Ich sehe was, was Du nicht siehst - Krisen früh erkennen, zivile Krisenprävention stärken

Beobachter der OSZE bei einer Stellung der ukrainischen Truppen im März 2015
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Beobachter der OSZE bei einer Stellung der ukrainischen Truppen im März 2015

Podiumsdiskussion am 02.06.2015 in der Heinrich-Böll-Stiftung im Rahmen der Reihe  „Krisenprävention im Kontext deutscher Außen- und Friedenspolitik“

Nachrichten aus Burundi (Ostafrika) von einem gescheiterten Putschversuch mit 100.000 Flüchtlingen, Hunderten Toten und verschobenen Parlamentswahlen stimmen nachdenklich. Es ist kein gutes Zeichen, wenn selbst ein geopolitisch so unbedeutendes Land in den deutschen Medien Erwähnung findet. Vor allem, weil Burundi bislang als Erfolgsbeispiel der Friedenskonsolidierung galt. Die aktuelle Entwicklung vor Ort lässt jedoch nichts Gutes ahnen.

 

Global scheint es nicht an Hinweisen auf sich anbahnende Krisen zu mangeln. Dennoch werden sie häufig zu spät wahrgenommen und nicht hinreichend auf Interventionsmöglichkeiten untersucht.

 

Ziel der dritten Veranstaltung (2015) aus der Reihe Zivile Krisenprävention in der Außen- und Friedenspolitik war es daher, ein Gegengewicht zur Debatte um die Fähigkeiten der Bundeswehr zu schaffen und der zivilen Präventionsarbeit mehr Gewicht zu verleihen.
Unter dem Titel Ich sehe was, was Du nicht siehst diskutierten Tom Koenigs (MdB Bündnis 90/Die Grünen), Dr. Martina Fischer (Friedensforscherin und Programmdirektorin Berghof-Foundation) und Rüdiger König (Abteilungsleiter Krisenprävention im Auswärtigen Amt) mit dem Moderator Oliver Knabe (Geschäftsführer Forum Ziviler Friedensdienst) die Möglichkeiten zur Krisenfrüherkennung und Stärkung der Prävention.

Neue Chancen? Der Review-Prozess des Auswärtigen Amtes

Neue Impulse für die Krisenprävention entstehen aus dem Review-2014-Prozess, den der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit seinem Amtsantritt einleitete. Einige Beobachter sahen ihn anfangs kritisch und hatten dementsprechend geringe Erwartungen an die Ergebnisse. Nachgegangen wurde der Frage, inwieweit vorhandene Instrumente, Reaktionen und Handlungsweisen im Hinblick auf Krisen als angemessen und richtig eingeschätzt werden und an welchen Stellen Verbesserungsbedarf besteht. Damit ist der Reformprozess auch als Reaktion auf die aktuelle globale Situation zu verstehen, die der Außenminister mit „…die Welt ist aus den Fugen geraten“ charakterisiert.

Im Ergebnis des Review-Prozesses wurden Umstrukturierungen im Auswärtigen Amt (AA) vorgenommen und die Abteilung Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge neu geschaffen. Abteilungsleiter Rüdiger König sieht seine wichtigste Aufgabe darin, die vorhandenen Instrumentarien zur Konfliktbearbeitung zusammenzufassen, um so Krisen besser zu verstehen und zielgerichteter eingreifen zu können.
Die Arbeitsweise beschreibt er mit einem dreistufigen Vorgehen: Zunächst ist es wichtig, Informationen zu sammeln. Quellen dafür sind neben den Berichten aus den Botschaften die Vereinten Nationen, staatliche Organisationen, internationale Nichtregierungsorganisationen sowie Akteure der Zivilgesellschaft.
Die Daten werden verifiziert, zusammengeführt und analysiert. Wenn sich dabei abzeichnet, dass sich eine Krise anbahnen könnte, wird ein Szenario für das weitere Vorgehen entwickelt. Wichtige Fragen dabei sind: Welche Partner gibt es, die handeln können? Sind regionale Organisationen oder die Vereinten Nationen vor Ort? Ist die Europäische Union ein möglicher Partner? Was können wir von deutscher Seite tun?
Ein nationaler Beitrag muss gegebenenfalls definiert und anschließend zielgerichtet eingesetzt werden – eine schwierige Aufgabe, wie Tom Koenigs warnt, die nicht unterschätzt werden sollte. Mitzubetrachten ist dabei immer auch das Risiko, dass das eingesetzte Handlungsinstrumentarium scheitert. Diese Gefahr besteht vor allem in Konfliktsituationen, in denen die involvierten Protagonisten nicht beeinflussbar sind. Das kann dazu führen, dass das Entstehen von Krisen zwar im Vorfeld erkannt wird, ein Ausbruch aber dennoch nicht zu verhindern ist.

