «Für mich geht es bei dem Begriff Tikkun um einen ganzheitlichen Ansatz für ‚Reparatur‘. Es geht darum, uns selbst zu heilen und auch unsere Gemeinschaft», erklärt Collier.

Deshalb geht es in ihrer Arbeit nicht nur um die Permakultur, sondern auch um die Dorfbewohner*innen rund um das Tikkun Eco Center. Eines der wichtigsten Projekte in dieser Hinsicht war daher die Restauration des lokalen Wasserreservoirs. Die Gegend um San Miguel de Allende ist trocken. Deshalb ist es geboten, das Wasser in der Monsunzeit von Juni bis Oktober aufzufangen, um es in den anderen Monaten für Tiere und Landwirtschaft verwenden zu können.

Wie bei all ihren Projekten bezogen Collier und ihr Partner die Gemeinschaft direkt in die Entscheidungsprozesse ein. «Wir präsentierten unsere Vorschläge und jede*r konnte darüber abstimmen. Wir machen nicht einfach irgendwas in der Community. Sie müssen das wollen und dem zustimmen.» Das ist laut Collier für den Erfolg solcher Projekte sehr wichtig. «Man sollte keinen Top-down-Ansatz verfolgen. Wenn Menschen in eine Gemeinschaft kommen, die über mehr Ressourcen, Erfahrung oder Wissen verfügen, dann haben sie manchmal die Tendenz, ihre Lösungen anderen aufzuzwingen.»


«Das Geld bleibt in der Gemeinschaft”

Jennifer Bryan, 43, Toronto, Kanada, Senior Campaign Manager für Solar Share

Gezeichnetes Bild von Jennifer Bryan

«Unser Ziel ist eine Energiegemeinschaft», sagt Jennifer Bryan von Solar Share. Die Firma baut mit Hilfe großer Investor*innen Photovoltaikanlagen auf Dächern oder ungenutzten Flächen innerhalb der Provinz Ontario. Die Provinzregierung kauft den durch diese Anlagen generierten Strom zu einem festgelegten Preis. Einzelpersonen oder Organisationen können für ein Minimum von 100 kanadischen Dollars Anleihen erwerben und erhalten zweimal jährlich Zinszahlungen. «Wir sind eine Non-Profit-Kooperative. Also, alle Einnahmen werden dafür verwendet, die Investitionen zurückzuzahlen, die Systeme am Laufen zu halten und die Kooperative zu betreiben. Das gesamte Geld bleibt in der Gemeinschaft.» Für Bryan ist eine Kooperative wie Solar Share eine gute Möglichkeit, viele Menschen an der Energiewende zu beteiligen: «Die meisten von uns haben kein eigenes Dach oder ein Grundstück, um unsere eigene Solaranlage aufzustellen. Aber wir möchten ein Teil davon sein.» Die Option zu investieren motiviert laut Bryan mehr Menschen, sich am Ausbau nachhaltiger Technologien zu beteiligen: «Man kann viel über Solarenergie sprechen. Aber wenn Menschen ein bisschen Geld damit verdienen können, werden sie auf einmal hellhörig. Es ist leider so: Wenn wir ökonomische Interessen mit etwas verbinden können, funktioniert eine Transformation manchmal einfach schneller.»


«Das Grün auf unseren Hügeln verschwand»

Sofia Luna Quispe, 18, Lima, Peru, Studentin und Aktivistin

Gezeichnetes Bild von Sofia Luna Quispe

«Ich rede immer wieder über meinen Distrikt, denn dieser Ort hat mir so viel beigebracht», sagt Sofia Luna Quispe. Sie lebt in Comas, einem der am dichtesten besiedelten und ärmsten Distrikte der peruanischen Hauptstadt Lima. In der Schule hörte sie zum ersten Mal von den Zielen für nachhaltige Entwicklung der UN. «Dadurch wurde mir klar, dass meine Community viele Konsequenzen der Klima­krise zu spüren bekommt. Das Grün auf unseren Hügeln verschwand langsam, die Umweltverschmutzung wurde immer schlimmer. Und häufig hatten wir kein Wasser oder keinen Strom. Aber wir wussten nicht, dass diese Probleme mit der Klimakrise zusammenhängen.»

