Stopp «auf dem Highway in die Klimahölle»

Nicht nur das Klima erhitzt sich gefährlich, der Mensch zerstört auch die Natur und damit seine eigenen Lebensgrundlagen. Zugleich werden Rohstoffe rar und Energie teuer. Die steigenden Preise belasten Verbraucherinnen und Verbraucher, Populisten gewinnen an Zulauf. Die Menschheit steckt in einer existenziellen Krise, ihre Welt steht mehrfach unter Druck. 

Umwelt und Mensch unter Druck: Gefährliche Erhitzung des Klimas

Mindestens 15.000 Menschen sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 2022 aufgrund von Hitze in Europa vorzeitig gestorben, davon 4.500 in Deutschland mit seinen Temperaturen von teils mehr als 40 Grad. Europa erlebte - das zeigen Daten des europäischen Klimawandeldienstes Copernicus - den heißesten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Die Klimaerhitzung macht sich gefährlich bemerkbar, weltweit.

Beispiel Pakistan

Besonders extrem traf es im Jahr 2022 Pakistan: Im Frühjahr litten die Menschen dort zunächst unter einer lang anhaltenden und brutalen Hitze. Am 14. Mai wurden in Jacobabad 51 Grad Celsius gemessen. Ernten fielen aus. Wälder brannten. Dann, im Sommer, folgten extreme Monsunregen, Wohnhäuser wurden zerstört, Straßen und Brücken weggerissen, Acker weggespült. Zeitweise stand ein Drittel des Landes unter Wasser, 33 Millionen Menschen waren betroffen, mehr als 1.700 Menschen starben, 13.000 wurden verletzt, acht Millionen mussten ihre Städte und Dörfer verlassen. Die Weltbank beziffert die Höhe der entstandenen Schäden auf mehr als 30 Milliarden US-Dollar. Und am Horn von Afrika blieb im Herbst wieder der Regen aus, zum fünften Mal in Folge, die Menschen in Kenia, Somalia und Äthiopien sind von Hunger bedroht.

Wetterextreme auch in Deutschland

Mit dem Klimawandel werden Wetterextreme wahrscheinlicher. Das zeigen die Forschenden der World Weather Attribution (WWA). Ein Ergebnis ihrer Modellrechnungen: Die extremen Regenfälle in den pakistanischen Provinzen Sindh und Balochistan waren 75 Prozent intensiver, als sie es ohne die globale Erwärmung gewesen wären. Ein anderes Ergebnis: Der Klimawandel hat die extreme Trockenheit im Jahr 2022 in Deutschland und anderswo 20-mal wahrscheinlicher gemacht. Es war nicht nur heiß, es fiel auch wenig Regen. 

Im Rhein tauchte plötzlich das Wrack des vor fast 130 Jahren gesunkenen Frachtschiffs «De Hopp» auf. Der Schiffsverkehr: eingeschränkt. Das Wasser war so flach, dass Frachter teils nur noch einen Bruchteil ihrer Ladung transportieren konnten. Sie wären sonst auf Grund gelaufen. Feuer fraßen sich durch ausgedörrte Wälder. Böden trockneten mancherorts aus - das zeigen die Deutschlandkarten des Dürremonitors vom Helmholtzentrum für Umweltforschung, (UFZ).

2,4 Grad wärmer

«Wir sind auf einem Highway in die Klimahölle und haben den Fuß auf dem Gaspedal», sagt UN-Chef António Guterres. In Deutschland ist die Temperatur bereits um 2,3 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau gestiegen. Das ist mehr als im globalen Durchschnitt, der liegt bei 1,2 Grad. «Landgebiete erwärmen sich etwa doppelt so schnell wie der globale Schnitt, bei dem auch die Meeresgebiete einbezogen sind, über denen sich die Luft aber weniger schnell aufheizt», erklärt der Klimaforscher und Ozeanograf Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Mit dem Pariser Klimaabkommen hat sich die Menschheit 2015 vorgenommen, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Nur: Nach derzeitigem Trend schafft sie das nicht. Die weltweite Tendenz läuft bisher, so schätzen Expertinnen und Experten, auf 2,4 Grad hinaus, im Schnitt. Für Deutschland bedeutet das: etwa 5 Grad. «Noch ist es aber möglich, die Erderwärmung auf nahezu 1,5 Grad zu begrenzen», sagt Rahmstorf, «Klimaschutz muss dafür allerdings höchste Priorität bekommen.» 

