Pressegespräch aus Anlass des NSU-Prozessbeginns

Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.
Foto: Ludwig Rauch  

17. Mai 2013
Es ist ungewöhnlich, dass eine politische Stiftung zu einer Pressekonferenz aus Anlass eines Strafprozesses einlädt. Aber dieser Strafprozess ist auch kein Prozess wie jeder andere. Das liegt nicht nur an den außergewöhnlichen Verbrechen, die vor dem Oberlandesgericht München verhandelt werden: die Ermordung von neun Männern, acht von ihnen türkischer Herkunft, sowie einer Polizistin durch eine rechtsextreme Untergrundorganisation.

Zur Vorgeschichte dieses Prozesses gehört auch ein beunruhigendes Versagen von Verfassungsschutz und Ermittlungsbehörden – ein trübes Geflecht aus Fehleinschätzungen, Voreingenommenheit und operativen Pannen. 

Die Behörden haben über Jahre die Täter im Umfeld der Opfer gesucht und alle Hinweise, die auf einen fremdenfeindlichen, rechtsextremen Hintergrund deuteten, ausgeblendet. Das hat nicht nur bei den Familien der Ermordeten, sondern bei weiten Teilen der Immigranten in Deutschland zu Verunsicherung und Verbitterung geführt. Es geht deshalb nicht nur um die Aufklärung und Ahndung einer Mordserie. Auf dem Spiel steht auch die Wiederherstellung des Vertrauens in den Rechtsstaat.

Das Gericht muss sich mit der individuellen Tatbeteiligung der Angeklagten auseinandersetzen. Damit ist es aber nicht getan. Nach allem, was bisher bekannt wurde, waren die Mörder keine isolierten Einzeltäter. Vieles spricht dafür, dass sie sich in einem terroristischen Umfeld bewegten, aus dem sie ideologischen und praktischen Rückhalt bezogen. Diese Strukturen müssen ausgeleuchtet werden, um neue mörderische Anschläge zu verhindern.

Gleichzeitig müssen wir alles tun, um die demokratische Alltagskultur in Ost- und Westdeutschland zu stärken. Das empfinden wir auch als eine Kernaufgabe der politischen Stiftungen. Die Wiedergewinnung des Grundvertrauens in den Rechtsstaat ist nicht nur ein Anliegen von Migrantinnen und Migranten. Es ist Sache aller Demokraten. Das wollen wir mit der heutigen Pressekonferenz unterstreichen.


Teilnehmer:
Mehmet Daimagüler, Rechtsanwalt und Publizist, Vertreter der Nebenklage im NSU-Prozess
Bernd Wagner, Kriminalist und Experte für Rechtsextremismus
Hans-Christian Ströbele, MdB, stellv. Mitglied im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Mordserie der Terrorgruppe „nationalsozialistischer Untergrund“

 

Dokumentation

Rechtradikalismus / Rechtspopulismus / Rassismus

Der Gerichtsprozess gegen die NSU hat gerade erst begonnen. Fest steht jedoch bereits jetzt, dass der Prozess nur einen Teil zur Aufarbeitung der furchtbaren Mordserie beitragen kann. Die Probleme liegen tiefer - Rassismus ist in unserer Gesellschaft nach wie vor fest verwurzelt. Vor dem Hintergrund des NSU-Prozesses stellen wir hier unsere aktuellen Projekte auf Bundes- und Landeseben vor. mehr»