Vergesst Assad

Assad Porträt
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Eine Rehabilitierung Assads fordert politisch wie finanziell einen exorbitanten Preis. Wieviel würde sich der Westen das kosten lassen?

Wenn man einen Tyrannen nicht stürzen kann, muss man eben mit ihm kooperieren. Diese Schlussfolgerung ist in ihrer Schlichtheit so bedrückend wie unausgereift. Ein Kommentar von Bente Scheller.

Sah es 2011 so aus, als seien Bashar al-Assads Tage gezählt, mehren sich die Stimmen, ihn als Teil der Lösung zu betrachten, wie der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, unlängst in Wien verkündete.

Je systematischer und brutaler Syriens Diktator die Menschenrechte missachtet, desto mehr erscheint er in manchen Kreisen als potentiell verlässlicher Partner. Das hat er im Wesentlichen der islamistischen Terrorarmee ISIS zu verdanken. Wenngleich es kaum Gräuel an Zivilisten gibt, die das Regime nicht verübt und obwohl es dies in einem weitaus größeren, tödlicheren Maße tut, wird Assad gerne als „geringeres Übel“ bezeichnet.

Die Schlussfolgerung, wenn man Assad als Partner im Kampf gegen den Terrorismus gewinnen könnte, ließe sich damit die Situation in Syrien befrieden, ist so bedrückend in ihrer Schlichtheit wie unausgereift, wenn es an die Umsetzung geht. Um den Kampf gegen ISIS gewinnen zu können, bedarf es dreierlei: der Mittel, des Willens und einer Strategie.

Assads Regime unterliegt internationalen Sanktionen. Allerdings genießt es seit 2011 ein enormes Ausmaß finanzieller und militärischer Unterstützung durch Iran und Russland. Wie viel von ihrer Unterstützung würden Damaskus‘ jetzige Alliierte im Falle einer Rehabilitierung Assads durch den Westen aufrechterhalten wollen? Angesichts des schwachen Rubels und der wirtschaftlichen Folgen des niedrigen Ölpreises für Iran wäre es für beide wünschenswert, die Belastungen durch Syrien herunterzufahren. Gerade die Historie der russisch-syrischen Beziehungen zeigt außerdem: Mit Syrien zu kooperieren war für Moskau immer nur dann interessant, wenn dies ein politisches Statement gegen den Westen war. Eine Rehabilitierung Assads fordert politisch wie finanziell einen exorbitanten Preis. Wieviel würde sich der Westen das kosten lassen?

Allianz mit Russland und Iran

Auch auf dem Schlachtfeld ist Assads Stärke nur geborgt – von irregulären syrischen Milizen und ausländischen Kämpfern. Wie zwei niederländische Journalisten, die mit dem syrischen Militär zusammen von Damaskus über Homs nach Aleppo reisten, konstatierten: Mit Ausnahme von Spezialkräften in Aleppo hätten sie kaum Truppen der eigentlichen Armee zu Gesicht bekommen. Der syrische Staat hat sein Gewaltmonopol zugunsten der „Nationalen Verteidigungskräfte“, innersyrischer Milizen und der aus Iran, Irak, Libanon, selbst aus Afghanistan, eingereisten Kämpfern aufgegeben. Mit einer solch heterogenen Truppe lässt sich viel Unheil stiften, aber schlecht ein strategischer Kampfplan umsetzen.

Schon als der Hauptgegner des Regimes die schlecht gerüstete Freie Syrische Armee war, konnte es weite Teile des Nordens nicht gegen sie verteidigen. Bereits Anfang 2013 konstatierte das Londoner International Institute for Strategic Studies, die syrische Armee sei auf die Hälfte ihrer einstigen Truppenstärke zusammengeschrumpft. Assad als Partner zu deklarieren, ist einfach – doch wie weit wäre der Westen bereit zu gehen, um ihn in die Lage zu versetzen, die Erwartungen zu erfüllen? Mit Waffenlieferungen? Mit Bodentruppen?

Noch schwieriger ist die Frage des politischen Willens. Assad möchte, zwecks eigenen Machterhalts, international rehabilitiert werden. Was er jedoch dafür bereit wäre zu tun, steht in den Sternen. Zunächst einmal ist seine Bringschuld gegenüber Iran und Russland deutlich größer als gegenüber dem Westen. Bei divergierenden Interessen wäre daher nicht automatisch anzunehmen, dass Assad, der sich gern mit anti-westlichen Statements profiliert, plötzlich westlichen Interessen den Vorzug gäbe.

Zweitens hat das Regime schon lange erkannt, welchen Wert Terrorismus hat: Wer sein Image nicht durch positive Handlungen aufpolieren kann, ist darauf angewiesen, einen mutmaßlich schlimmeren „Anderen“ heraufzubeschwören. Wenig ruft den Westen so verlässlich auf den Plan wie eine empfundene oder tatsächliche islamistische Terrordrohung.

Terroristen gezielt freigelassen

Es gibt folglich keinen Grund anzunehmen, dass Assad eine so wertvolle Trumpfkarte wie ISIS tatsächlich aus der Hand geben, ja gar aus der Welt schaffen würde. 2003 hat das Regime nach Kräften die Reise von Jihadis in den Irak gefördert, um damit zu verhindern, selbst das nächste Ziel amerikanischer Truppen zu werden. Die Rückkehrer kamen damals in die syrischen Gefängnisse und wurden 2011 gezielt freigelassen, um der Terrorismusgefahr Hand und Fuß zu verleihen. Daher ist anzunehmen, dass die syrische Unterstützung gegen den Terrorismus sich auch diesmal auf ein homöopathisches Ausmaß belaufen würde, und dass das Regime sich offen halten würde, wann und wie es Terror wieder als Druckmittel einsetzt.

Was die Strategie betrifft: Schon jetzt ist für viele Sunniten in der Region nicht erkennbar, dass ihr Leben aus der Sicht des Westens den gleichen Wert wie das von Minderheiten hat. Die meisten Opfer der Regimegewalt sind Sunniten. Dass sie kaum Unterstützung gegen Assad erfahren haben, die internationale Gemeinschaft ihn jetzt aber gar als Partner gegen ISIS in Erwägung zieht, würde den Narrativ einer westlich-schiitischen Verschwörung gegen die Sunniten verstärken. So ungewiss es also wäre, was man im Kampf gegen ISIS durch eine Kooperation mit dem Regime gewinnen könnte, so sehr kann man davon ausgehen, dass diese ISIS einen Zustrom an Kämpfern bescheren würde – nicht aus Überzeugung, sondern schlicht, weil viele Sunniten sonst niemanden mehr sähen, der sie vor dem Regime beschützen könnte.

Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Sicherheitspolitik-Blog der Universität Frankfurt am Main.