Kommentar zur Kooperation mit Airbus

Ein Flugzeug landet auf der karibischen Insel St. martin
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Der Luftfahrtindustrie müssen Grenzen gesetzt werden

„Oben - Ihr Flugbegleiter”: Die Broschüre mutet erst einmal an wie eine Airline-Bordzeitschrift. Reich bebildert und als leichte Kost konzipiert, schildert sie in opulenten Stories die ökologischen Anstrengungen des Airbus-Konzerns ebenso wie die Geschichte des Fliegens.

Doch anders als sonst bei Bordzeitschriften üblich war das Medienecho dieser Publikation enorm. Denn auf dem schicken Cover prangen zwei Logos, die von einer ungewöhnliche Kooperation künden: nämlich der grün-nahen Heinrich-Böll-Stiftung mit dem Airbus-Konzern (Airbus Group). Die „nachhaltige Gestaltung“ des Flugverkehrs sei eine „gemeinsame Aufgabe“, verkündet das Cover ganz harmonisch.

Anlass für uns, die Herausforderungen einer ökologischen Flugverkehrspolitik zu reflektieren, aber auch den angemessenen Umgang einer grünen Stiftung mit Konzernen, deren Geschäftsmodell auf Umweltzerstörung basiert. Es geht also erstens um Inhalte (Flugverkehr), zweitens um die Form (Airbus-Kooperation).

Fliegen – die harte Nuss

Der Traum vom Fliegen beschert der Menschheit ohne Zweifel eine der härtesten ‘Nüsse’ in der Klima- und Nachhaltigkeitspolitik. Schon jetzt trägt der Flugverkehr mit bis zu fünf  Prozent zum globalen Treibhauseffekt bei. Der Sektor wächst zweimal so schnell wie die übrigen Emissionen, und mit ihm seine ökologischen Folgen: von der Klimazerstörung bis zum Fluglärm. Bis zum Jahre 2050, so die Projektionen, sollen die klimaschädlichen Emissionen aus diesem Bereich um 250-300 Prozent steigen - während gleichzeitig die globalen Emissionen insgesamt gegen Null gehen müssen. Der Flugverkehr alleine hat also das Potenzial, alle Anstrengungen für den Klimaschutz zunichte zu machen.

Jenseits dieser harten Fakten ist die gefühlte Bedeutung des Fliegens im Hinblick auf Status und Freiheit enorm. Nicht zu Unrecht wird gerne darauf hingewiesen, dass aufgrund ihres sozialen Status und kulturellen Gestus die Grünen-Wähler besonders viel fliegen - und davon nehmen sich die Autoren dieses Artikels nicht aus. Für viele gerade junge Menschen ist der Kurztrip mit dem Billigflieger ein nicht wegzudenkender Teil ihres Lebens. Und schließlich sind im Bereich des Fliegens die Lösungsansätze, anders etwa als im Bereich der Stromversorgung oder beim Transport an Land, noch dünn gesät und nur in Umrissen durchdacht.

Daher ist es durchaus verdienstvoll, dass sich die Heinrich-Böll-Stiftung dieses Themas annimmt. Doch so, wie das als „Airbus-Kooperation“ bekannt gewordene Projekt sich darstellt, scheinen einige Maßstäbe verrutscht. Doch zunächst zum Inhaltlichen.

Die große Transformation

Die Herausforderungen des Flugverkehrs müssen in den Rahmen der „Großen Transformation“ gestellt werden: Als Teil des ökologisch-sozialen Umbaus unserer globalen Wirtschaft, der unseren Planeten als einen gastfreundlichen Ort für Milliarden von Menschen und noch viel mehr anderen Lebewesen erhalten soll. Die dringlichste Aufgabe stellt uns der Klimaschutz, im Dezember 2015 noch durch die Pariser Klimakonferenz im Konsens als globale Menschheitsaufgabe definiert: Die Treibhausgasemissionen müssen in weniger als einem halben Jahrhundert auf Null sinken. Danach muss möglicherweise sogar CO2 der Atmosphäre entzogen werden, wenn die Gefahr eines gefährlichen Klimawandels vermieden werden soll.

Dreiklang: Innovation - Grenzen - Gerechtigkeit

Unsere These: Diese große Transformation kann nur in einem Dreiklang gelingen:

1)   Es braucht rasche, und tiefgreifende technologische und soziale Innovationen. Unsere Infrastruktur in den Bereichen Wohnen, Mobilität, Energieversorgung, aber auch industrielle Produktion und die Praktiken der Landbewirtschaftung müssen sich Grund legend ändern. Fast der gesamte Kapitalstock an Infrastruktur muss binnen weniger Jahrzehnte CO2-frei, ja vielleicht sogar CO2-negativ werden. Ohne technologische Lösungen wird es nicht gehen, kein Zweifel. Doch müssen diese von kulturellen und sozialen Innovationen begleitet werden um ihr Potenzial entfalten zu können.

