Freunde oder Feinde? Ein Außenpolitisches Dilemma

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Indiens Nachbarstaaten: Bangladesch, Bhutan, Myanmar, China, Nepal und Pakistan

Avani Tewari ist 19 Jahre alt und studiert Jura an der Jindal Global Law School in Sonipat, nördlich von Delhi. Für dieses Dossier analysiert die junge Bloggerin wöchentlich die Mediendebatte nach der Wahl.

In der vergangenen Woche beherrschten zwei Themen die Schlagzeilen: Erstens Modis Besuch in Bhutan, der die Frage nach den außenpolitischen Zielen der BJP-Regierung aufwarf, und zweitens die Forderung nach dem Rücktritt von Gouverneuren und anderen Amtsinhabern, die von der Vorgängerregierung ernannt worden waren. Bei beiden Themen geht es um Kontinuität: In wie fern wird Modi die Politik der UPA-Regierung fortführen? In Bezug auf Außenpolitik hätte Kontinuität eine konstruktive Dimension, während Kontinuität in Bezug auf die ernannten Gouverneure eher die Arroganz der Macht zeigen würde und die Unfähigkeit, aus den Fehlern der UPA-Regierung zu lernen. Zu beiden Themen möchte ich in meinem heutigen Post einige Hintergrundinformationen liefern.

Wahrscheinlich die ersten „außenpolitischen Beziehungen“, die Indien eingegangen ist, waren zu Griechenland. Um 320 vor Christus schickte Athen Megasthenes als Gesandten an den Hof des indischen Herrschers Chandragupta Maurya. Damit legte das indische Königreich den Grundstein für freundschaftliche Beziehungen zu anderen mächtigen Reichen. Auch der indische Gelehrte Chanakaya, Berater von Chandragupta Maurya, wies auf die Bedeutung von Außenpolitik und Kommunikation mit anderen Ländern hin. Sein Werk Arthashashtra gilt heute als Klassiker der Regierungsführung, militärischen Strategie und Wirtschaftspolitik.

Heute muss Indien gute Beziehungen zu seinen Nachbarn und zu den wichtigsten Ländern wie den USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Japan und China pflegen. Ebenso unerlässlich sind freundschaftliche Beziehungen zu Ländern, die zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen können, etwa die ASEAN- oder BRICS-Staaten. Noch bevor die Wahlergebnisse feststanden, wurde der mögliche außenpolitische Kurs von Narendra Modi diskutiert. So schrieb KG Suresh im Deccan Chronicle: „Narendra Modi wurde von Tag Eins an von seinen Kritikern als Falke dargestellt. Sie fürchteten, unter Modi werde die Gefahr eines nuklearen Militärschlag in Südasien steigen, und viele meinten sogar, ein indisch-pakistanischen Krieg sei unvermeidlich, wenn Modi Premierminister wird.“[1] Auch US-amerikanische Politikanalysten waren nicht sicher, wie Modis Außenpolitik einzuschätzen sei, da sich sein Wahlkampf fast ausschließlich um innenpolitische Themen gedreht hatte. Es wurde spekuliert, dass Modi den Beziehungen zu den USA weniger Bedeutung beimessen werde, da die USA ihm aufgrund seiner angeblichen Beteiligung an den Aufständen in Gujarat ein Visum verweigert hatten. Dr. Assem Shukla schrieb in The Rediff: „Es wurde versucht, Modi zu einer Metapher zu machen, zu einem praktischen Vehikel, mit dem man nicht nur den Aufstieg von Modi selbst, sondern auch den Aufstieg des Mitte-Rechts-Wirtschafts- und Sozialkonservatismus vereiteln kann, den er vertritt.“[2] Ich beobachtete daher mit Interesse, ob die ersten außenpolitischen Zeichen der neuen Regierung auf die befürchtete Aggressivität hinweisen würden oder ob Modi seinen Kritiker den Wind aus den Segeln nehmen würde.

