Warum sich viele Palästinenser über den Sieg Netanyahus freuen

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Auf dem Markt in Ramallah

Während viele Menschen in Israel auf Netanyahus Abwahl hofften, war man auf palästinensischer Seite zurückhaltender - und erwartet jetzt mehr Druck durch die internationale Gemeinschaft.

“Hoffen wir mal, dass Netanyahu die Wahl gewinnt”, verabschiedet sich ein junger palästinensischer Intellektueller von mir noch am Tag der israelischen Wahlen, als das Ergebnis noch nicht fest steht. Auch am nächsten Morgen, nachdem der Sieg Benjamin Netanyahus deutlich ausgefallen ist, trifft man nicht wenige Palästinenser/innen, die sogar erleichtert sind. Was nach außen wie eine fatalistische Haltung wirken könnte, fußt auf einer nüchternen Analyse der politischen Kräfteverhältnisse inner- und außerhalb Israels und den Aussichten für die Palästinenser/innen internationale Unterstützung für ihr Streben nach einem Ende der israelischen Besatzung zu gewinnen.

Während im Vorfeld der Wahl Beobachter/innen vor allem in Israel die Hoffnung hatten, dass die Regierungszeit Netanyahus zu Ende geht, war man auf Seiten der Palästinenser/innen deutlich zurückhaltender: Selbst im Falle einer Wahlniederlage Netanyahus und einer Regierungsbildung unter seinen Konkurrenten Isaac Herzog und Tzipi Livni (das „zionistische Lager“) erwartete man kaum einen Wandel mit Blick auf die Besatzung der palästinensischen Gebiete oder das israelisch-palästinensische Verhältnis. Erstens, weil auch Herzog auf rechte Parteien angewiesen gewesen wäre, und zweitens, weil keinerlei Vision im Wahlkampf entwickelt wurde, wie die Politik gegenüber den Palästinenser/innen sich konkret ändern bzw. die Besatzung beendet werden könnte.

In der Tat spielte das Thema der Besatzung gar keine zentrale Rolle im israelischen Wahlkampf. Jene Parteien, die eine klare Haltung zur Beendigung der Besatzung haben, sind entweder wie die linke Meretz-Partei sehr klein (vier Sitze in der neuen Knesset) oder stehen wie die “Vereinigte Liste” der arabischen Parteien außerhalb des Spektrums der jüdischen Parteien, die überwiegend nicht mit dem neuen Bündnis kooperieren wollen.

Klare Signale von der EU?

Sorgen bestanden daher eher dahingehend, dass möglicherweise eine gemäßigte Regierung unter Einschluss rechter Parteien an die Macht kommen könnte – beispielsweise eine große Koalition aus dem „zionistischen Lager“ und Likud – die dann nach außen ein freundlicheres Gesicht zeigen und sich zu neuen Verhandlungen à la „Kerryprozess“ (die letzte, ergebnislose Verhandlungsrunde 2013-2014) bereit erklären könnten, ohne aber die Siedlungspolitik aufzugeben oder internationales Recht als Grundlage für Verhandlungen anzuerkennen.

Netanyahu verkündete dagegen kurz vor der Wahl eindeutig, dass es mit ihm keinen Palästinenserstaat geben werde. Außerdem bekannte er sich zur Siedlungspolitik und machte rassistische Bemerkungen gegenüber den palästinensischen Staatsbürgern Israels, die auch von einem Sprecher des Weißen Hauses kritisiert wurden. Diese Äußerungen sind ganz sicher nichts, worüber sich Palästinenser/innen freuen können. Aber durch die Klarheit, mit der Netanyahu sie ausgesprochen hat, hofft man auf der palästinensischen Seite nun auf stärkeren politischen Druck und auf konkrete politische Fortschritte in Richtung eines Endes der Besatzung. Nun könnten Prozesse vorangetrieben werden, die bisher international weitgehend blockiert wurden.

Eine UN-Resolution, welche internationales Recht verbrieft und ein Ende der Besatzung in Aussicht stellt, wurde noch vor Monaten von den USA mit einem Veto abgelehnt. Dies könnte sich nun ändern, zumal Netanyahu im Wahlkampf insbesondere mit seinem einseitig mit den Republikanern eingefädelten Auftritt im Kongress die Obama-Administration verärgert hat. So kamen auch aus den USA zunächst keine Glückwünsche an Netanyahu.

Die EU-Außenbeauftratge Mogherini gratulierte dagegen Netanyahu und drückte ihre Hoffnung auf neue Friedensverhandlungen aus, auch wenn sie mit dieser Einschätzung alleine blieb. Die Palästinenser/innen dagegen erwarten, dass eine rechte Regierung unter Netanyahu jetzt von der EU mit klaren Signalen und Maßnahmen unter Druck gesetzt wird, die weit über die bisherige Debatte über die Deklarierung von Siedlungsprodukten hinausgehen.

Der Beitritt zum Internationalen Strafgerichtshof

Nicht nur auf Seiten der Palästinenser/innen, sondern auch bei vielen israelischen und internationalen NGOs und Menschenrechtsorganisationen besteht die Hoffnung, dass einer neuen Rechtsregierung unter Netanyahu nicht nach dem Motto „business as usual“ begegnet wird, sondern diese in einer weiteren Amtszeit die Konsequenzen ihrer rechten Politik, der massiven Siedlungspolitik und der Ablehnung internationaler Rechtsgrundsätze, tragen muss. In der israelischen Tageszeitung Haaretz spricht Peter Beinhart von einem „pressure process“ statt „peace process.“

Internationaler Druck wird auch notwendig sein, um einen neuen, fatalen Krieg gegen Gaza zu verhindern und den Wiederaufbau und ein Ende der Blockade möglich zu machen.

Der frühere palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat hob in einer ersten Reaktion die Hoffnung auf Palästinas Beitritt zum Internationalen Strafgerichtshof hervor. Internationale Unterstützung könnte zunehmen, nicht nur für eine Untersuchung des jüngsten Gazakrieges, sondern auch der jahrzehntelangen Besiedelung und Besatzung palästinensischen Gebietes. Am 1. April, also möglicherweise noch vor einer Regierungsbildung, wird der Beitritt Palästinas rechtskräftig. Dies ist ein Symbol dafür, dass die Palästinenser/innen einer neuen Regierung Netanyahu möglicherweise deutlich konfrontativer gegenüber treten werden als in der Vergangenheit und dafür internationale Unterstützung ersuchen.

Zwar hat Präsident Abbas deutlich gemacht, dass man mit dem „nächsten israelischen Premierminister“ verhandeln werde, wenn er eine Zweistaatenlösung anerkennt. Aber an ernsthafte Verhandlungen mit Israel glaubt in der Bevölkerung derzeit niemand mehr. Es fällt zwar schwer, sich über einen Wahlsieg Netanyahus zu freuen. Für die Palästinenser/innen ist damit aber die Hoffnung verbunden, mehr Unterstützung für eine Politik zu erhalten, die sich an internationalem Recht orientiert und das Ende der israelischen Besatzung zum Ziel hat.

 

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