2)   Zugleich müssen ökologische Grenzen gesetzt werden – absolute Grenzen für die Inanspruchnahme von Ressourcen, Grenzen für den Gebrauch der Luft und der Meere als Auffangbecken unserer Abgase und Abfälle. Denn ohne absolute Grenzen werden Rebound-Effekte und Systemverlagerungen die Einsparungen, die wir durch technologische Innovationen erreichen, rasch wieder auffressen. Dies hat 2013 die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ der Politik fraktionsübergreifend ins Stammbuch geschrieben.

3)   Rasche Innovation und dabei Grenzen setzen wird nur politisch vermittelbar und durchsetzbar sein, wenn es dabei gerecht zu geht. Wenn der schrumpfende ökologische Raum, den die Menschheit noch nutzen darf, und der daraus zu ziehende ökonomische Nutzen gerecht verteilt wird. Wenn nicht mehr eine kleine Superklasse von 0,1% den Ertrag des weltweiten Wirtschaftens an sich reißt, sondern alle an einem guten Leben, dem ökologischen Wohlstand teilhaben können.

Die Elemente dieses Dreiklangs sind komplementär. Technische Innovation kann die Setzung von Grenzen ermöglichen: Denn erst wenn die Einhaltung von Grenzen ohne massive gesamtgesellschaftliche Verluste an (zum Teil empfundener) Lebensqualität machbar erscheint, werden diese Grenzen politisch durchsetzbar sein.  Zugleich erzwingen politisch gesetzte ökologische Grenzen die Innovation, werden zum Treiber der Veränderung. Niemand wird enorme Summen für Investitionen, Forschung und Entwicklung in die Hand nehmen, ohne dass absehbar ein großer Markt für diese Innovationen lockt. Und drittens wird eine ökonomische Apartheid mit exzessivem Luxuskonsum für wenige und Armut für alle anderen politisch nicht durchhaltbar sein.

Ökonomik des Fliegens: Reboundeffekte fressen Effizienzgewinne auf

Zurück zur “Oben”-Broschüre von Airbus und der Böll-Stiftung: Sie versucht Begeisterung für neue Technologien zu wecken und zeigt ausführlich, um wie viel effizienter die Flugzeuge über die Jahre geworden sind. Einige Artikel wirken als stammten sie aus der Feder der PR-Abteilung von Airbus. Von Grenzen setzen ist dagegen nicht die Rede.

Doch gerade beim Fliegen sind absolute Grenzen wichtig: Denn zum einen ist die Nachfrage nach Flügen für private Zwecke - und in geringerem Maße auch für Geschäftsflüge - in hohem Maße preiselastisch. Sinkt der Preis, steigt die Nachfrage: Dann wird es plötzlich attraktiv, für ein Wochenende nach Rom oder Barcelona zu fliegen - und zum Sommerurlaub nach Thailand oder in die Karibik. Der Boom der Billigflüge beruht auf diesem Phänomen. Zum anderen ist die Kostenstruktur des Fliegens in hohem Maße von den Treibstoffkosten bestimmt. Auch als Konsument kennt man das in Form von Zuschlägen, wenn der Ölpreis ansteigt.

Beides führt dazu, dass die klassische Effizienzsteigerung - die Verringerung des Kerosinverbrauchs je Passagier durch technische Innovationen oder höhere Auslastung - zu einer spürbaren Kostensenkung führt. Diese Kostensenkung ermöglicht geringere Preise und dies befeuert wiederum verstärke Nachfrage. Das ist der klassische Rebound- oder Rückschlagseffekt. Daher ist eine auf Effizienzsteigerung des Kerosinverbrauchs beruhende Strategie zur Reduktion der Klimaschäden durch Fliegen zum Scheitern verurteilt - anders übrigens als in manchen anderen Sektoren.

