Sibel Kekillis Laudatio für Nebahat Akkoc

Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Gäste,
liebe Nebahat Akkoç!
 

Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit, Bildung.

Von diesen Dingen wusste das kurdische Mädchen, das 1955 als Drittgeborene zusammen mit acht Geschwistern in Karliova, einer kleinen Stadt im Osten der Türkei, aufwuchs, noch nichts.

Sie erlebte eine Kindheit behütet im Kreise ihrer Familie, ging zur Schule und wurde schließlich Lehrerin. Sie heiratete und bekam zwei Kinder.

Im Laufe der Jahre wurde aus dem kleinen Mädchen vom Lande eine neugierige junge Frau, die anfing, sich politisch zu engagieren. Beim eher links gerichteten Verband für Lehrerinnen und Lehrer fand Nebahat Akkoç so etwas wie eine politische Heimat für einen offenen Diskurs unter Gleichgesinnten. Das war VOR dem Militärputsch im Jahr 1980. Bis dahin war Ihre Welt noch in Ordnung.

Diese heile Welt wurde mit dem Putsch jedoch gewaltig aus den Angeln gehoben. Unzählige Organisationen wurden verboten, es gab eine Verhaftungswelle gegen Andersdenkende, von der auch ihr Ehemann betroffen war. Ein erster Wendepunkt. Damals begann für Nebahat Akkoç der bis heute andauernde Kampf gegen sichtbare und unsichtbare Feinde in ihrem Leben. Sie war bereit zu kämpfen. Für die Freiheit ihres Mannes, aber auch für alle anderen.

Der Schlüssel für die Freiheit waren aus ihrer Sicht Bildung und Aufklärung. Bei ihren Gefängnisbesuchen etwa half sie anderen Frauen, die weder schreiben noch lesen konnten. Darunter waren viele Kurdinnen, die nicht einmal türkisch sprachen. In den vielen Gesprächen mit ihnen wurde ihr immer klarer, dass diese Frauen nicht nur unter politischer Gewalt litten, sondern auch unter Gewalt innerhalb der Familie. Die logische Konsequenz: Sie engagierte sich als Bezirksvorsitzende bei der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft.

Doch obwohl sie bis 1993 in Sachen Bildungsaktivitäten aufgrund der andauernden Kämpfe nicht aktiv werden konnte, sahen das nicht alle mit Wohlwollen. Immer wieder wurden Lehrerinnen und Lehrer Opfer von Mord und Totschlag – die Täter aber blieben unerkannt. In ihren Presserklärungen verurteilte Nebahat Akkoc diese Taten aufs Schärfste. Das hatte schließlich zur Folge, dass nicht nur innerhalb des Lehrerverbandes, sondern sogar auch polizeilich gegen sie ermittelt wurde.

1993 brachte dann einen weiteren Wendepunkt in ihrem Leben. Ihr Ehemann wurde auf dem Weg zur Schule erschossen. Akkoç gab ihren Lehrberuf auf, um sich jetzt voll und ganz den Menschenrechten zu widmen und engagierte sich bei mehreren Vereinen und Parteien. 1994 wurde sie 12 Tage lang inhaftiert und gefoltert. Von da an war ihr klar, dass sie ihre ganze Kraft ausschließlich den Frauenrechten widmen würde. Zwischen 1994 und 1997 wurde sie insgesamt 15 Mal festgenommen und immer wieder schwer misshandelt.

Sie klagte beim Europäischen Gerichtshof gegen die Einschränkung ihrer Meinungsfreiheit, gegen ihre Inhaftierungen und Folter sowie für die Aufklärung des Mordes an ihrem Ehemann. Die international als „Akkoç-Prozess“ bekannt gewordene Klage war die erste aus der Türkei überhaupt – und damit war sie erfolgreich.

1996 gründete sie quasi aus ihrem Wohnzimmer heraus KAMER, eine Frauenrechtsorganisation, die seit 2005 als Stiftung aufgeführt wird. KAMER hat in 23 Städten Südost- und Ostanatoliens Niederlassungen, um dort die vielfach verletzten Menschenrechte der Frauen zu verteidigen. Seit 2005 besteht auch das Programm „Jede Frau braucht eine Chance“, das dazu beiträgt, Frauen in Dörfern, Kleinstädten und Städten eine Chance zu bieten, sich von Gewalt in der Familie zu befreien, sich von ihren traditionellen Rollen zu lösen und diese zu verändern.

Wie würdigt man einen solchen Menschen, der einen Kampf für etwas, das wir hierzulande als Selbstverständlichkeit annehmen, zu seinem Lebensinhalt gemacht hat? Aus einem vermeintlich sicheren Leben auszutreten und gegen Gewalt an Frauen zu kämpfen, braucht Mut, Stärke und Ausdauer. Vor allem in einem Land, dessen Staat einen dafür nur allzu schnell zum Feind machen kann. In einer Kultur mit seiner tief verankerten Tradition den Finger immer wieder tief in die Wunde zu legen, diese immer wieder zu kritisieren, bedeutet leider ganz zwangsläufig, sich viele Feinde zu machen. Eine Frau wie Nebahat Akkoç wird dann plötzlich zur Gefahr für viele Männer – und schließlich auch für einen ganzen Staat. Es ist schwer vorstellbar, aber sobald man den Mund aufmacht, sieht man sich als Verräterin abgestempelt und bedroht. Nebahat Akkoç hat auf ihrem Weg bis hierhin nicht nur Drohungen aushalten müssen, sondern am eigenen Leib Gewalt und Folter erlebt.

Diese Passion, sich anderen zu verschreiben, und die Ausdauer, nach mehr als 35 Jahren noch immer für Frauen und Menschenrechte zu kämpfen, ist alles andere als selbstverständlich. Umso bedeutender sind Tage wie dieser, an denen Sie und ihre Arbeit gesehen und gewürdigt werden. Wir dürfen Frauen wie Sie, liebe Nebahat Akkoç, in ihrem Kampf gegen Gewalt an Frauen nicht alleine lassen.

Nebahat Akkoç, ich bewundere Sie, dass Sie in all den Jahren nie Ihren Mut verloren haben, sondern immer wieder aufgestanden sind und weiter gekämpft haben und nach wie vor kämpfen. Sie haben sich auch in Ihren unzähligen Notlagen stets selbstlos für andere eingesetzt. Vielen Frauen fehlt es nicht nur am nötigen Mut, sich aus der Gewalt der eigenen Familie oder des eigenen Mannes zu befreien, sondern auch am nötigen Wissen und nicht zuletzt am unbeirrbaren Willen, der Ihnen zu eigen ist. Allen Widrigkeiten zum Trotz, allen Gegnern zum Trotz, die immer wieder versucht haben, Sie klein zu kriegen oder Sie gar zu vernichten, sind Sie Ihren Weg immer weiter gegangen – und gehen ihn noch. Dieser Weg und dieser lange Kampf – er hat sich mehr als gelohnt. Dafür bedanke ich mich stellvertretend für alle Frauen aus tiefstem Herzen und verneige mich vor Ihrem Willen und Mut, diese, unsere Welt ein wenig gerechter zu machen.

 

Video-Mitschnitt der Preisverleihung am 6. März 2015

Anne-Klein-Frauenpreis 2015 (Deutsch) - Heinrich-Böll-Stiftung

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