Grafik: Mittlere Lufttemperatur in Deutschland von 1881 bis 2023


Natur und Mensch unter Druck

Eine Grafik von einer fiebernden Erde. Eine besorgte Person hält eine Kühlkompresse dagegen.

Je grüner, desto artenreicher

Die Menschheit treibt nicht nur die Erderwärmung voran, weil sie zu viel des klimaschädlichen Kohlendioxids in die Atmos­phäre ausstößt. Sie zerstört auch die Natur. Dabei hängt sie von intakten Ökosystemen ab, in denen zum Beispiel Nutzpflanzen von Bienen, Schmetterlingen und Schwebfliegen bestäubt werden. Der Weltbiodiversitätsrat IPBES schätzt den Wert der Bestäubung auf weltweit 235 bis 577 Milliarden US-Dollar – jährlich. Doch hat der Mensch seit 1970 zum Beispiel durchschnittlich 69 Prozent aller bekannten Populationen von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien vernichtet. Das zeigt der Living Planet Report, den der Umweltverband WWF veröffentlicht. Ihre Lebensräume werden genutzt, gerodet, zerstört, Umweltverschmutzung und Klimawandel setzen ihnen zu. Miles Richardson, der als Professor an der Universität von Derby in Großbritannien zu Humanfaktoren und Naturverbundenheit forscht, hat die Biodiversity-Stripes entworfen – je grüner, desto artenreicher, je grauer, desto artenärmer. Im Dezember 2022 hat sich die Weltgemeinschaft auf ein UN-Biodiversitätsabkommen geeinigt: Sie will den Trend zu grau stoppen.

Mehr dazu: 

Boden gutmachen

Jedes Jahr verliert die Welt eine Fläche mit fruchtbaren Böden von der Größe Bulga­riens. «Gut 700 Millionen Menschen könnten in den nächsten 30 Jahren zur Flucht gezwungen sein, wenn die Landdegradierung im selben Maße wie bislang voranschreitet», warnte schon vor längerem Ibrahim Thiaw, Exekutivsekretär des Sekretariates des Übereinkommens der UN zur Bekämpfung der Desertifikation (UNCCD). Die Vernichtung der Böden koste täglich rund 1,3 Milliarden US-Dollar – fast eine halbe Billion US-Dollar im Jahr. Deutschland will den Flächenverbrauch bis 2030 auf maximal 30 Hektar pro Tag verringern. Derzeit liegt er bei 54 Hektar.


Haushalte unter Druck

 Eine Grafik zu Kosten in der jetzigen Wirtschaft

Die Zahl: Inflationsrate 2022, 7,9 Prozent. Es ist der höchste Wert seit der Wiedervereinigung. Verbraucherinnen und Verbraucher können sich immer weniger für ihr Geld leisten. Schon die Corona-­Krise, brüchige globale Lieferketten und schlechte Ernten hatten zu einer Verringerung des gesamtwirtschaftlichen Güterangebots geführt und Preise steigen lassen. Dann kam der 24. Februar 2022, Russland griff die Ukraine an. Die Europäische Union und andere internationale Organisationen verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Die Preise: Sie explodierten. Das belastet Ärmere besonders.

Geld verbrennt

Ein Viertel aller Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sind von sogenannter Energiearmut bedroht, sie geben also mehr als zehn Prozent ihrer Einkommen für Heizen, Strom und Warmwasser aus. Im Jahr 2021 waren es noch 14,5 Prozent. Das rechnete das Institut der Deutschen Wirtschaft im Mai 2022 vor. Seit 2020 waren laut Statistischem Bundesamt die Energiepreise drastisch gestiegen – Strom um 23 Prozent, Erdgas um 40 Prozent, Heizöl um 100 Prozent. Die staatlichen Entlastungspakete gab es da noch nicht. Später versprach Bundeskanzler Olaf Scholz: «You´ll never walk alone», kein Mensch solle mit den Energiekosten und der Inflation allein gelassen werden. Seither hat die Bundesregierung unter anderem Wohn- und Bürgergeld reformiert sowie Strom- und Gaspreisbremsen aufgesetzt. Doch erst Effizienzprogramme und der Ausbau von erneuerbaren Energien, die in Zukunft günstiger sein werden als konventionelle, versprechen dauerhafte Entspannung. 

