EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versprach bei ihrem Amtsantritt 2019, die EU zu einer «geopolitischen Kraft» zu machen, mit der man rechnen müsse. Der russische Einmarsch in die Ukraine mit seinen tektonischen Verschiebungen in der geopolitischen Landschaft führte der EU sehr schnell vor Augen, wie wichtig es ist, diese Rolle wahrzunehmen und auszubauen.
Mit seinem brutalen Angriff hat Russland dem europäischen Kontinent einen massiven Krieg aufgezwungen und die auf Recht und Gesetz basierende internationale Ordnung erschüttert. Darauf hat die EU gemeinsam mit anderen internationalen Akteuren zügig reagiert. Dass nach dem 24. Februar 2022 in enger Zusammenarbeit mit den USA und anderen Partnern sofort Sanktionen verhängt wurden, hat Putin zweifellos überrascht. Insgesamt wurden dreizehn Sanktionspakete verabschiedet, die die EU nun mit großer Priorität umsetzt.
Die EU hat die Ukraine in vielen Bereichen massiv unterstützt: Sie engagiert sich in der Flüchtlingshilfe, gewährt humanitäre Unterstützung sowie Direkthilfen für die ukrainische Wirtschaft. Im Jahr 2023 beliefen diese sich auf fast 100 Milliarden Euro. Zum anderen stärkt sie das Land politisch: Im Juni 2022 sprach sie der Ukraine den Status einer EU-Beitrittskandidatin zu; im Dezember 2023 wurde beschlossen, die Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Der militärische Beistand läuft über einen Zeitraum von vier Jahren; Ende des Jahres 2023 wurde noch einmal ein Paket geschnürt. All diese Anstrengungen müssen fortgesetzt werden. Die EU muss dafür sorgen, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt und so schnell wie möglich ihren rechtmäßigen Platz als Mitglied der EU und der NATO einnimmt. Die Herausforderungen der EU in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik betreffen nicht nur die Zukunft der Ukrainer*innen. Wenn die EU erfolgreich agiert, wenn der Krieg zu einem militärischen Erfolg der Ukraine führt, wird sie noch stärker als geopolitische Akteurin wahrgenommen und anerkannt. Russlands Krieg hat allerdings gezeigt, dass die EU dringend militärische Ausrüstung und Munition produzieren und dazu die Kapazitäten seiner Verteidigungsindustrie hochfahren muss. Parallel dazu müssen die europäischen Truppen schnell aufgebaut und einsatzbereit gemacht werden, durch Übungen und die Teilnahme an Operationen. Auch die Versorgungskette in Europa sollte erweitert und diversifiziert werden, schwerpunktmäßig in größerer geografischer Nähe zur Frontlinie.
Lettland ist davon überzeugt, dass diese Maßnahmen die geopolitische Rolle der EU stärken werden und wird sich deshalb in diesen Punkten beharrlich engagieren. Die enge Zusammenarbeit der EU mit der NATO und den USA hat in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, eine starke transatlantische Verbindung aufrechtzuerhalten. Diese ist auch entscheidend, um im Krisenfall die Truppen schnell verstärken zu können sowie ihren Transport und ihre Ausrüstung über europäische Grenzen hinweg zu gewährleisten. Die EU muss militärisch mobil sein: Die Außengrenzen der EU und der NATO sind seitens der autoritären Regime in Belarus und Russland hybriden Angriffen ausgesetzt.
Auf dem Gipfeltreffen in Washington im Juli dieses Jahres feiert die NATO ihr 75-jähriges Bestehen. Die kollektive Verteidigung des Bündnisgebietes und die Umsetzung entsprechender Pläne werden ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Eine Stärkung des Prinzips der «Abschreckung durch Bestrafung» (Deterrence by Denial) wird eng mit diesem Ansatz verbunden sein.
Dieses Jahr wird entscheidend sein für die Zukunft der Ukraine und der internationalen, regelbasierten Ordnung, von der die EU ein wesentlicher Bestandteil ist. Die Wahlen zum Europäischen Parlament und die Neubesetzung der nächsten Kommission sollten das geopolitische Gewicht der EU weiter stärken. Eine entschlossene Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik wird auch die Sicherheit ihrer Bürger*innen verbessern.
Andris Sprūds ist Verteidigungsminister von Lettland.
Imants Lieģis ist der Berater des Verteidigungsministers in Lettland.