Wolfgang Harich - eine philosophische Wiederentdeckung

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Wolfgang Harich

Philosoph, Kommunist und streitbarer Weggefährte in der Entstehungsphase der Grünen: Das Archiv Grünes Gedächtnis hat zu einem Vortrag über Leben und Werk Wolfgang Harichs ins Literaturforum im Brecht-Haus geladen.

Wolfgang Harich gilt als einer der profiliertesten marxistischen DDR-Philosophen, zugleich als enfant terrible, als gefährlicher Feind der SED-Herrschaft. Im Krisenjahr des Poststalinismus 1956 wurde er seiner Positionen enthoben und zu zehn Jahren Zuchthaus in Bautzen verurteilt, 1964 nach acht Jahren Haft amnestiert. Seit dem Erscheinen der „Grenzen des Wachstums“ 1972 rezipierte auch er die neue ökologische Frage und verfolgte danach engagiert die Gründung grüner Parteien in Westeuropa.

Harich war auch Gastredner beim Gründungskongress der westdeutschen Grünen in Karlsruhe. Sein Nachlass befindet sich im Internationalen Institut für Sozialgeschichte (IISG) in Amsterdam. Die darin enthaltenen Schriften, deren Edition insgesamt rund 5000 Seiten ausmacht, erscheinen seit 2012 im Marburger Tectum-Verlag und ermöglichen eine grundsätzliche politische und philosophische Neubewertung.

Aus diesem Anlass hat das Archiv Grünes Gedächtnis der Heinrich-Böll-Stiftung zu einem Vortrag ins Literaturforum im Brecht-Haus eingeladen. Referent war der durch zahlreiche Veröffentlichungen als differenziert urteilender Experte ausgewiesene Philosoph Guntolf Herzberg, der ein Gesamtbild von Wolfgang Harich vorgestellt hat.

Harich hatte nach dem Krieg an der Humboldt-Universität Philosophie studiert und 1949 dort sofort eine philosophische Professur erhalten. Er wurde für seine Hegel-Vorlesungen berühmt. Von 1954 bis zur Verhaftung 1956 war er Lektor beim Aufbau-Verlag. 1964, nach der Amnestie, kam er zum Akademie-Verlag und wurde dort der Herausgeber und Interpret der Werke Feuerbachs.

Kommunismus ohne Wachstum

Harich widmete sich zum einen klassischen Philosophen und Schriftstellern, außer Hegel und Feuerbach Herder, Kant und Jean Paul, ferner Nicolai Hartmann und Georg Lukács. Er eröffnete aber auch eine philosophische Debatte über die Logik. Dahinter verbarg sich im Kern eine Debatte über den Dialektischen Materialismus, also eine Infragestellung des offiziellen DDR-Marxismus. Zugleich war Harich nicht nur philosophischer Denker, sondern auch kommunistischer Aktivist. Das begründete seine Gefährlichkeit.

Harich war kein einfach zu begreifender Oppositioneller, sondern blieb ein kommunistischer Eiferer. Weder die ungarischen Reformkommunisten von 1956, noch die polnischen Gewerkschafter der Solidarność von 1980 fanden seine Anerkennung. In den 1970er Jahren rezipierte er die durch den Club of Rome angestoßene Wachstumskritik und schrieb sein Werk „Kommunismus ohne Wachstum“ als Anwendung auf die DDR. Hier formulierte Guntolf Herzberg deutlich Kritik an der Reichweite und dem Ökologieverständnis Harichs: Verzicht und Beschränkung, aber kein neuer Beitrag zu ökologischem Denken. Seinen Beitrag zur Roten-Armee-Fraktion, ganz im Geiste Lenins geschrieben, nannte Herzberg abwegig. Insgesamt muss Harich als eher schwieriger Weggefährte in der Entstehungsphase der Grünen gesehen werden.

Im Anschluss an den Vortrag diskutierte Guntolf Herzberg mit dem Bearbeiter der Edition, Andreas Heyer, über die mit der Edition verbundenen Erfahrungen, eine Diskussion, die in eine allgemeine Publikumsdiskussion über die aufgeworfenen Fragen mündete.

Auf dem Podium von links nach rechts: Christoph Becker-Schaum, Andreas Heyer und Guntolf Herzberg