Die im Dunkeln sitzen

Der Kühlschrank erwärmt sich, der Herd bleibt kalt, die Lampen brennen nicht – es geht nur noch wenig, wenn der Strom abgestellt wird. 2021 wurde das bundesweit rund vier Millionen Menschen angedroht, in knapp 235.000 Fällen dann auch gemacht. Das bundesweite, vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderte Projekt Stromspar-Check will davor schützen: Stromsparhelferinnen und -helfer besuchen Menschen mit geringem Einkommen in ihren Wohnungen, wenn sie um Hilfe gebeten werden. Sie beraten vor Ort, wo sich Energie sparen lässt, etwa bei der Beleuchtung, den Kühlschränken und anderen Haushaltsgeräten oder auch beim Heizen. Weil die beste Energie die ist, die nicht verbraucht wird. 2022 hatten sie außergewöhnlich viel zu tun. «Unsere Leute kommen kaum hinterher, die Wartelisten sind lang», sagt Arne Janz vom Bundesverband der Energie- und Klimaschutzagenturen Deutschlands. Er betreibt das Projekt, das den Energieverbrauch drosseln soll, gemeinsam mit dem Deutschen Caritasverband. Es ist gefragter denn je.

Krisenprodukt: Weizen

Die Ukraine war weltweit der viertgrößte Exporteur von Getreide. Doch dann schlugen russische Raketen auf den Feldern, in Getreidespeichern ein, Transportwege und Hafenanlagen wurden zerstört. Das Land konnte die Welt nicht mehr beliefern. So fehlt unter anderem: Weizen. Im Zuge des Krieges stiegen die Preise, auch für andere Nahrungsmittel, die wegen der Pandemie und klimawandelbedingten Ernteausfällen ohnehin schon hoch waren. Das zeigt der Lebensmittelpreisindex der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Bedroht: Die Versorgung vor allem in den ärmsten Ländern. Laut UN sind bis zu 828 Millionen Menschen chronisch unterernährt, heißt: etwa jeder zehnte Mensch. Mittlerweile liefert die Ukraine zwar wieder. Das Ernährungssystem muss trotzdem sicherer werden.


Wirtschaft unter Druck

Eine Grafik zu Mangel in den Supermärkten

Plötzlich Mangelwirtschaft

Acht bis neun Prozent der gesamten deutschen Warenimporte und -exporte gehen durch den Suezkanal. Das gibt das Kieler Institut für Weltwirtschaft an. Als im März 2021 das Containerschiff «Eher Given» dort feststeckte, stand weltweite Fracht im Stau. Regale in Supermärkten und Discountern blieben leer. Zuvor hatte schon das Corona-Virus Fabriken stillgelegt – Computerchips, Ersatzteile für Fahrräder, Stahlbeton, alles Mögliche wurde plötzlich Mangelware. Dann kam der Krieg in der Ukraine. Abgesehen davon heizt sich nun auch noch im Pazifik ein seit Langem ungelöster Konflikt auf: Was, wenn China Taiwan angreift, weil es den demokratischen Inselstaat als Teil der Volksrepublik ansieht? Lange Zeit waren es die günstigen Arbeitskosten, die entschieden, wie produziert und zugekauft wird. Doch nun sind selbst Medikamente knapp. Gefragt ist ein Gegenmodell. «Resilienz», «Autonomie», «Souveränität» werden neue Schlagworte.

Nicht nur Lithium kritisch

2020 waren es noch 14, seit 2022 stuft die EU nun 30 Rohstoffe als «kritisch» ein, also wirtschaftlich wichtig, aber mit hohem Versorgungsrisiko. Darunter Lithium, zentral für Batterien, aber auch andere Rohstoffe, die für den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft wichtig sind. Die EU-Kommission prognostiziert: Europa wird 2050 gut 60-mal so viel Lithium wie heute benötigen. Die deutsche Regierung plant – wie die EU-Kommission –, wenn möglich, bei solchen Rohstoffen auch in den heimischen Bergbau einzusteigen.  