Weiß man wirklich genug?

Die Frage, ob das Auswärtige Amt über genug Wissen verfügt, war für Rüdiger König nicht leicht zu beantworten. Die Bandbreite an Informationen aus den bundesdeutschen Ministerien und von nichtstaatlichen Akteuren schätzt er als sehr gut ein. So gesehen glaubt Rüdiger König, dass ausreichend Wissen vorhanden ist. Er hält eher den Umgang mit der vorhandenen Fülle für eine Herausforderung und bezeichnet die Prüfung der Zuverlässigkeit von Informationen und ihre Einbeziehung in Analysen zur Krisenfrüherkennung als eine sportliche Denkaufgabe, denn es gibt immer auch nicht zutreffende Nachrichten und bewusst gesteuerte Aktionen, die bestimmte Reaktionen hervorrufen wollen. Vor diesem Hintergrund schätzt auch Tom Koenigs das Informationsmanagement als schwierigste Aufgabe ein.
Ein Hemmnis dabei ist die begrenzte Personalausstattung im AA selber und in den Botschaften. Das Ministerium sollte daher keine falsche Bescheidenheit in den Haushaltsverhandlungen zeigen. Tom Koenigs weist mit Blick auf die Kosten von Rüstungsgütern darauf hin, dass bei der Krisenprävention mit vergleichsweise kleinem finanziellem Einsatz großes geleistet werden kann.
Eine Personalaufstockung in den Botschaften würde vor Ort Ansprechpartner für den intensiveren Austausch mit Vertretern der Zivilgesellschaft schaffen. Um dort den Personalmangel ein Stück weit aufzufangen, werden Netzwerke in die Zivilgesellschaft hinein und zu Diplomaten anderer Ländern gepflegt.

Forderung nach einem friedenspolitischen Leitbild

Ist die Verankerung von Krisenfrüherkennung im AA in der Politik der Bundesregierung ausreichend und zufriedenstellend? Martina Fischer beantwortet die Frage aus der Sicht der Forschung mit einem Ja. Sie sieht die neue Struktur positiv, vermisst aber ein friedenspolitisches Leitbild, welches die Vereinten Nationen stärkt und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wieder in den Fokus rückt.
Den Aktionsplan Zivile Konfliktbearbeitung sieht sie ebenso als Fortschritt wie die grundsätzlich intensivere Zusammenarbeit staatlicher Einrichtungen mit Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft in den letzten zehn Jahren. Positiv zu bewerten ist außerdem die zunehmende Öffnung des AA für Plattformen wie den Arbeitskreis Friedens- und Konfliktforschung.
Mit Blick auf das Bundesverteidigungsministeriums befürchtet Martina Fischer, dass das geplante Weißbuch 2016 dem Aktionsplan Zivile Konfliktbearbeitung den Rang ablaufen könnte. Um die Parallelentwicklungen zu beenden, ist ein gemeinsamer Überbau in Form eines Grundlagenpapiers nötig, das die politischen Leitlinien darstellt und über die Inhalte des technisch gehaltenen Aktionsplanes hinausgeht.

Prävention ist keine Wissenschaft - Ursachen der Konflikte

Politik und Wissenschaft sind gleichermaßen noch auf der Suche nach Rezepten zur Bewältigung von Krisen. Dabei verlaufen diese in der Regel ähnlich: Es gibt Entwicklungen, die zunächst häufig unterhalb der Wahrnehmungsschwelle beginnen, dann treten erkennbare Indikatoren auf, die aber zu selten wahrgenommen werden und Aktionen hervorrufen, und plötzlich ist die Krise da. Die Vorläufe sind typisch und daher erkennbar.
Mit frühzeitiger Information und ziviler Unterstützung der Staatlichkeit kann man dagegen angehen.
Ausgangspunkt sind häufig Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen, die zu langjähriger Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen führen können. Weitere mögliche Gründe sind das Versagen staatlicher Institutionen, ökonomische Krisen und der Entzug von Lebensgrundlagen durch Umweltprobleme in Folge des Klimawandels. Es wäre daher ein Trugschluss, die Betrachtung allein auf die Verletzung von Menschenrechten zu reduzieren. Zu beobachten ist ferner, dass häufig nicht die ärmsten Länder oder Schichten zur Gewalt greifen, sondern am ehesten die, die im Ergebnis bestimmter Entwicklungen plötzlich deutlich schlechter gestellt sind.
Eine weitere wichtige Frage ist die nach der Nach-Konfliktordnung. Da es noch zu wenig Wissen über die Beendigung von Kriegen und Konflikten gibt, muss auf die Einschätzungen von Geheimdiensten und US-amerikanischen Think Tanks zurückgegriffen werden, die eine bittere Erkenntnis für Friedensforscher mit sich bringen: Sogenannte „Siegfrieden“, die auf militärischen Niederlagen einer Konfliktpartei basieren, bringen am ehesten stabile Nachkriegsordnungen hervor. In diesem Bereich gibt es großen Forschungsbedarf; bisherige Studien fokussierten sich vor allem auf die Ursachen von Konflikten. Daher müssen die Bedingungen für Frieden an Hand von Positivbeispielen stärker untersucht werden.
Damit in engem Zusammenhang steht die Krisennachbereitung. Ihr kommt ebenfalls große Bedeutung zu, wenn man weiß, dass jeder zweite scheinbar beendete Konflikt zu einem späteren Zeitpunkt wieder ausbricht. Die Vereinten Nationen haben aus dieser Erkenntnis vor rund zehn Jahren die Peacebuilding Commission geschaffen.
Außerdem gilt der Grundsatz: Sicherheit kann nur miteinander und nicht gegeneinander hergestellt werden.