Beschleunigung: der zweite Rebound-Effekt

Beim Fliegen zeigt sich auch noch ein zweiter Rebound-Effekt: Es ist nämlich keineswegs so, dass wir Menschen einen vorgegebenen Bedarf an Mobilität haben, und dann nur noch die Wahl treffen, welches Verkehrsmittel wir nutzen. Wie die seit langem bekannten Forschungen von Zahavi und Marchetti nachweisen, liegt das Zeitbudget, das wir Menschen für Mobilität aufwenden, über die Jahrzehnte mehr oder weniger konstant bei durchschnittlich einer Stunde pro Tag. Nur reisen wir heute innerhalb dieses Zeitbudgets deutlich weiter, dank immer schnellerer Verkehrsmittel, mit jeweils ‚fahrzeugtypischen’ Konsequenzen für die Emissionen. Und verbrauchen entsprechend mehr Ressourcen bzw. stoßen entsprechend mehr Schadstoffe aus.

Der Verkehrsmittelvergleich in spezifischen Emissionen je Passagierkilometer ist daher irreführend, wie er auf Seite 6 und 7 der Airbus / Böll-Broschüre dargestellt wird. Plausibel wäre ein Vergleich des Ausstoßes an Treibhausgasen je Stunde und Passagier. Hier stünde der Flugverkehr weit vor allen anderen Transportmitteln – überschlägig bei etwa dem fünffachen des Automobils in CO2 je Stunde und Passagier. Hinzu kommen die Klimaeffekte des in großer Höhe ausgestoßenen Wasserdampfs.

Fliegen ist sehr schnell: es erlaubt uns, an einem Tag um den halben Erdball zu reisen und auf dieser weiten Distanz enorme Mengen an Treibhausgasen auszustoßen - daher, und nicht wegen seines hohen CO2-Ausstoßes je Passagierkilometer, ist es ökologisch so problematisch.

Grenzen setzen im Flugverkehr – ohne Offsets

Es muss also weniger geflogen werden, da beißt keine Maus den Faden ab. Das wird allerdings in der Broschüre nicht ernsthaft diskutiert. Verschiedene Instrumente zu diesem Zweck sind in vielen Jahrzehnten umweltpolitischer Forschung und Praxis entwickelt worden. Die Hauptinstrumente sind absolute Obergrenzen und preisliche Lösungen. Das Setzen von absoluten Grenzen könnte im Flugverkehr die Form eines sektorspezifischen Emissionsdeckels (einer “cap”) für den Treibhausgas-Ausstoß des Flugverkehrs annehmen. Dieser Deckel würde über mehrere Jahrzehnte auf Null absinken - die entsprechende Verknappung der Emissionslizenzen den fossil-getriebenen Flugverkehr stark verteuern. Dabei ist entscheidend, dass die Emissionsminderung tatsächlich im Flugverkehr stattfindet, und nicht über sogenanntes “Offsetting” in andere Bereiche verlagert wird, wie es mit der Einbeziehung des Flugverkehrs in den (nicht funktionierenden) europäischen Emissionshandel geschehen ist. Genau das ist steckt aber hinter der verräterischen Sprache vom “klimaneutralen” Wachstum des Flugverkehrs, wie sie auf Seite zwei der “Oben”-Broschüre unkritisch reproduziert wird. Über „Offsetting“ – das zeigt die Erfahrung mit dem europäischen Emissionshandelssystem – können die notwendigen Emissionsminderungen im Flugverkehr um Jahrzehnte verschoben werden.

Neben dem Emissionsdeckel und preiswirksamen Instrumenten spielen auch politische Entscheidungen über Infrastrukturen eine wichtige Rolle. Das enorme Wachstum des Flugverkehrs in den vergangenen Jahren wurde auch durch den Boom der Regionalflughäfen ermöglicht, die immer mehr attraktive Punkt- zu Punkt-Verbindungen zumindest in Europa anbieten. Dies führt wie oben ausgeführt zum Geschwindigkeits-Rebound-Effekt. Ein Stopp des Flughafenausbaus kann daher ein weiteres Instrument sein, das Wachstum des Flugverkehrs zu begrenzen. Es gibt in der Airbus / HBS – Broschüre einen Artikel zu Regionalflughäfen. Dass sie alle in den roten Zahlen stecken wird angesprochen. Dass sie das Fliegen attraktiver machen und deshalb zu mehr Flugverkehr beitragen nicht.

Technische Innovation – in Grenzen

Die „Oben“-Broschüre schildert auf attraktiv bebilderten Seiten welche Anstrengungen Airbus zur Entwicklung von Flugtreibstoffen aus Algen unternimmt, und welche futuristisch anmutenden Flugzeuge mit Hybridantrieb eines Tages vielleicht abheben könnten. Diese Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen sollen hier nicht schlecht geredet werden. Alternative Treibstoffe oder Antriebe können in ein paar Jahrzehnten vielleicht ein gewisses Niveau an klimaverträglichem Flug- oder Schwerlastverkehr gewährleisten. Allerdings darf daraus kein Freibrief für ein weiteres Wachstum des Flugverkehrs konstruiert werden. Auch Treibstoffe aus Algen brauchen Flächen die auf einer dicht besiedelten Erde auch anderweitig bereits genutzt werden – für Tourismus, Fischerei, oder auch für den Naturschutz.

