Wieder Wahlkampf in Griechenland

Alexis Tsipras, Syriza
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Noch einmal von vorne: Alexis Tsipiras bei einer Wahlkampfveranstaltung im Mai 2014

Tsipras bereitet sich auf einen neuen Wahlkampf vor. Den aktuellen Umfragen zufolge ist eine absolute Mehrheit für den Syriza nicht in Sicht. Doch Tsipras will eine Rückkehr zum alten System verhindern.

Das hatte sich der inzwischen zurückgetretene Ministerpräsident Alexis Tsipras anders vorgestellt, als er zum Präsidenten der Republik ging und seinen Rücktritt überreichte, um Neuwahlen zu provozieren. Der Wahlkampf sollte blitzschnell über die Bühne gehen, die Krise in seiner Partei sollte sich in Grenzen halten, die Opposition überrascht werden. Die politischen Gegner schienen ihm nicht gefährlich. Denn der Interims-Chef der größten Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND), der 62-jährige Vangelis Meimarakis, wurde eingesetzt, um bei den Konservativen die Wahl eines neuen Vorsitzenden vorzubereiten. Als Spitzenkandidat war er nie vorgesehen. Auch deshalb nicht, weil er zur alten Führungsriege der Partei gehört, die viele Bürger und Bürgerinnen für den Bankrott des Landes verantwortlich machen. Parteichef Tsipras, der sich bei den letzten Umfragen im Juli noch über einen gewaltigen Popularitätsvorsprung gegenüber seinen Konkurrenten freuen konnte, rechnete daher mit einem leichten und sicheren Wahlgewinn.

Doch nun scheint es anders zu kommen. Der bisherige Riesenvorsprung des Syriza gegenüber der zweitstärksten Nea Demokratia ist in den Umfragen nunmehr auf wenige Prozentpunkte geschrumpft. Zwar konnten die Abweichler in der Syriza, die eine neue Partei der „Nationalen Einheit“ (Laiki Enotita) formierten, keine besondere Dynamik entwickeln, in den Umfragen liegen sie bei vier Prozent, aber diese Stimmen werden dem Syriza sicher fehlen. Und Meimarakis, der als früherer Parteisekretär seine Partei bestens kennt, erwies sich mit seinem volksnahen Mundwerk und seinen unkonventionellen Auftritten bisher als ein geschickter Wahlkämpfer.

Ziel: Keine Rückkehr zum alten System

Zu Beginn des Wahlkampfs gab sich Alexis Tsipras siegessicher und hochmutig. Nichts weniger als die absolute Mehrheit der Mandate wollte er haben, um alleine regieren zu können. Höchstens mit seinem bisherigen Koalitionspartner, den rechtspopulistischen „Unabhängigen Griechen“, könne er sich eine Koalition vorstellen. Den europaorientierten Parteien „Neue Demokratie“, Sozialisten (PASOK) und „Der Fluss“ (to potami), die ihm trotz der hohen Verluste in den eigenen Reihen die Verabschiedung des neuen Abkommens mit den EU-Partnern ermöglichten, erteilt er hingegen eine deutliche Abfuhr. Sie seien nichts als die Repräsentanten des alten korrupten und degenerierten Systems, das das Land ruiniert habe. Ziel von Syriza sei es daher, die Rückkehr der Alt-Parteien an die Macht und damit die Rückkehr des alten Systems zu verhindern.

Mit diesem defensiven Ansatz und dem Image der unverbrauchten Partei tritt Syriza bei diesen Wahlen an und mit einer Wahlstrategie, die sich von den großen Versprechen des letzten Wahlkampfs deutlich unterscheidet. Doch kann Syriza damit überzeugen?
Viele vermissen ein ehrliches Eingeständnis (und bestenfalls auch eine Entschuldigung) von Alexis Tsipras für seine Fehler, die zum Desaster geführt haben, das der halbjährige Verhandlungspoker dem Land beschert hat: capital controls, mindestens 32 Milliarden Euro höhere Verschuldung, Verlust von etwa 300.000 Arbeitsplätzen, verringerte Wachstumsaussichten um 7,5 Prozent für die nächsten zwei Jahre. Eine riesige Hypothek für die nächsten Generationen. Stattdessen werden die verlorenen Verhandlungsmonate zum „Kampf für den Wiedergewinn der nationalen Würde“ und für die „Rettung Europas“ stilisiert, und die Schuld für das harte dritte Memorandum den unnachgiebigen und unbelehrbaren herrschenden Kreisen, allen voran Deutschland, in persona Wolfgang Schäuble, in die Schuhe geschoben, die Griechenland aus der Eurozone hinaus katapultieren wollten. Man habe ihre Entschiedenheit und Härte unterschätzt, heißt es lediglich selbstkritisch. Als der alles überragende Erfolg wird die Aussicht auf eine günstigere Schuldenregelung erklärt. Doch diese Bereitschaft der Euro-Länder, die besonders auch der IWF verlangt, wurde bereits 2012 signalisiert.

