Ein Lichtblick in Europa

Polnische Bürger*innen haben mit der Wahl im Oktober 2023 ein klares Signal gegen die illiberalen Tendenzen in ihrem Land gesetzt. Die neue Regierung wird es nicht einfach haben, den Staat gegen alte Seilschaften und bereits angekündigten Widerstand zu reformieren. Aber sie wird sich konstruktiv am EU-Verhandlungstisch einbringen, auf Grundlage eines demokratischen und pro-europäischen Selbstverständnisses.

Polen hat sich am 15. Oktober 2023 für Europa und die Demokratie entschieden. Mit einer noch nie dagewesenen Wahlbeteiligung von 74 Prozent – in manchen Großstädten wie Warschau waren es gar um die 85 Prozent der Wahlberechtigten – setzten die polnischen Bürger*innen ein klares Zeichen gegen die illiberalen Tendenzen im eigenen Land und damit auch in Europa. Wie ein Lichtblick in dunklen Zeiten mutet dieser Frühling im Mittelosteuropa an.

Acht Jahre lang regierte ein Rechtsbündnis um die nationalkonservative PiS-Partei das Land mit dem Ziel, es nach eigenen Vorstellungen umzugestalten, bis hin zu einem autokratischen Staat. Die Gewaltenteilung wurde praktisch aufgehoben, der Rechtsstaat in seinen Prinzipien verletzt, die Justiz instrumentalisiert und politisiert, ähnlich wie die staatlichen Medien. Menschen- und Frauenrechte wurden eingeschränkt, staatliche Institutionen zu Instrumenten der Politik, genauso wie Bildung und Kultur. Die Europapolitik der PiS wendete sich ab von gemeinsamen Werten und verletzte EU-Verträge – und riskierte einen möglichen Polexit. Die PiS-Rhetorik basierte auf einem stark antieuropäischen, gezielt antideutschen Narrativ, das die politische Debatte vergiftete und die Gesellschaft stark polarisierte. Nicht zuletzt aus diesem Grund erlebte die Wählerschaft eine der schmutzigsten und brutalsten Wahlkampagnen in der Geschichte Polens. Trotz alledem gelang es der Opposition, breite Wählerschichten zu mobilisieren, darunter sehr viele junge Menschen (über 25 Prozent mehr als bei den letzten Wahlen) und Frauen.

Die demokratische Opposition holte die Mehrheit, die PiS bekam zwar die meisten Stimmen als Einzelpartei, verfehlte aber die absolute Mehrheit im Parlament, um eine Regierung bilden zu können. Die amtierende PiS-Regierung und der PiS-nahe Präsident verzögerten diesen Prozess bei der Opposition, sodass die konstituierende Sitzung erst am 13. Dezember 2023, also knapp zwei Monate nach der Wahl, stattfinden konnte.

Wie kann es gelingen, die zerstörte Rechts­ordnung wieder herzustellen?

Die regierende Koalition – ein Dreierbündnis (Bürgerkoalition KO, Dritter Weg, Linke), dem sich insgesamt neun Parteien zuordnen – steht vor großen Herausforderungen. Nicht nur die polnische Gesellschaft, auch die europäische Öffentlichkeit schaut interessiert nach Polen: Wie kann es gelingen, ein Land entlang demokratischer Prinzipien zu reformieren, welche von der Vorgängerregierung demontiert wurden? Wie kann es gelingen, die zerstörte Rechtsordnung wiederherzustellen? Die aktuellen Bedingungen sind mehr als schwierig: Den erforderlichen Gesetzesänderungen, etwa im Bereich der Justiz, muss der Präsident zustimmen, der der PiS nahesteht und bereits angekündigt hat, dass er von seinem Vetorecht regen Gebrauch machen wird. Hier wird die Zusammenarbeit von ständigen Konflikten und Krisen gekennzeichnet sein. Um das Justizwesen zu reformieren und den Rechtsstaat wieder funktionstüchtig zu machen, braucht die Regierung die Mitwirkung des Verfassungsgerichts, das nach wie vor mit Funktionären der Vorgängerregierung besetzt ist und das wenig Bereitschaft zur Mitarbeit zeigt; es präsentiert sich eher als ein stark politisiertes Instrument der PiS-Partei. Der neue Justizminister steht vor der Aufgabe, das von der PiS-Regentschaft verursachte Rechtschaos zu beseitigen. Ähnlich sieht es bei der Reform der staatlichen Medien aus. Es wird viel Zeit brauchen, um hier sichtbare Erfolge zu erzielen. Diese Geduld werden alle engagierten Demokrat*innen aufbringen müssen.

Die Ausgangslage in Polen erfordert von der neuen Regierung eine starke Fokussierung auf die Innenpolitik des Landes, was angesichts der geopolitischen Krisen eine zusätzliche Herausforderung bedeutet. Nicht nur für die polnische Regierung, sondern auch für die europäische Politik. Denn das Land ist nicht zuletzt wegen des Angriffs Russlands auf die Ukraine und des dort andauernden Krieges zu einem Frontstaat und einem wichtigem Sicherheitsgaranten geworden. Polen ist in die europäische Familie zurückgekehrt. Die polnische Regierung wird zukünftig ihre Positionen und Interessen proaktiv einbringen, sei es in Bezug auf die Sicherheitsstrategie, die Migrationspolitik, die Energiepolitik oder die Reformen der EU. Das bedeutet nicht, dass es immer einfach werden wird. Die Tatsache aber, dass sich Polen als einer der größten Mitgliedstaaten auf Grundlage eines demokratischen und pro-europäischen Selbstverständnisses nun konstruktiv an den EU-Verhandlungstisch begibt, gibt Grund für Zuversicht. 


Joanna Maria Stolarek leitet seit 2019 das Warschauer Büro der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie studierte in Tübingen Germanistik, Slawistik und spanische Philologie. Über mehrere Jahre arbeitete die gelernte Journalistin für regionale Tageszeitungen als Politik- und Wirtschaftsredakteurin, engagierte sich für eine vielfältige Medienberichterstattung bei den «Neuen deutschen Medienmachern». Sie ist eine gefragte Expertin im Bereich der deutsch-polnischen Beziehungen. 

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