In Südeuropa, heißt es in der Broschüre, stünden genug Flächen zur Verfügung, um 30 Prozent des Gesamtverbrauchs an Kerosin in Europa – 1,7 Milliarden Liter jährlich – zu decken. Genauer erläutert wird das nicht und später im Text lernt man, über die CO2- und die Energiebilanz sei noch keine rechte Auskunft möglich. Unklar sei deshalb, wie viel Fläche für welche Mengen Kerosin benötigt wird – der mit der Forschung befasste Experte Thomas Brück schätzt im Interview dass eine Fläche von der Größe Portugals benötigt würde um den (jetzigen) Treibstoffverbrauch der EU zu decken. Der weitere Zuwachs ist hier noch gar nicht einkalkuliert. An dieser Größenordnung  wird deutlich, wie schnell auch diese Technologie an Grenzen stößt.

Fliegen, Politik und Lebensstilwandel

Fliegen wird also teurer und weniger attraktiv werden müssen, denn die enorme Verbilligung des Fliegens in den letzten zwanzig Jahren und die Verfügbarkeit von schnellen Direktverbindungen hat einer massiven Ausweitung des Flugverkehrs Vorschub geleistet. Das ist mit dem Ziel des Klimaschutzes nicht vereinbar.

Doch wäre es verfehlt, diese Fragen über die Moralisierung individueller Mobilitätsentscheidungen lösen zu wollen. Wenn allein auf den persönlichen Lebensstilwandel gesetzt würde, greift das „grüne Paradox“ (Hans-Werner Sinn): Die Einsparungen der einen verbilligen den Konsum der anderen, werden durch vermehrten Konsum der anderen kompensiert.

Die Frage an den Einzelnen ist daher nicht: Verzichte ich als Einzelner auf das Fliegen? Sie ist eine politische: Bin ich bereit, eine deutliche Verteuerung von Flugverkehr politisch zu unterstützen - auch wenn das dazu führt, dass ich seltener fliegen kann?

Weil dies ein Problem kollektiven Handelns ist, besteht die Herausforderung darin, die Zustimmung der Staatsbürger zu gewinnen für politische Maßnahmen, die zur Begrenzung der Umweltbelastung auch unter Veränderung der Konsummuster führen - aber nicht ihnen zu predigen, sie sollten jetzt individuell ihren Lebensstil ändern.

Konfliktive Durchsetzung der großen Transformation

Die politische Durchsetzung der großen Transformation wird nach aller Erfahrung nicht ohne massive Konflikte zu haben sein. Insbesondere die Firmen und Branchen, deren Geschäftsmodell und Perspektiven gefährdet werden, bekämpfen die notwendigen politischen Grenzsetzungen mit aller Macht.

Dies hat nicht unbedingt etwas mit bösen Absichten zu tun, sondern mit der Verpflichtung des Managements dieser Firmen, die zukünftigen Einnahmen des Konzerns und damit auch den Börsenwert im Interesse ihrer Anteilseigner zu schützen. Daher hat z.B. Peabody Coal, der größte private Kohlekonzern der Welt, ähnlich wie die US-Ölkonzerne, über viele Jahre systematisch Organisationen finanziert, die den Klimawandel leugnen. Eine realitätstaugliche politische Strategie der Grünen und ihrer politischen Stiftung wird diese Interessenlage berücksichtigen müssen.

Aber halten wir zunächst fest: Vom Inhalt her ist die gemeinsam von Airbus und der Heinrich Böll - Stiftung herausgegebene Broschüre zumindest defizitär, wenn nicht irreführend. Die Thematisierung zentraler Probleme des Flugverkehrs wird vermieden, so wie die Bedeutung militärischer Rüstungsgüter für das Geschäftsmodell von Airbus nicht thematisiert wird. Die Broschüre erweckt insgesamt den Eindruck dass, erstens, jede Einschränkung des Flugverkehrs fast schon naturgesetzlich illusionär ist und dieser deshalb weiter wachsen wird. Zweitens wird suggeriert, dass eine Strategie der Eindämmung von Treibhausgasemissionen deshalb einzig auf technische Lösungen setzen müsse. Die Idee politisch gesetzter Grenzen findet kaum Eingang in das Papier.