Gegen den „CNN-Effekt“ des plötzlichen Auftauchens und wieder Verschwindens von Krisen hilft das systematische Berichten, wie es zum Beispiel von Amnesty International, Human Rights Watch und der International Crisis Group gemacht wird. Deutschen Parlamentariern steht zudem das Instrument der Kleinen Anfrage zur Verfügung, mit dem die Botschaften zu Berichten veranlasst werden können.

Ein Problem von Friedensforschern ist, dass sie nicht immer rechtzeitig genug Gehör in der Politik und Medienöffentlichkeit finden und mit ihren Studien, wie Martina Fischer sagt, „oft zu früh sind.“ Dies zeigt sich an Hand der Beispiele Kosovo und Maghreb-Region: In beiden Fällen war frühzeitig absehbar, dass eine ganze Generation junger Menschen ohne Entwicklungsperspektive sein wird und dies massive Unzufriedenheit und Spannungen nach sich zieht.

Warum wir Frauen brauchen

Untersuchungen belegen, dass die Präventionsarbeit eine höhere Erfolgsquote erreicht, wenn die Zivilgesellschaft vor Ort einbezogen wird. Und die Quote ist noch einmal höher, wenn Frauenorganisationen involviert sind. Spielt es also auch eine Rolle, wer die Berichte schreibt, ob Frauen oder Männer? „Der Verfasser ist mir egal“, entgegnet Rüdiger König; die Berichte werden nicht diskriminierend gelesen, sondern auf die Qualität kommt es an. Selbstverständlich sei es bei der Analyse gesellschaftlicher Prozesse wichtig, die Rollen, die die unterschiedlichen Geschlechter spielen, mit zu betrachten und, wenn möglich, Frauen zu stärken.
Tom Koenigs plädiert außerdem für eine systematische Anwerbung von Frauen für Polizeikräfte, die in Missionen der Vereinten Nationen tätig sind. Mit Blick auf Afghanistan weist er darauf hin, „dass man Frauen braucht, wenn man mit Frauen arbeiten will.“ Auch im Umgang mit Kindersoldaten und im Bereich des Peace Buildings können sie ganz anders agieren.

Erfolgreiche Organisationen pflegen – das Potenzial von Vereinten Nationen und Co

Die Bedeutung internationaler Organisationen für eine erfolgreiche Krisenbewältigung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Masse und Bandbreite der afrikanischen Konflikte wird sich nicht ohne eine starke Afrikanische Union lösen lassen. Ganz zu schweigen von den Vereinten Nationen, die sowohl bei der Krisenvorbeugung und  bearbeitung wie auch beim Wiederaufbau nach Konflikten von elementarer Bedeutung sind. Eine besondere Rolle kommt der Organisation außerdem zu, weil viele Krisen auf Formen des Nationalismus basieren und die UN demgegenüber das Gemeinsame in den Mittelpunkt stellen.
Tom Koenigs mahnt, dass erfolgreiche Organisationen gepflegt werden müssen, denn sie sind immer nur so stark, wie sie von ihren Mitgliedern gemacht werden. Deutschland muss sich vorwerfen lassen, Schlüsselorganisationen wie die OSZE, die Vereinten Nationen und den Europarat in den letzten Jahren vernachlässigt zu haben, weil der aktuelle Fokus auf Themen wie G-7, G-20 und dem Weltwirtschaftsforum liegt.
Der deutsche OSZE-Vorsitz im Jahr 2016 gibt die Möglichkeit für neue Impulse. Im Hinblick auf das Zusammenwirken mit der Zivilgesellschaft wurden durch den Schweizer OSZE-Vorsitz im Jahr 2014 Maßstäbe gesetzt, die seither als beispielhaft gelten. Die Chancen, die der deutsche Vorsitz eröffnet, werden in einer separaten Veranstaltung am 12. Oktober 2015 vertieft.

