"Syriza hat sich zu sehr auf die Verhandlungen konzentriert"

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Margarita Tsomou im Hamburger Theater Kampnagel

Margarita Tsmou ist Journalistin und Aktivistin. In Griechenland und Deutschland hat sie sich für Solidarität mit Syriza eingesetzt. Im Interview spricht sie über deutsche Krisenerzählungen und die Enttäuschung über Tsipras' Regierung, die sich von den sozialen Bewegungen im Land immer weiter entfernt hat.

Frau Tsomou, Sie sind eine der schärfsten Kritikerinnen an der Berichterstattung deutscher Medien über Griechenland. Was regt Sie so auf?

In Deutschland überwiegt seit 2010 eine Erzählung, die die Krise als genuin griechisches Phänomen versteht. Die Schuld an den Schulden wird allein Griechenland zugeschrieben. Griechenland habe nationale Probleme, sei korrupt und könne nicht haushalten.

Es wurde viel zu wenig darauf hingewiesen, dass die Schuldenkrise mit der Finanzkrise 2008 zu tun hat. Während Deutschland zu dem Zeitpunkt mit konjunkturfördernden Maßnahmen reagierte, wurden Griechenland Austeritätsprogramme verordnet.

Außerdem haben die Medien hierzulande nicht genügend erklärt, dass das Problem bereits darin besteht, eine gemeinsame Währung wie den Euro bei komplett unterschiedlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen einzuführen. Alle Länder an der Peripherie Europas haben Schulden-Probleme bekommen, als sie mit der gemeinsamen Währung zu Import-Ländern wurden. Diese Krise wurde viel zu selten als strukturelle Krise des Euro beschrieben.

Dafür aber, so Ihre Kritik, sehr oft als Mentalitätsproblem der Griech/innen?

Schon der Begriff der „Pleitegriechen“ suggeriert ja: Nicht das Land ist pleite, sondern das Volk. Als gäbe es eine gemeinsame Mentalität der Griech/innen, die schuld sei an der Krise. Als Gegenbild zu diesem griechischen Trickser und Betrüger hat sich dann der deutsche Steuerzahler konstituiert.

An dieser Figur zeigt sich für mich ein neuer Nationalismus. Der funktioniert nicht mehr über Referenzen wie Blut und Boden oder eine gemeinsame Kultur, sondern über das ökonomische nationale Interesse: „Wir müssen hier alle hart arbeiten und zahlen Steuern, und diese südländischen Schmarotzer machen sich von unserem Geld ein schönes Leben!“

Die Berichterstattung bekam so einen nationalen Charakter und verschleierte ökonomische Interessen. Spiegel-Journalist Georg Diez hat mal darauf hingewiesen, dass nirgends stand: Merkel rettet deutsche Banken.

Dieser chauvinistische Ton wurde vor allem nach der Wahl von Tsipras in Deutschland lauter.

Die Syriza-Regierung hat von Anfang an extrem provoziert, weil sie einen neuen Vorschlag für Europa hatte - und zwar sowohl performativ als auch inhaltlich. Die Politiker von Syriza wollten eine linke, keynesianistische Nachfragepolitik etablieren. Doch innerhalb des Euro-Rahmens gibt es eine klare neoliberale Linie, die nur auf das „Vertrauen der Finanzmärkte“ setzt. Tsipras und Varoufakis haben den Zweifel der Menschen an dieser Politik repräsentiert. Und sie zeigten, dass auch Underdogs an die Macht kommen können…

In den zahlreichen Hochglanz Homestories sah das Zuhause von Yanis Varoufakis nicht gerade wie das eines Underdogs aus…

In dieser post-demokratischen Zeit, in der die Leute nicht mehr an die herkömmlichen Politiker glauben, hat Varoufakis den Popstar gespielt. Das kann man gut oder schlecht finden. Aber er folgte nicht dem Habitus des politischen Feldes. Er hat etwa seine ganzen Gespräche offen gelegt.

Hätte man nicht erst einmal nach den Regeln spielen müssen, die eben schon bestanden? Hat Varoufakis mit dieser Performance nicht eine riesige Chance verspielt?

Die Niederlage haben Tsipras und der neue Finanzminister Euklidis Tsakolotos eingefahren. Die haben nach den Regeln gespielt, aber das hat offensichtlich auch nicht viel genutzt. Es geht ja hier nicht nur um Stilfragen, sondern um politische Differenzen über die Zukunft der EU.

Warum hat Tsipras eigentlich nicht als einen der ersten Schritte die Reichen besteuert? Das hätte man doch von einer linken Regierung erwartet.

Das finde ich auch. Aber das Steuersystem war Teil der Verhandlungen. Syriza hat Vorschläge gemacht zur Besteuerung der Unternehmen, einen höheren Spitzensteuersatz vorgesehen, doch das wollte die Troika nicht. Sie hat auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer gesetzt, mit der wieder die Armen belastet werden. Das Land muss wettbewerbsfähig gemacht werden, und da dürfen die Unternehmen nicht höher besteuert werden - das ist die Logik der Troika.