Im Wahlkampf hat Modi klar und deutlich gesagt, dass die Wiederbelebung der Wirtschaft seine oberste Priorität ist. Die Wirtschaft kann aber nur angekurbelt werden, wenn ein Land freundschaftliche Beziehungen zu Ländern pflegt, mit denen es in Handel und Industrie zusammenarbeitet. Das gilt ganz besonders für Indien: Als ein Land, das von Entwicklungsländern umringt ist, muss Indien die Unterstützung seiner Nachbarn sichern, um prosperieren zu können. Premierminister Modis Besuch in Bhutan und die Tatsache, dass er die Staatschefs der SAARC-Länder zur Vereidigungszeremonie eingeladen hat, wurde als vertrauensbildende Maßnahme interpretiert, mit der freundschaftliche Beziehungen mit unseren Nachbarn aufgebaut werden sollten. In der Hindustan Times schrieb Varun Gandhi, Premierminister Modi habe „eine wichtige Geste der Neuausrichtung der Außenpolitik hin zur Realpolitik (gemacht). Es ist an der Zeit, südasiatische Freundschaft wiederzubeleben.“[3]

Mit seinem Besuch in Bhutan, unserem kleinsten Nachbarn, hat Modi seine Bereitschaft gezeigt, die Nachbarländer zu respektieren und sicherzustellen, dass sie und Indien Seite an Seite gehen. In einem Kommentar zum Besuch in Bhutan schrieb der Indian, der Besuch mache deutlich, dass Modi „die Bedeutung der Region für die wirtschaftliche Dynamik und strategische Stärke Indiens bewusst ist. Wie Modi richtig betont hat, ist ein starkes und lebendiges Indien für den Frieden und die Stabilität in der Region unerlässlich.”[4]

Der Besuch Modis, des Premierministers des größten Landes Südasiens, in Bhutan wird als Demonstration der Stärke und der Vorrangstellung Indiens auf dem indischen Subkontinent durch die indische Regierung gewertet. In einem Artikel im Indian Express heißt es: „Die Entscheidung des Premierministers, die Priorität auf die unmittelbare Nachbarschaft zu legen, unterstreicht auch seine Ansicht, dass Außenpolitik an den Grenzen des Landes beginnt: Wenn Indien seine Vorrangstellung auf dem Subkontinent nicht wiedergewinnen kann, wird es vom Rest der Welt nicht ernst genommen.“[5] Für mich sieht es so aus, als ob Modi den Nachbarn Indiens signalisieren wollte, dass die indische Regierung auf freundschaftliche Zusammenarbeit bedacht ist.

Eine der größten Herausforderungen, vor denen Modi steht, ist die Wahrung der nationalen Sicherheit Indiens bei gleichzeitiger Pflege guter und friedlicher Beziehungen zu den Nachbarn. Indiens Konflikt mit Pakistan hat eine lange Geschichte und bereits vielerlei Formen gesehen, einschließlich Aufstand, Krieg und Terrorismus. Anders als Pakistan befindet sich Indien auch in einem Grenzkonflikt mit China. Die Herausforderung ergibt sich aus der Tatsache, dass die BJP in der Opposition eine härtere Haltung angesichts der Bedrohungen durch die Nachbarn, insbesondere Pakistan, gefordert hatte. So schreibt die Economic Times: „Es wird allgemein erwartet, dass Narendra Modi als Premierminister mehr politische Muskeln gegenüber Pakistan spielen lassen wird. Trotz seiner harten Haltung bei grenzüberschreitendem Terrorismus hat der Premierministerkandidat der BJP jedoch seltsam widersprüchliche Signale zu seiner voraussichtlichen Politik gegenüber Indiens feindseligem Nachbarn ausgesendet.“[6] Nach seiner Einladung der SAARC-Staatschefs zur Vereidigung geht man davon aus, dass die regionale Zusammenarbeit oberste Priorität der Modi-Regierung genießen wird.

