In Memoriam Jurij Schmidt

Jurij Schmidt
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Jurij Schmidt, 2011

Vor einem Jahr, am 12. Januar 2013, starb Jurij Schmidt. Er war Anwalt. Während er im Westen vor allem als Verteidiger von Michail Chodorkowskij bekannt war, kannte man ihn in Russland in erster Linie als Menschenrechtsanwalt. Das Wort „Menschenrechtsanwalt“ ist eigentlich eine Tautologie. Aber eine aus der russischen (und früher sowjetischen) Wirklichkeit geborene.

„Ich bin Anwalt!“, so lautet der programmatische Titel eines kleinen Buches, das dem Andenken an Jurij Schmidt gewidmet ist. Im Sommer 2012, ein halbes Jahr vor seinem Tod, sprach er in seiner St. Petersburger Wohnung über zwei Tage hinweg mit Marieluise Beck, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, und später in Moskau mit mir über sein Leben.

Die Heinrich-Böll-Stiftung hatte am 19.01.2014 zu einer Matinee in Erinnerung an Jurij Schmidt geladen. Arsenij Roginskij, Vorsitzender von Memorial erzählte, was den Anwalt Jurij Schmidt, einen „höflichen, feinen, dabei aber kraftvollen Menschen“, einen, in der russischen Bedeutung des Wortes „intelligenten“ Menschen, besonders auszeichnete. Jurij Schmidt habe, zusammen mit anderen, gezeigt, dass ein Anwalt auch in der Sowjetunion kein Vermittler zwischen Anklage und Angeklagten sei, sondern immer auf der Seite seines Mandanten stehen müsse. Zwar habe Schmidt in diesen Jahren keine Dissidentinnen und Dissidenten verteidigen dürfen, aber er habe sich „Muskeln antrainiert“, die später umso kraftvoller zum Einsatz gekommen seien. De facto sei Schmidt, so Roginskij, der von 1981 bis 1985 selbst aufgrund einer gefälschten Anklage im Lager gesessen hat, zu „unserem Anwalt“ geworden. Er habe viele Menschen beraten, die vom sowjetischen Staat und seinem Geheimdienst bedrängt wurden.

Marieluise Beck erinnerte daran, dass nach Schmidts eigener Aussage sein „wichtigster Mandant“, Michail Chodorkowskij, in Russland, aber auch im Westen jemand war, für den es schwierig war, Solidarität einzufordern. Mit einem Milliardär, der sein Vermögen zudem in den inzwischen als „chaotisch“ und zweifelhaft angesehenen 1990er Jahren gemacht hatte, mit jemandem, der mit anderen zusammen pauschal als „Oligarch“ abgestempelt wurde, mitzufühlen, auch wenn ihm ein politischer Prozess gemacht wird, ist für viele Menschen doch etwas anderes, als, sagen wir mal, sich für einen Demonstranten, einer Wissenschaftlerin oder einen Schriftsteller einzusetzen. Viele Male saß Marieluise Beck im zweiten Prozess gegen Michail Chodorkowskij und seinen Partner Platon Lebedew im Gerichtssaal. Viele Male sprach sie mit Jurij Schmidt über den Prozess und spürte dabei, wie er immer mehr an der Erosion des ohnehin auch nach dem Ende der Sowjetunion schwachen russischen Rechtsstaats verzweifelte.

Michail Chodorkowskij schilderte seine erst Begegnung mit Jurij Schmidt im Moskauer Untersuchungsgefängnis, mit dem er, das könne er so sagen, „zehn Jahre zusammen gearbeitet“ habe. Schmidt habe ihm sofort alle Illusionen genommen als er sagte: „Die Entscheidung über die Verurteilung ist gefallen und kein Anwalt kann ihnen da helfen.“ Ihrer beider Ziel sei deshalb gewesen, zu zeigen, dass es für ihn keinen Rechtsstaat in Russland gebe. Besonders wichtig, so Chodorkowskij, war es für ihn als Gefangenen, dass Jurij Schmidt ihm seine Unschuld geglaubt habe.

Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, stellte anschließend die Frage, ob es denn außerhalb einer autoritären Gesellschaft überhaupt eine Intelligenzija, also eine gebildete und gleichzeitig ethisch verantwortliche und handelnde Schicht geben könne, zu der sich Jurij Schmidt durchaus mit gewissem Stolz gezählt habe. Arsenij Roginskij verneinte entschieden und fügte ein wenig listig hinzu, dass es eine nicht autoritäre Gesellschaft in Russland auch noch gar nicht gegeben habe. Hier lächelte Michail Chodorkowskij, ganz offenbar zustimmend. Aus dem Publikum entgegnete Dmitrij Muratow, Chefredakteur der Nowaja Gaseta, dass er junge Anwältinnen und Anwälte kenne, die sich für das Recht einsetzen – auch wenn dies mit persönlichen Nachteilen verbunden sei. Sie seien vielleicht anders heute. Aber es gibt sie.

In seinem Schlusswort bat Michail Chodorkowskij darum, neben den wenigen Dutzend tatsächlich politischen Gefangenen in Russland, die vielen Menschen in den Straflagern und Untersuchungsgefängnissen nicht zu vergessen, die dort nicht aus politischen Gründen sitzen, sondern „weil jemand die Idee hatte, ihnen ihr Eigentum weg zu nehmen und sie Nein gesagt haben“. Ein Land, in dem Eigentum nicht geschützt werde, sei in Gefahr, zu einer Räuberhöhle zu verkommen.
 

 

 

Cover: "Ich bin Anwalt"

„Ich bin Anwalt!“
Eine Erinnerung an Jurij Schmidt
Hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung
Biographisches Interview sowie Texte von Michail Chodorkowskij und Arsenij Roginskij
1. Auflage, Berlin 2014, 96 Seiten, Photos
ISBN 978-3-86928-118-6

zur Publikation

 

 

Video der Veranstaltung "Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde. Ein Gespräch zur Erinnerung an den russischen Menschenrechtsanwalt Jurij Schmidt"



 

Bilder der Veranstaltung
 

 

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Audio-Podcast mit Jens Siegert, Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau: "Das Recht war für Jurij Schmidt etwas eminent Öffentliches"

 

 

 

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