Nuklearkatastrophe in Japan lässt türkische Regierung kalt: Unser AKW wird beispielhaft für die Welt sein

Nach der Katastrophe in Japan hält die Türkei an dem Bau neuer Atomkraftwerke fest. -> Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen zu Ost- & Südosteuropa.

Jahrzehntelang steht in der Türkei der Bau von AKWs in Akkuyu (Mersin) immer wieder auf der Agenda. Seit dem vergangenen Jahr nun scheint die Realisierung dieses Vorhabens konkret: die Türkei und Russland unterzeichneten im Juni 2010 ein Abkommen über den AKW-Bau in Akkuyu, die entsprechenden Gesetze wurden innerhalb kürzester Zeit in beiden Ländern verabschiedet. Nun soll mit dem Bau in Akkuyu bereits im April/Mai begonnen werden. Auch in Sinop am schwarzen Meer macht die Regierung mit dem Bau eines AKWs ernst. Dieses Kernkraftwerk soll von einer japanischen Firma gebaut werden. 

Aufgeschreckt durch die Kette an Katastrophen in Folge des Erdbebens in Japan, der Tsunami, die damit einhergehende Verwüstung weiter Landesteile und der Tod von Tausenden von Menschen, die starke Beschädigung der AKWs und das darauffolgende Risiko eines Super-GAU in Fukushima,  blicken zahlreiche Umweltaktivisten und Experten in der Türkei auf die Regierung: Wird die Regierung nun endlich ihre Pläne zum  Bau eines AKW aufgeben, noch dazu da der vorgesehene Standort Akkuyu ebenfalls in einem Erdbebengebiet liegt? Und was ist mit dem geplanten AKW-Bau in Sinop, das von einer japanischen Firma gebaut werden soll?
Die Entwicklungen in Japan haben der gesamten Welt die Grenzen der technologischen Beherrschbarkeit aufgezeigt. Das eigentlich für unwahscheinlich gehaltene "Restrisiko" wurde Realität. Doch die türkische Regierung zeigt sich nicht nur unbeeindruckt, sie gibt sich weiterhin entschieden und vergleicht das Risiko der geplanten AKWs in der Türkei mit der Explosion einer Gasflasche.

Energieminister Yildiz kündigte darüber hinaus auf dem Rückflug von Moskau an, die Türkei werde bis zum 100. Geburtstag der Republiksgründung im Jahr 2023 nicht nur über zwei sondern sogar über drei AKWs verfügen, den dritten Standort wollte er jedoch nicht verraten. (1
Die Bedenken angesichts der Nuklearkatastrophe in Japan wischt der Minister einfach beseite: Akkuyu sei kein Erdbebengebiet, die Türkei plane den Bau der dritten Generation an AKWs und schließlich sei noch unklar, welche Gründe zu der Nuklearkrise in Fukushima geführt hätten. Am Erdbeben und Tsunami allein könne es nicht gelegen haben. Denn dann wären weitere AKWs in Japan betroffen. Ministerpräsident Erdogan scheut sich in dieser Situation nicht, von dem Bau von AKWs zu träumen, deren Technologie führend in der ganzen Welt sein werde.

Für die türkische Regierung gibt es folglich keinen Grund die Entscheidung noch einmal zu überdenken. Die Gründe für diese Entscheidung lägen schließlich auf der Hand: "Die Abhängigkeit vom Energieimport würde abnehmen, die Diversifizierung der Energiequellen würde steigen und "wir werden Mitglied im Nuklearclub" sein, so Minister Yildz." In der Nuklearenergie ist sich die Welt einig, nicht teilbar, wir können nicht außen vor bleiben. Warum sollen wir kein AKW bauen? Gibt es kein AKW an der Grenze zu Armenien? Die Lösung besteht nicht darin, zu fliehen. Wir werden die neueste Technologie verwenden” (2).

Unterdessen fordern Abgeordnete der CHP, DSP und MHP-Abgeordnete nachdrücklich die Entscheidung noch einmal zu überdenken. Die Regierung soll den geplanten Baubeginn verschieben und eine erneute Überprüfung der Entscheidung angesichts der Ereignisse in Japan ermöglichen. Die DSP und MHP forderten im Parlament nun, der Bevölkerung das letzte Wort über den AKW-Bau zu überlassen und ein Referendum in dieser Frage durchzuführen. Der DSP Vorsitzende schlägt vor, am 12. Juni nicht nur ein neues Parlament sondern auch den Bau des AKWs in Akkuyu zur Abstimmung zu stellen. Ob ein solcher Vorschlag angesichts der Tragweite einer derartigen Entscheidung wirklich zu begrüssen ist, darf bezweifelt werden. Letztlich können die Parteien ihre Positionen zu den AKW-Vorhaben in klaren Wahlaussagen deutlich machen und im Wahlkampf zum Thema machen. Damit würden sie einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass das Thema überhaupt diskutiert wird und entsprechende Argumente in der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden.

Das Buch „Mythos Nuklearenergie“ ist soeben in türkischer Sprache erschienen und liefert aktuelle Erkenntnisse über die Risiken der Nuklearenergie. „Mythos Nuklearenergie“ kann ab dem 26. März 2011 unter www.boell-tr.org oder per E-mail: info@boell-tr.org gegen Versandgebühr bestellt werden.


Quelle:
(1) http://www.internethaber.com/basbakan-erdogan-atesle-mi-oynuyor-335268h-p2.htm#ixzz1H9QfK6kP
(2http://www.internethaber.com/basbakan-erdogan-atesle-mi-oynuyor-335268h-p2.htm#ixzz1H9QFvUKJ


Internationales Symposium: Atomkraft nach Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011)

25 Jahre nach Tschernobyl spielt Nukleartechnologie in den energiepolitischen Strategien vieler Staaten wieder eine wichtige Rolle. Kann Atomenergie relevante Mengen an CO2 einsparen und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten? Wo kommt der Nuklearbrennstoff her? Sind atomare Energieerzeugung und die Verbreitung von Atomwaffen voneinander trennbar? Wie werden die Meiler finanziert? Kurzum: Stehen wir vor einer „Renaissance der Atomkraft“? Welche Lehren wurden (nicht) gezogen?

Mit: Mycle Schneider, Rebecca Harms, Samai Jai-In, Vladimir Milov, Pradeep Kumar Dadhich, Stephen Tindale u.v.m.