Plädoyer für eine kohärentere deutsche Friedenspolitik

Neben dem Ruf nach der Wiederbelebung internationaler Organisationen gibt es eine zweite Forderung an deutsche Regierungsvertreter: Die Friedenspolitik muss kohärenter werden! Dazu ist zunächst eine politische Schwerpunktsetzung bei der zivilen Krisenprävention nötig. Außerdem sollte eine integrierte Strategie zur Konfliktvorsorge und  bearbeitung entwickelt werden, die für alle Ministerien verbindlich ist.
Um die bisher parallele Bearbeitung von Themen der Krisenfrüherkennung besser miteinander zu verknüpfen, braucht es einen integrierten Ort beziehungsweise Punkt, den die neue AA-Abteilung Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge bilden könnte, wenn ihr die nötige Aufmerksamkeit und Bedeutung zu Teil wird.
Der Öffnung des AA für die Zivilgesellschaft, die als sehr positiv eingeschätzt wird, sollten auch die Ministerien für Verteidigung, Wirtschaft und Landwirtschaft folgen. Gleichzeitig ist zukünftig zu vermeiden, dass die Entscheidungen eines Ministeriums durch ein anderes unterlaufen werden.

Mit Blick auf die Verlängerung der Auslandsmandate durch den Bundestag fordert Tom Koenigs die Stärkung unabhängiger Evaluationen, um so bessere Grundlagen für die Entscheidungsfindung zu schaffen.

Die Organisationen der Zivilgesellschaft ermuntert Martina Fischer, lauter als bisher auf Inkohärenzen hinzuweisen. Außerdem sollten sie enger mit den Ministerien zusammenarbeiten, weil diese auch auf die Informationen aus den Organisationen angewiesen sind. Daher gilt: Die Zivilgesellschaft muss sowohl unterstützen als auch kritisieren.

Krisenprävention – kein Allheilmittel und trotzdem erfolgreich

Zur Beschreibung der Potenziale erfolgreicher Konfliktprävention wurden die Diskutanten um Positivbeispiele gebeten. Eine Nennung war nicht einfach, weil im besten Fall, also bei erfolgreicher Konfliktprävention, keine Krise ausbricht und dementsprechend ein Erfolgsnachweis nicht einfach zu führen ist.

Tom Koenigs hob dennoch die jüngsten Entwicklungen in Guatemala hervor – einem Land, in dem mit systematischer Berichterstattung über Menschenrechtsverletzungen nicht nur viele erreicht wurden, sondern auch vieles. Dazu gehört unter anderem die Ausbildung einer indigenen Elite.
Martina Fischer denkt vor allem an die Staatsbildungsprozesse im Baltikum nach dem Zerfall der Sowjetunion, die nicht nur mehr erforscht werden sollten, sondern deren Ergebnisse auch die Potenziale der OSZE aufzeigen.
Rüdiger König sieht Angola als ein Land an, in dem nach einem furchtbaren Bürgerkrieg mit langem Atem ein sehr positiver Entwicklungsweg eingeschlagen wurde.

Abschließend wurde festgestellt, dass die zivile Krisenprävention als wichtiges Instrument gepflegt werden muss, aber kein Allheilmittel ist. Deshalb ist eine Überfrachtung mit Themen, die sie nicht leisten kann, zu vermeiden.
Außerdem braucht es für die zivile Krisenprävention Ausdauer. Wir sollten uns in Deutschland bewusst sein, dass wir immer nur einen kleinen Beitrag im Sinne eines Katalysators leisten können, um in den betroffenen Ländern Kapazitäten zur Konfliktlösung aufzubauen und deren Nutzung zu erwirken. Erfolge wie die (Wieder-)aufnahme des Dialoges zwischen Konfliktparteien sind medial zum Teil schwer sichtbar zu machen und in Europa daher keine Nachricht wert. Dennoch gibt es diese Art von Erfolgen, deren Bedeutung nicht zu unterschätzen ist.

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Die Veranstaltungsreihe wurde am 12.Oktober 2015 fortgesetzt. Es ging unter dem Titel Prävention und gemeinsamer Sicherheit um die Potenziale der OSZE.

 

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Bild entfernt.

Eine Kooperation der Heinrich-Böll-Stiftung mit dem Forum Ziviler Friedensdienst im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Krisenprävention im Kontext deutscher Außen- und Friedenspolitik“.