In der Halbzeitpause schallt Musik aus den Lautsprechern des Berliner Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportparks. Seit dem Aufstieg in die Regionalliga im Sommer 2008 trägt Türkiyemspor Berlin hier gezwungenermaßen seine Heimspiele aus, weil das angestammte Katzbachstadion in Kreuzberg den Sicherheitsauflagen des DFB nicht mehr genügt. Heimisch geworden sind sie am Prenzlauer Berg aber noch nicht, in der letzten Spielzeit lag der Zuschauerschnitt bei 286 Besuchern.
Großen Aufwand betreiben sie deswegen auch nicht. Der Einfachheit halber lässt der DJ einfach eine CD von Queen durchlaufen, auch dann noch, als das Spiel schon längst wieder läuft und die Scheibe ständig hakt, bis ein gegnerischer Fan brüllt: « Nu , mach endlich die Scheiße aus! » Ein Lokaljournalist schüttelt den Kopf: « Das ist kein eingespieltes Team hier », ein anderer assistiert: « Wenn sie wenigstens so türkische Derwisch-Musik spielen würden …«
Der Aufstieg eines Vereins, der vielen Menschen zum ersten Mal Sichtbarkeit gab
Die Vorstellung von den türkischen Derwischen hat sich gehalten. Sie ist über 20 Jahre alt und stammt aus der erfolgreichsten Zeit des Klubs. Ende der 80er-Jahre war Türkiyem – « meine Türkei » – der Stolz der türkischen Fußballfans in Berlin. Regelmäßig besuchten mehrere tausend Zuschauer die Spiele des Vereins im oft aus allen Nähten platzenden Katzbachstadion. Seit der Anmeldung im Ligenspielbetrieb 1983, unter dem Namen Izmirspor, war man viermal in Folge aufgestiegen, bis in die Oberliga Berlin, damals die dritthöchste Spielklasse Westdeutschlands. 1987 erfolgte die Umbenennung in Türkiyemspor, denn längst kamen die Spieler aus allen Teilen des Heimatlandes und nicht mehr nur, wie zu Beginn, aus der Ägäisstadt Izmir. Der Verein war eine Ersatzheimat türkischer Migranten und ihrer Kinder geworden. Denn Türkiyem war mehr als nur ein Fußballklub.
Von über 1,5 Millionen in Deutschland lebenden türkischen Staatsbürgern hatte es bis dahin kaum einer in die erste Liga geschafft. Profis wie Erdal Keser von Borussia Dortmund waren die absolute Ausnahme. Der Erfolg Türkiyems war deshalb auch eine Genugtuung, ein Zeichen, dass man es, wenn man nur dieselben Bedingungen hatte wie die Deutschen, auch zu etwas bringen konnte. Nicht nur im Fußball. Für den Berliner Sport war Türkiyemspor auch so etwas wie ein Kulturschock, denn hier ging es deutlich turbulenter zu, als man das gewohnt war.
Günter Hartmann, Betreiber einer Fan-Homepage und lange Jugendleiter des Vereins, war sofort begeistert, als er 1987 Türkiyemspor besuchte und die feurige Stimmung auf den dichtgefüllten Rängen hautnah erlebte. « Nach jedem Tor sind die Zuschauer erst einmal auf den Platz gestürmt », erzählt er, « ohne besonderen Grund, sie wollten einfach vor Freude mal eine kleine Runde drehen und sind dann wieder zurück auf ihre Plätze. » Doch so friedlich ging es nicht immer zu, schnell zeigte sich, dass man nicht nur Freunde hatte. Immer wieder kam es zu rassistischen Anfeindungen, und als Türkiyemfans im Oktober 1989 nach einem nicht gegebenen Tor gegen Rapide Wedding den Linienrichter attackierten, titelte Bild am nächsten Tag: « Türkenrandale im Wedding ».
Sportlich hingegen ging die Erfolgsserie weiter. Zwischen 1988 und 1991 gewann der Verein dreimal den Berliner Landespokal. In der Saison 1990/91 klopfte Türkiyem schließlich vehement an die Tür der zweiten Bundesliga, mittlerweile als Multikulti-Verein mit Spielern aus sechs Nationen, darunter auch Deutsche. Der Traum vom Profifußball platzte erst am letzten Spieltag, nach einem 0:5-Debakel im mit 7000 Zuschauern völlig überfüllten Katzbachstadion.
Spieler, die immer noch merken, dass sie anders wahrgenommen werden
19 Jahre später ist der Verein ein Stück weit ein ganz normaler Regionalligist im Niemandsland zwischen Amateur- und Profifußball, dem es vor allem an einem fehlt: Geld. Fremdenfeindliche Beleidigungen sind seltener geworden. Es gibt sie noch, aber anders als in den ersten Jahren nach der Wende, als Spieler und Fans von rechten Horden teilweise mit Baseballschlägern empfangen und verabschiedet wurden, sind Übergriffe die Ausnahme und nicht mehr die Regel. Dennoch merken sie bei Türkiyemspor noch immer, dass sie anders wahrgenommen werden.