Starke Drachme-Fraktion des Syriza

Und vom Reform- und Sparprogramm des Memorandums, das die Regierung Syriza -Anel mit großer Anstrengung durchs Parlament gebracht hat, sind weder der Spitzenkandidat von Syriza noch die verbliebenen Repräsentant/innen als Wegweiser in die Zukunft überzeugt. Was Syriza wirklich vorhat, bleibt weitgehend unklar. Alles solle nur sozial gerechter sein. In den nächsten Tagen wird von Syriza ein sogenanntes Thessaloniki-Programm 2.0 erwartet. Also die Überarbeitung der Wahlkampfplattform von 2014.

40 Fraktionsmitglieder (unter anderem vier Minister/innen und die Parlamentspräsidentin) haben sich abgespalten, beinahe die Hälfte des Zentralkomitees hat ihren Parteiaustritt erklärt und die Jugendorganisation der Syriza hat sich mittlerweile selbst aufgelöst. Diese Entwicklung macht deutlich, dass es im Syriza entgegen allen offiziellen Verlautbarungen doch eine starke rückwärtsgewandte Drachme-Fraktion gab, die den „Bruch“ und den Austritt aus dem Euro nicht nur als Risiko, sondern als eine wünschenswerte Option betrachtet.

Damit hat sie Regierung Partei Einfluss auf Länge und Verlauf des Verhandlungspokers genommen. Viele Menschen hat das erschreckt, die sich noch an die Zeiten erinnern, in denen frühere Regierungen ihre Misswirtschaft durch Währungsmanipulationen auszugleichen versuchten, die dann von den Menschen mit hoher Inflation bezahlt werden mussten. Kein Wunder also, dass der Euphorie nach dem Wahlsieg des Syriza im Januar nun eine große Ernüchterung folgt. Die Menschen wenden sich in größerer Zahl von dieser Partei und ihrem einstigen Hoffnungsträger wieder ab.

Aktuelle Umfragen

Die erste Welle der Umfragen machte deutlich, dass die absolute Mehrheit der Mandate für Syriza wohl unerreichbar sein wird. Dafür braucht die stärkste Partei in Griechenland etwa 35 Prozent der Stimmen, weil sie dann noch einen Bonus von 50 Sitzen im Parlament erhält. Syriza konnte mit 26-29 Prozent einen kleinen Vorsprung von zwei bis drei Prozent gegenüber der ND verteidigen. Der mögliche Koalitionspartner „Unabhängige Griechen“ hatte Mühe, die Drei-Prozent-Hürde zu überwinden, um überhaupt im nächsten Parlament einzuziehen.

Damit war die Ausgangslage klar. Konnte Syriza am Wahltag seine Führung verteidigen, dann käme nur eine Koalition mit einer, möglicherweise auch zwei der europaorientierten Parteien für eine Koalitionsregierung in Frage. Angesichts der erwarteten geringen Stimmenanteile von unter 30 Prozent für die größten Parteien, sprach sogar Einiges für die Bildung einer großen Koalition aus Syriza und Neuer Demokratie.

Doch trotz dieser Aussichten bleibt Parteichef Tsipras bei seiner Linie: keine Koalition mit den Parteien des alten Systems. Allerdings geben sich andere prominente Mitglieder der Führungsriege, wie der Ex-Innenminister Nikos Voutsis, in dieser Angelegenheit flexibler. Auch für ihn bleibt die absolute Mehrheit der Mandate das Idealziel. Aber Voutsis ließ es offen, ob er sich nach den Wahlen nicht doch eine Koalition mit der sozialistischen Pasok oder der linksliberalen Potami vorstellen könne. Nur eine Koalition mit der konservativen ND schließt er aus.

Diese Mehrdeutigkeit wird von den anderen Parteien als ein Zeichen interpretiert, dass sich Parteichef Tsipras alle Optionen offen halten will – die einer Koalitionsregierung, aber auch die eines neuen Urnengangs nach den Wahlen am 20. September. Wahrscheinlich aber ist, dass es bei einem knappen Syriza-Sieg doch zu einer Koalition mit der Pasok und der Potami kommen wird. Allerdings scheint Tsipras für diesen Fall mit dem Gedanken zu spielen, das Amt des Ministerpräsidenten einem seiner Vertrauten zu überlassen und eine Koalition auf Zeit zu bilden, deren Auftrag die Umsetzung der im neuen Kreditvertrag vorgesehenen Spar- und Reformmaßnahmen sei. Als Person könnte sich Alexis Tsipras dadurch der Last entledigen, ein Memorandum umzusetzen, an das er nicht glaubt und das seiner Popularität nur schaden kann. Er könnte sich so die Chance auf ein Comeback in späterer Zeit erhalten.

Kopf an Kopf Rennen

Doch diese Planspiele könnten schon wieder obsolet sein. Die zweite Umfragewelle zeigt eine weitere Verringerung des Abstands zwischen den beiden großen Parteien, sogar ein Kopf an Kopf Rennen, während für den dritten Platz sich To Potami, die Goldene Morgenröte oder sogar die Pasok qualifiziert, die mit einem Teil der geschrumpften Demokratischen Linken (DIMAR) zusammengeht.

Doch nichts ist entschieden. Alle Parteien werden versuchen, den großen Pool der Unentschiedenen zu überzeugen. Aber wie immer tun sie es, eher mit Parolen und populistischen Versprechungen, als mit Wahrheiten und Konzepten. Denn die Herausforderungen für die nächsten Jahren sind immens: Das Land muss von Grund auf reformiert werden, um zu überleben.