Was ist denn von der Hoffnung, die nach dem Wahlsieg Syrizas viele hatten, heute noch übrig?

Zuerst hat Syriza den sozialen Bewegungen Aufschwung gegeben. Aber die letzten Monate waren ein Limbo, ein „Grimbo“. Es ist ein Schock gewesen, dass diese Regierung das Gleiche tun will wie alle Regierungen zuvor. Die Leute wissen zwar, dass Tsipras gezwungen wurde. Aber sie ärgern sich darüber.

Das Memorandum schafft keine Perspektive, weder ökonomisch noch sozial. Die Bewegung der Putzfrauen und die Bewegungen gegen Zwangsräumungen haben schon Erklärungen gegen das Memorandum abgegeben, genau wie Mitarbeiter/innen an den Universitäten - und die haben Tsipras alle lange gestüzt, wie ich auch.

Sie sind, wie einige der Gruppen, die Sie gerade nannten, auch im Rahmen des Netzwerks Solidarity4all aktiv. Das hat sich im Herbst 2012 gegründet - unterstützt von Syriza – mit dem Ziel, die wachsenden gesellschaftlichen Solidaritätsbewegungen zu unterstützen.

Das war mal der Fokus von Syriza. Doch Tsipras hat es in den letzten Monaten verpasst, die zivilgesellschaftliche Dynamik zu nutzen. Er hat diese Kräfte nicht angezapft, keine Bestrebungen unternommen, sie zu institutionalisieren. Er hat sich auf die Verhandlungen mit Merkel und Schäuble konzentriert. Ob er musste oder nicht, sei dahingestellt.

Können Sie ein Beispiel nennen für ein solches Versäumnis?

Solidarity4all hat das Agrarministerium angeschrieben und nach Kontakten zu Bauern gefragt. Das Netzwerk wollte die Bauern aufnehmen in ihre kollektiv organisierten Märkte. Die Bauern sollten direkt den Preis kriegen, den die Leute für ihre Güter bezahlen – ohne Mittelsmänner. Vom Agrarministerium kam keine Antwort. Solidarity4all hat auch gefragt, wo es brachliegende Flächen gibt, auf denen sich die Armeen von Arbeitslosen gemeinsam etwas anbauen könnten. Wieder kam keine Antwort. Das ist enttäuschend.

Organisieren sich die Solidaritätsbewegungen innerhalb des Netzwerks jetzt unabhängig von Syriza weiter?

Natürlich! Die Architekt/innen, die in Griechenland an neuen Arten von Häusern für neue Kollektive bauen, die Künstler/innen, die Theater besetzen, die Biolog/innen und Pflanzenkundler/innen, die gerade alternatives Farming ausprobieren, und die Hacker/innen und Informatiker/innen, die Bitcoins einführen auf verschiedenen Inseln, die wegen der hohen Mehrwertsteuer alternative Währungen brauchen  - sie alle sind als zivilgesellschaftliche Kräfte für mich die eigentlich relevanten Akteure. Was sie tun, schafft nachhaltig solidarische Strukturen.

Und wie wird in Griechenland heute über Deutschland gedacht, seit bekannt ist, dass knapp drei Viertel der Deutschen gut finden, wie Schäuble verhandelt hat?

Es gibt den Reflex, dass die Erinnerung an das Leid wieder aufgeweckt wird, das die Deutschen den Griech/innen einst zugefügt haben. Dann sind die Deutschen diejenigen, die die fälligen Reparationszahlungen nicht anerkennen wollen und die Griech/innen nun auch noch verurteilen. Das weckt sofort die Assoziation dieses hässlichen Deutschen, der sich als Herrenmensch fühlt. Doch die dominante Erzählung in Griechenland ist nicht, dass die Deutschen an sich das Problem sind. Neulich sagte ein Fischer aus meiner Heimatinsel Skiathos, ich solle in Deutschland ausrichten, dass die Griech/innen die Deutschen im Land willkommen heißen und dass man nichts gegen sie hat - aber gegen ihre Kanzlerin ist man aufgebracht, weil sie gerade die politischen Richtlinien des Landes setzt.

 

Die 1977 geborene Journalistin Margarita Tsomou besitzt die deutsche sowie die griechische Staatsbürgerschaft und pendelte die letzten Monate zwischen den zwei Ländern. Sie schreibt ihre Doktorarbeit über Syriza und die sozialen Bewegungen in Griechenland und engagiert sich für eine deutsche Solidaritätsbewegung. Am 7. und 8. August kuratiert sie das Themenspecial „This is not Greece“ des internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel in Hamburg. Sie ist eine der Herausgeberinnen des Missy Magazine.