Vor ein paar Jahren, als der heutige Chefcoach Taskin Aksoy noch Trainer der A-Jugend war, musste er sich von einem Schiedsrichter aus Halle fragen lassen, ob seine Jungs denn überhaupt spielberechtigt seien, die meisten hätten ja türkische Namen. Dass es auch deutsche Jugendliche mit türkischen Namen geben könnte, schien außerhalb der Vorstellungskraft des Mannes zu liegen. « Da gibt es immer noch Informationsrückstände, denen man begegnen muss », glaubt Aksoy. Bei Türkiyem tun sie das auf ihre Weise: Während in der Jugend noch immer viele Migrantenkinder spielen, unter anderem auch deshalb, weil diese in Kreuzberg eben die Mehrheit stellen, sind die Deutschen in der ersten Mannschaft und auch im Vorstand in der Überzahl. Der Verein ist zu einem Vorzeigeobjekt geworden. Er engagiert sich in Initiativen gegen Gewalt, Rassismus und Homophobie. Vor allem und immer wieder aber geht es den Verantwortlichen um Integration.
In den Nachwuchsmannschaften spielen Kinder und Jugendliche aus 26 Nationen, es gibt vier Mädchenteams und demnächst auch eine Frauenmannschaft. Sie arbeiten eng mit Sozialprojekten und Schulen zusammen und versuchen, die Kinder und Jugendlichen im Problembezirk Kreuzberg-Neukölln von der Straße zu holen. Neben vielen anderen Auszeichnungen gab es dafür 2007 den Integrationspreis des DFB. Vor allem aber hat Türkiyemspor heute ein anderes Selbstverständnis als Ende der 80er-Jahre: « Wir sind ein deutscher, ein Berliner Verein, der nur noch Türkiyemspor heißt, weil der Name inzwischen eine Marke ist », sagt Fikret Ceylan, bis Juni 2010 lange Jahre ehrenamtlicher Manager des Vereins. Deswegen wurde bislang auch davon abgesehen, sich einen deutschen Namen zu geben, obwohl das immer wieder im Gespräch war.
Ein Stadt, die dem Klub auch nach 32 Jahren kein festes Trainingsgelände anbieten kann
Hintergrund dieser Überlegung war die Hoffnung, endlich größere deutsche Sponsoren anlocken zu können, was in der 32-jährigen Vereinsgeschichte nicht der Fall war. Der Klub finanziert sich zum Großteil durch zahlreiche kleine Sponsoren aus der türkischen Gemeinschaft. « Es wäre schön, wenn irgendwann jemand anerkennt, dass wir mit unserer sozialen Arbeit etwas für Deutschland leisten. Neben dem Fußball », sagt Ceylan. Viel Hoffnung hat er nicht: « Ich glaube, in den Hinterköpfen gibt es immer noch Vorbehalte gegen Türken. »
Vor allem unter den türkischstämmigen Vereinsmitgliedern gibt es einige, die sich heute noch benachteiligt fühlen, unerwünscht. Auch weil sie keine andere Erklärung dafür haben, dass Berlin es in 32 Jahren Vereinsgeschichte nicht geschafft hat, dem Klub ein festes Trainingsgelände zur Verfügung zu stellen. Seit Jahren tingeln A-Jugend und Regionalliga-Team von Platz zu Platz, trainieren mal hier, mal dort. Günter Hartmann und Nico Borsetzky, Koordinator für Schul- und Mädchenfußball, zucken dennoch zusammen, wenn jemand aus der Führungsriege vermeintliche Vorurteile thematisiert.
Wenn der Vorstand sich erregt und Vorwürfe erhebt, macht das die Arbeit an der Basis nicht leichter. Und viele der Probleme sind hausgemacht: « Wir haben einfach die Strukturen nicht, die wir angesichts des sportlichen Erfolgs bräuchten. » Die Öffentlichkeitsarbeit, die Geschäftsführung, die komplette Nachwuchsarbeit und alle sozialen Projekte liegen ausnahmslos in der Hand ehrenamtlicher Mitarbeiter. Vieles bleibt dabei liegen. « Manchmal schaffen wir es ja sogar, Werbeplakate für unsere Spiele drucken zu lassen. Aber dann finden wir niemanden, der sie aufhängt », so Borsetzky.
Die Hartnäckigkeit eines Klubs, der immer wieder von vorne beginnt
Denn auch das ist Türkiyem: Kein eingespieltes Team und ein Verein, bei dem in regelmäßigen Abständen alles in die Luft zu fliegen droht. Kürzlich war es wieder so weit. Von massiven Finanzproblemen war die Rede, der Verein, so hieß es im Umfeld, stünde kurz vor der Insolvenz. Am Ende trat der alte Vorstand geschlossen zurück, nun soll ein neues Team versuchen, den Spagat zwischen sportlichem Erfolg und sozialem Engagement, zwischen Regionalligafußball und Nachwuchsförderung hinzubekommen.
Immerhin ist die Zeit des Nomadentums bald vorbei. Bis 2011 soll im Prenzlauer Berg ein Trainingszentrum für die Regionalligamannschaft und die A-Jugend entstehen. Und auch wenn ein ähnliches Projekt für die Nachwuchsmannschaften in Kreuzberg vorerst auf Eis gelegt wurde, sieht es so aus, als wäre Türkiyemspor dabei, endlich im deutschen Fußball anzukommen. Als ein deutscher Verein. Mit deutschen Problemen.
Fabian Jonas ist Redakteur des Fußballmagazins 11FREUNDE und freier Autor (u.a. „Und nun zum Wetter“ mit Dirk Gieselmann und Lucas Vogelsang). Für den 11FREUNDE-Liveticker ausgezeichnet mit dem Henri-Nannen-Preis 2010 sowie einem Grimme Online Award 2013.