Freihändler wittern Morgenluft

Unter dem Motto "Zivilgesellschaft macht Dampf gegen den Konzern-Deal" protestierte das Bündnis „TTIP unfairhandelbar“ am 6. Mai vor dem Brandenburger Tor in Berlin gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA.
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Unter dem Motto "Zivilgesellschaft macht Dampf gegen den Konzern-Deal" protestierte das Bündnis „TTIP unfairhandelbar“ am 6. Mai vor dem Brandenburger Tor in Berlin gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA

In der Europäischen Union basieren die Vorschriften für die Sicherheit von Nahrungsmitteln und Chemikalien auf dem Vorsorgeprinzip. Dieser Grundpfeiler europäischen Rechts ermöglicht es der EU, alle Einfuhren, die ein potenzielles Risiko für Mensch oder Umwelt darstellen, so lange zu beschränken, bis gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen – importiert werden darf nur, was nachweisbar ungefährlich ist. In den Vereinigten Staaten hingegen ist es umgekehrt – exportiert werden darf alles, was nicht nachweisbar gefährlich ist. Derartige Entscheidungen erfolgen mittels einer Kosten-Nutzen-Analyse der Risiken und mit Daten, die als "belastbare wissenschaftliche Fakten" gelten – und die etwa im Fall der  Unbedenklichkeitserklärung für gentechnisch modifizierte Organismen direkt von der Industrie kamen.

Lobbyarbeit für den Abbau von Handelsschranken für landwirtschaftliche Erzeugnisse


Ungeachtet solcher erheblichen Unterschiede begannen EU und USA  2013 mit Verhandlungen über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP), mit der ein Transatlantisches Freihandelsabkommen (Trans-Atlantic Free Trade Agreement, TAFTA) entstehen soll. Als Maßnahme zur Stützung der schwächelnden Wirtschaft beider Regionen gedacht, könnte dieser Vertrag das größte bilaterale Freihandelsabkommen in der Geschichte werden. Auf beiden Seiten des Atlantiks drängen jetzt einflussreiche Interessengruppen, darunter der Landwirtschafts-, Futtermittel- und Chemiesektor, auf ein Abkommen, das Handelsschranken für landwirtschaftliche Erzeugnisse einschließlich Fleischprodukten abbaut. Ein derartiger Vertrag könnte drastische Änderungen beim Einsatz von Antibiotika in der Fleischproduktion, bei der Zulassung von genetisch veränderten Organismen, für den Tierschutz und andere Bereiche mit sich bringen. Die Industrie wird bestrebt sein, im Interesse einer Ausdehnung ihrer Märkte die jeweils niedrigsten Standards auch auf der Gegenseite zuzulassen.

Hohes Eigeninteresse: Ractopamin und Peroxysäure auf der einen, Rindfleischexporte auf der anderen Seite

Beispielhaft dafür ist Ractopamin, das in den Vereinigten Staaten als Futterzusatz zur Steigerung der Produktion mageren Schweine- und Rindfleischs eingesetzt wird. Sein Einsatz ist in 160 Staaten, darunter auch der EU, verboten, denn es gibt keine unabhängigen wissenschaftlichen Studien, die etwas über die Folgen für die menschliche Gesundheit aussagen könnten. Den USA ist es derzeit nicht gestattet, Fleisch von mit Ractopamin behandeltem Vieh in die EU zu exportieren. Amerikanische Agrarkonzerne und fleischverarbeitende Unternehmen fordern, dass die EU dieses Verbot aufhebt und das Thema in die TTIP-Verhandlungen aufnimmt.


Nach mehreren Jahren relativer Ruhe wurde auch ein alter Handelsstreit neu belebt. Im Rahmen des TTIP versuchen die USA jetzt wieder, eine Zulassung von Peroxysäure zu erhalten. Dieser antimikrobiell wirksame Stoff wird in den USA verbreitet zur Desinfektion von Rohgeflügel nach dem Schlachten eingesetzt. Die EU, in der Geflügel ausschließlich mit heißem Wasser gereinigt werden darf, betrachtet den Einsatz von Peroxysäure als Verstoß gegen das Konzept "Vom Erzeuger zum Verbraucher" und vom damit verbundenen möglichst geringen Einsatz von Chemikalien in der Nahrungsmittelverarbeitung. 

Darüber hinaus bietet das TTIP multinationalen Konzernen die Möglichkeit, die EU-Verbote von genetisch veränderten Nahrungsmitteln zu unterlaufen, die in den USA als wettbewerbswidrige "technische Handelsschranken" gesehen werden. Umwelt-, Verbraucher-  und Tierschützer fürchten nun, dass sich die EU bei den Verhandlungen hinter verschlossenen Türen eine Schwächung ihrer Schutzvorschriften abhandeln lässt. Die EU ihrerseits versucht das Verbot von Rindfleischimporten aus Europa in die USA zu kippen. Die Vereinigten Staaten verbieten den Einsatz und die Einfuhr von Futtermittelbestandteilen, die nachweislich an der Übertragung von BSE, dem 2Rinderwahn2, beteiligt sind. Die Verfechter von Nahrungsmittelsicherheit in den USA sind besorgt, dass die EU-Vorschriften über den Einsatz von aus Wiederkäuern gewonnenen Futtermittelzusätzen nicht ausreichen, um eine Kontamination zu verhindern. Da die EU gegenwärtig sogar noch eine weitere Lockerung der Standards für diese Futtermittelzusätze erwägt, nähme aus US-Sicht das Risiko aufgrund des Handels mit BSE-verseuchtem Rindfleisch zu.


Darüber hinaus gibt es noch den Mechanismus zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Investoren und dem Staat. Mit dieser bereits in vielen Handelsverträgen enthaltenen Klausel kann ein Unternehmen den Staat auf Schadenersatz für Vorschriften verklagen, die seine Gewinne beeinträchtigen. Mit dem TTIP wollen die Agrarkonzerne nun diesen Mechanismus auch auf die Standards zur Nahrungsmittelsicherheit "uneingeschränkt" anwenden. Mit anderen Worten: Da internationale Investoren durch diesen Mechanismus einen Rechtsanspruch auf "stabile Investitionsbedingungen" erhalten, würden alle Verschärfungen von Umwelt- oder Tierschutzgesetzen erheblich erschwert.

So könnte es durch TTIP deutlich schwieriger werden, nachteilige Umwelt-, Sozial- und Gesundheitsfolgen der industriellen Tierproduktion zu beseitigen. Statt die Standards weiter zu verwässern, sollten die Verbraucher und Aktivisten in den USA und der EU ihre Regierungen drängen, mit dem TTIP die Standards auf beiden Seiten des Atlantiks anzuheben. Oder sie sollten die Gespräche komplett abbrechen.  
 

Dieser Beitrag erschien bereits im Fleischatlas der Heinrich-Böll-Stiftung.