Seitdem engagiert sich Luna Quispe für Nachhaltigkeit: zum Beispiel bei der Re-Earth-Initiative, die Klimaaktivismus für alle zugänglich machen will. Aber auch lokal ist Luna Quispe aktiv, etwa in dem Projekt Ollas Sostenibles, zu dem unter anderem ein Gemeinschaftsgarten mit Küche gehört. Menschen, die von der Klimakrise besonders betroffen sind, müssen auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit miteinbezogen werden, sagt Luna Quispe: «Wenn international Entscheidungen getroffen werden, sprechen Leute über Lösungen, ohne dass wir mit am Tisch sitzen.» Besonders wichtig ist ihr, dass Menschen aus den betroffenen Ländern und Communities als ernstzunehmende Akteur*innen betrachtet werden: «Wir wollen kein Mitleid. Wir wollen nicht nur als Opfer gesehen werden, sondern auch als Changemaker.»


«Die Zusammenarbeit immer neu gestalten»

Yvonne Holzinger, 34, Ettlingen, Deutschland, Teamleiterin bei der AfB

Gezeichnetes Bild von Yvonne Holzinger

Sozial und ökologisch arbeiten, das ist das Anliegen der AfB. Die Abkürzung steht für «Arbeit für Menschen mit Behinderung». Das Unternehmen kauft Hardware wie Notebooks oder Diensthandys von Firmen und Behörden an. Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten diese auf, bevor sie wieder verkauft werden. Dadurch werden Tonnen an Rohstoffen und CO2 eingespart. Auch das hat soziale Auswirkungen, denn so werden der Lithium-Abbau für Akkus oder die Entsorgung von Elektroschrott im Globalen Süden vermieden.

Yvonne Holzinger leitet seit anderthalb Jahren ein Team von Mitarbeiter*innen mit und ohne Behinderung. «In meinem Team treffen verschiedene Charaktere aufeinander. Das ist auch das Spannende, das die Zusammenarbeit immer neu gestaltet. Kein Tag ist wie der andere.» In ihrem Umfeld sind Menschen manchmal verwundert, dass sie mit Menschen mit Behinderung zusammenarbeitet. «Es ist verrückt, dass das immer noch etwas Besonderes ist», sagt Holzinger. Für sie sollten Firmen heutzutage selbstverständlich sozial, aber auch ökologisch agieren. «Ich finde es ist einfach zeitgemäß, dass Unternehmen Verantwortung in beiden Bereichen übernehmen.»


«Arbeitsplätze für viele Menschen»

Farhana Hussain, 24, London, Großbritannien, Senior Energy and Carbon Analyst bei Salix Finance

Gezeichnetes Bild von Farhana Hussain

Bei der Klimakrise müssen alle mit ran. Nicht nur Privatleute, auch der öffentliche Sektor. Salix Finance ist ein staatliches Unternehmen, das Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser oder Universitäten bei der Dekarbonisierung unterstützt. Diese können Gelder für zum Beispiel Wärmepumpen, Photovoltaikanlagen oder Biomasse-Heizsysteme beantragen.

Farhana Hussain prüft, ob das Vorhaben technisch stimmig ist. «Wir schauen uns das ganze Gebäude an. Denn wenn man etwa nur die Heizanlage betrachtet und womit man diese ersetzen kann, aber nicht die Energieeffizienz des Gebäudes bedenkt, zum Beispiel die Isolierung, könnte man die neuen Heizsysteme zu groß planen.» Hussain denkt nicht, dass es durch den Umstieg auf nachhaltigere Technologien zukünftig viele Arbeitslose geben wird: «Wenn jemand zum Beispiel einen Hintergrund in fossilen Brennstoffen hat, dann ist das eine sehr gute Basis, um mit nachhaltigen Energien zu arbeiten. Das ist ein so großer Sektor. Ich denke, dass er Arbeitsplätze für viele Menschen bietet.»


Christina Focken schreibt und studiert Global Studies in Berlin. Ihren Bachelor absolvierte sie in Regionalstudien Asien/Afrika und Gender Studies.

Franz Lang lebt als Künstlerin und Illustratorin in London. 

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