Eigene Solarindustrie wiederbeleben

China dominiert den Photovoltaik-Markt: Dort werden 80 Prozent aller Solarpaneelen produziert. Die Volksrepublik hat in den vergangenen Jahren mehr als 50 Milliarden US-Dollar in entsprechende Fabriken investiert – zehn Mal so viel wie Europa. Das rechnet die Internationale Energieagentur (IEA) vor. Deutschland ist derzeit auf Lieferanten in China angewiesen – und in Erklärungsnot. In den Solarzellen steckt Polysilizium, das zu einem großen Teil aus der Region Xinjiang kommt. China bestreitet es, doch es heißt immer wieder, dass in den Fabriken uigurische Zwangsarbeiter ausgebeutet werden. Das Lieferkettengesetz soll seit Anfang 2023 sicherstellen, dass grundlegende Menschenrechte besser geschützt werden und deutsche Unternehmen, die Rohstoffe, Komponenten oder Produkte von ausländischen Zulieferern beziehen, genau hinsehen, wie gearbeitet wird. Geschäfte, die mit Zwangsarbeit in der Provinz im Nordwesten Chinas verbunden sind, müssten die Unternehmen spätestens jetzt zurückfahren. China will laut dem Fachdienst China.Table wegen der Debatten nun zwar offenbar auch eine Lieferkette aufbauen, die ohne Polysilizium aus Xinjiang auskommt. Die Abhängigkeit von China aber bliebe. Die eigene, einst große Solar-industrie in Deutschland und Europa wiederzubeleben und diese mit Rohstoffen auch aus anderen Weltregionen zu versorgen, kann eine Alternative sein. 


Demokratie unter Druck

Eine Grafik zur Demokratie. Eine Person steht mit Lautsprecher und schreit eine Person an, die das Grundgesetz vor sich stehen hat.

«Sie schüren Angst» – Die Direktorin des German Institute of Development and Sustainability, Anna-Katharina Hornidge, über den Aufstieg der Autokratien

Jair Bolsonaro, der bis Ende 2022 in Brasilien Präsident war, hat den Regenwald abgeholzt, der im Kampf gegen die Erderhitzung wichtig ist. Wie stark gefährden Rechtspopulisten die Transformation?

Seit Jahren stellen wir schon eine Polarisierung fest, in Hoch-, Mittel- und in Niedrigeinkommensländern in Europa, in Lateinamerika, in Asien, in Afrika, auf allen Kontinenten. Vor allem in einigen reichen Ländern gibt es sehr sichtbare Akteure, die das vorantreiben, wie Donald Trump in den USA. Immer ist es eine Elite, die klar auf Angst setzt, diese etwa mit Verweis auf Migrationgsströme schürt. Das kommt an, weil die soziale Ungleichheit groß ist, viele Menschen Ungerechtigkeit empfinden. Und offenbar gibt es ein gegenseitiges Lernen. Als Anhänger des abgewählten Bolsonaro die Regierungsgebäude in Brasilia stürmten, glich das dem Sturm des Trump-Teams auf das Kapitol in den USA. Am Ende wird die Welt unsicherer.

Unsicherer?

Demokratien führen keine Kriege miteinander, in der Regel führen sie die Kriege mit Autokratien. Autokratien sind anfälliger, zu den Waffen zu greifen. Und die Polarisierung geht einher mit Prozessen der Autokratisierung. Der Varieties-of-Democracy-Index der Universität Göteborg zeigt, dass mittlerweile 70 Prozent der Bevölkerung weltweit in Autokratien leben. Das muss uns Sorgen machen.

Da sind Länder wie China, ohne die eine Klimawende nicht klappen wird. Kann man mit Autokraten kooperieren?

Dass Menschenrechte mit Füßen getreten werden, darf man, dürfen wir nicht ignorieren. Aber in den Ländern gibt es viele Menschen, die es verdient haben, dass wir mit ihnen zusammenarbeiten: zivilgesellschaftliche Gruppen, Forschende, religiöse Organisationen. Wer Demokratieschutz, besser: Antipolarisierungsschutz will, muss aber grundsätzlicher ran und Umverteilungsmechanismen in den Bereichen Bildung, soziale Absicherung und Gesundheit schaffen.

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