Über die Außenpolitik hinaus wurde die Frage debattiert, ob die Modi-Regierung die von der Vorgängerregierung eingesetzten Gouverneure abberufen würde. In Indien ist ein Gouverneur das verfassungsmäßige und zeremonielle Oberhaupt einer Provinz oder eines Bundesstaats, genau wie der Präsident das verfassungsmäßige Oberhaupt des Landes ist. Dabei stellt sich die Frage, ob das Amt des Gouverneurs mit der Politik und Ideologie der herrschenden Partei zusammenhängt oder nicht. Ein Verfassungsgericht des Obersten Gerichtshofs hat 2010 geurteilt, dass „ein Wechsel der Bundesregierung kein Grund zur Abberufung der Gouverneure ist, um Platz für Parteigänger der neuen Regierung zu schaffen“[7]. In einem Artikel des Hindu heißt es dazu: „Der wahre Beweis des demokratischen Charakters der neuen Regierung wäre es, wenn sie der Versuchung widerstehen könnte, die Politiker und Günstlinge der Congress-Partei durch eigenes Alt-Personal, das versorgt werden muss, zu ersetzen, sondern entsprechend der Empfehlung der Sarkaria-Kommission renommierte Persönlichkeiten berufen würde.“[8] Andere vertreten die Meinung, der Gouverneur eines Bundesstaats solle automatisch zurücktreten, sobald eine neue Regierung einer anderen Partei an die Macht kommt: „Es ist gute Tradition in den Westminster-Demokratien, zu denen auch Indien zählt, dass alle Inhaber politischer Ämter, die von der Vorgängerregierung ernannt wurden, aus Gründen des politischen Anstands zurücktreten.“[9] Das kann ein Prüfstein des demokratischen Charakters der Regierung sein.

Modi hat durch seine bisherigen Maßnahmen deutlich gezeigt, dass die wirtschaftliche Entwicklung durch regionale Kooperation ein absolutes Muss ist, während Indiens Interaktionen und Beziehungen mit anderen Ländern dennoch von den Auseinandersetzungen mit Nachbarstaaten entschieden wird, die eine gewaltige Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellen. Mit dem Besuch in Bhutan und der Einladung der SAARC-Staatsoberhäupter hat Modi ein positives Signal hinsichtlich der Konturen seiner Außenpolitik ausgesendet. Und auch mit der Annahme der Einladung des Präsidenten der USA hat er gezeigt, dass die Verbitterungen der Vergangenheit einer neue Realpolitik weichen.

Die außenpolitische Agenda und die demokratische Ernsthaftigkeit der Regierung werden sich erst längerfristig herauskristallisieren, aber bis jetzt gibt es keine Hinweise, dass die Kontinuität der Politik der Vorgängerregierung unterbrochen wird.

 

[1] KG Suresh, „Narendra Modi’s first foreign policy initiative shows his far-sightedness“, Deccan Chronicle, 29. Mai 2014

[2] The Rediff News, „How Modi’s Demonisation fuelled his rise“, The Rediff News, 29. Mai 2014

[3] Varun Gandhi, „India Shouldn’t let go of a chance to rebuild ties with neighbours“, Hindustan Times, 19. Juni 2014

[4] The News Indian Express, „Modi’s Bhutan Visit a Good Start for Peace“, The Indian Express, 17. Juni 2014

[5] The News Indian Express, „Thimphu Beginning“, The Indian Express, 7. Juni 2014

[6] Dipanjan Roy Chaudhury & Masood Hussain, „Elections 2014: Narendra Modi likely to follow a more muscular policy towards Pakistan if he becomes PM“, The Economic Times, 3. Mai 2014

[7] B.P. Singhal Vs. Union of India & ANR. [2010] INSC 365 

[8] The Hindu, „Democratic Credentials on Test“, The Hindu, 19. Juni 2014

[9] The News Indian Express, „Governors Must Honour New Mandate at Centre“, The Indian Express, 20. Juni 2014