Barbara Unmüßig: "EU will die Staaten Afrikas gegen Geld noch intensiver in Abschottungspolitik einbinden"

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Grenzzaun der spanischen Exklave Melilla in Marokko

Diese Woche treffen die Staats- und Regierungschefs der EU auf Malta mit ihren Kolleg/innen aus Afrika zusammen, um über die Bekämpfung von Fluchtursachen zu reden. Interview mit Barbara Unmüßig in der Berliner Zeitung über die verzerrte Wahrnehmung Afrikas, die fehlende Industrialisierung des verkannten Kontinents und verschwiegene Fehler.

Frau Unmüßig, die EU bittet die Staaten Afrikas zum Gipfel. Welche Erwartungen hegen Sie an das Treffen?
Die sind, offen gestanden, nicht sehr groß. Das europäische Prinzip lautet: Geld gegen Gegenleistung und das bedeutet konkret, es geht um Fragen des Grenzmanagement und Migrationskontrolle. Die Europäische Union will also die Staaten Afrikas gegen Geld noch intensiver in die Abschottungs- und Grenzsicherungspolitik einbinden.

Zu dem Treffen sind auch Diktatoren wie Eritreas Staatschef Afewerki geladen, darf man mit Despoten verhandeln?
Die Verhandlungen mit Staaten wie Eritrea oder dem Sudan dauern im Rahmen des sogenannten Khartum-Prozesses ja schon länger. Es ist aber schon irritierend, wenn die EU mit Eritrea über Migrationsmanagement redet. Eritrea ist ein Unrechtsregime, das für schwerste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist. Es gibt Hinweise, dass Eritreas Militär direkt in Schleuseraktivitäten verwickelt ist.  Die EU muss bei dem Gipfel in Malta unbedingt auf die Einhaltung der Menschenrechte in Afrika drängen.

 

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Flüchtlingen aus Syrien schlägt in Deutschland eine große Sympathie entgegen, bei Flüchtlingen aus Afrika – gerade jungen Männern – ist das anders. Woran liegt das?
Der Bürgerkrieg in Syrien hat medial eine viel größere Aufmerksamkeit als Konflikte in Afrika, das mag die unterschiedliche Empathie sicherlich auch erklären. Wir sollten jedenfalls aufhören, die Menschen in gute und weniger gute Flüchtlinge einzuteilen. Asyl ist ein Grundrecht, das eben keine Obergrenzen kennt.

Die Einteilung gründet zum Teil auch darauf, dass es um die Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt geht. Wir sprechen viel über den syrischen Ingenieur, welche Menschen kommen aus Afrika nach Europa?
Auch aus Afrika kommen die Besserausgebildeten. Das wird oft verkannt. Fluchtursachen sind vielfältig. Es gibt natürlich Menschen, die wie im Südsudan oder an den Großen Seen vor Bürgerkrieg fliehen. Es gibt aber auch viele Migranten, denen es schlicht an einer Perspektive im Land mangelt. Und es gibt immer noch ein großes Missverständnis. Das Bild des Auswanderers hat sich gewandelt. Es geht häufig um „temporäre Auswanderung“, die Menschen wollen nur eine Zeitlang im Norden arbeiten und dann wieder zurückkehren. Europa sollte auf diesen Wandel mit seiner Zuwanderung eine Antwort bieten.

Europas Entwicklungspolitik hat jahrzehntelang auf Investitionen ins Bildungssystem in Afrika gesetzt, nun sind die Menschen gut ausgebildet, aber es mangelt an entsprechenden Jobs, auch weil Investitionen in die Wirtschaft fehlen, die Quote der Industrie an der Wertschöpfung verharrt auf gut zehn Prozent. Auch deshalb machen sich die Menschen auf den Weg…
Wir sollten jedenfalls einige Illusionen über die Entwicklungspolitik rasch beenden. Etwa die Hoffnung, dass wir über Entwicklungshilfe Migrationsströme steuern könnten. Das ist eine Illusion, die auch diesen Gipfel begleitet. Viele Länder Afrikas hatten in den letzten Jahren ein durchschnittliches Wachstum von bis zu acht Prozent, nicht zuletzt dank des Rohstoffbooms. Afrikas Problem liegt nicht im fehlenden Wachstum. Die Erlöse fließen aber nur den Reichen und einer schmalen oberen Mittelschicht zu. Die Staaten Afrikas brauchen eine gerechtere Umverteilungs- und Steuerpolitik. Das Geld ist da, es kommt nur nicht allen zugute. Auch deshalb mangelt es den Menschen auf dem Land in Afrika an einer Perspektive. Wir müssen auch über Europas Verantwortung an den Fluchtursachen reden.

Kriege, ungerechte Verteilungspolitik, welche weiteren Fluchtursachen können Sie benennen?
Eine große Verantwortung trägt auch eine falsche europäische Handelspolitik. Europas Fischereiflotte überfischt die Gewässer vor der Küste Westafrikas und die EU wundert sich, warum sich die Menschen dort auf den Weg machen. Weil die Verbraucher in Europa vornehmlich Hühnerbrust und –schenkel wünschen, gelangen Hühnerreste nach Afrika und zerstören dort lokale Agrarstrukturen. Auch darüber muss die EU sprechen. Oder Landraub. Die G8 startete vor drei Jahren den Prozess „New Alliance for Food Security and Nutrition“, offiziell geht es um Nahrungsmittelsicherheit, aber dahinter stecken große Agrarkonzerne und der Einstieg in die agroindustrielle Landwirtschaft. Das zerstört lokale Strukturen. Es gibt Studien, wonach durch Landraub unmittelbar die Einkommensbasis von 100 Millionen Menschen bedroht ist. Kein Job, keine Perspektive – und Europa wundert sich hinterher, warum sich die Menschen auf den Weg machen. Die großen Fluchtursachen liegen also in einer fehlenden Umverteilungspolitik und falschen Anreizen in der Handelspolitik.

Wie wirkt sich das Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und USA auf Afrika aus?
Laut Studien vor allem nachteilig auf die Staaten Westafrikas. Es ist klar, wenn Zölle auf Textilien und Agrarprodukte in der EU und den USA fallen, geht das zu Lasten der afrikanischen Wirtschaft.

Warum gibt es eigentlich keine Investitionsoffensive für Afrika?
Es gibt Ansätze, etwa des BDI oder des DIHK. Aber in sehr geringem Maße. Afrika hat die Rohstoffe und auch die Fachkräfte. Mehr Investitionen vor Ort, die Einkommen schaffen, sind Teil der europäischen Verantwortung.

 

Das Interview führte Peter Riesbeck, es erschien zuerst in der Berliner Zeitung.