Grüne als Ziel von Lobbynetzwerken

Doch wie sollten sich nun politische Parteien und ihnen nahe stehende Stiftungen zu Unternehmen verhalten? Natürlich muss die Politik und müssen politische Stiftungen das Gespräch suchen, doch wo ist die Grenze zwischen dem gesellschaftspolitischen Auftrag der politischen Bildung und dem “greenwashing” bzw. der Imageförderung dieser Unternehmen? Hier geht es ausdrücklich nicht darum, einzelnen Politiker*innen zu enge Kontakte zu bestimmten Unternehmen zu unterstellen. Im Gegenteil waren die beteiligten Grünen (und auch die Vertreter der Forschung) mit Sicherheit an einem seriösen Austausch interessiert. Die strategischen Interessen von Airbus sehen vermutlich anders aus.

Im Nachgang des VW-Abgas-Skandals sind die engen Verflechtungen zwischen Automobilindustrie und Politik aufgedeckt worden. “In den Ministerien fanden die Autobosse stets Verbündete. Hier fürchtete man um den einträglichsten deutschen Wirtschaftszweig. Die ökologischen Folgen, Belastungen für den Verbraucher  - sie waren offenbar zweitrangig”, schreibt Katja Riedel auf tagesschau.de. Solcherlei Kumpanei wächst auf dem Humus jahrzehntelanger Kontaktpflege, in der für die Politik zur Selbstverständlichkeit wurde, die Interessen von Konzernen als Gemeinwohlinteressen zu definieren und - z.B. in Brüssel - zu vertreten. Man kennt sich, man versteht sich, und pflegt engste Kontakte.

Die Grünen regieren in vielen Ländern schon mit und sind auch im Bund zukünftige Regierungspartei, doch sind sie in die Lobbynetzwerke der Industrie noch wenig eingebunden. Um so wichtiger war für Airbus diese Kooperation mit der Böll-Stiftung. Als der Partei nahestehender Think tank hat die Heinrich-Böll-Stiftung besonders gute Beziehungen zu den Grünen und schafft es, Spitzenpolitiker an den Tisch zu bringen. Zugleich wird der Konzern mit der gemeinsamen Einladung aufgewertet, kann er die Agenda des Treffens mitgestalten und im Verlauf seine Vorstellungen prominent platzieren. Eine Kooperation von unschätzbarem Wert – für Airbus.

Die gemeinsam herausgegebene Broschüre setzt einer problematischen Kooperation dann die Spitze auf. Statt einer Dokumentation der Fachgespräche entsteht ein Produkt, das streckenweise einer PR-Broschüre ähnelt. Weitgehend unkritisch werden die Forschungsanstrengungen des Konzerns ausführlich dargestellt, Artikel wie die zum Verkehrsmittelvergleich lassen die eigentliche Problematik außen vor, wie oben dargestellt. Positionen der Nichtregierungsorganisationen und der kritischen Wissenschaft fehlen. Nur das dokumentierte Streitgespräch von Stiftungsvorstand Fücks mit Airbus-CEO Endres zeigt noch deutliche Kontroversen. Auf dieses Gespräch wird zur Entlastung deshalb auch gern verwiesen, kann jedoch den Gesamteindruck nicht ändern.

Die Rolle der Böll-Stiftung

Als ein den Grünen nahestehender Think Tank kann die Böll-Stiftung verschiedene Rollen einnehmen. Sie kann durch verschiedene Formen von Kooperation die ökologischen Kräfte in der Auseinandersetzung stärken, also z.B. NGOs und die ökologische Wissenschaft. Sie kann wissenschaftliche Studien in Auftrag geben, um die Machbarkeit der notwendigen Veränderungen und die politischen Instrumente untersuchen und damit den Möglichkeitshorizont zu erweitern. Sie kann auch ein Forum für den Dialog verschiedener Stakeholder bieten, insbesondere wenn dies andernorts nicht geschieht. All dies geschieht, das soll hier nicht verschwiegen werden, vielerorts im weltweiten Netzwerk dieser Stiftung.

Was sie indes vermeiden sollte: die von ihrer Interessenlage gegen die große Transformation aufgestellten Akteure der Industrie zu stärken - durch politische Aufwertung, durch Vermittlung von politischen Zugängen zu aktuellen und zukünftigen Entscheidungsträgern, und durch privilegierte Verbreitung ihrer Ansätze.

Denn letzten Endes geht es um die Fähigkeit zum Konflikt. Bei der Großen Transformation geht es auch um Machtfragen: Nur mit Dialog und guten Argumenten werden sich die Profiteure des Status Quo nicht von ihren Geschäftsmodellen verabschieden.

Bei den im Rahmen der Großen Transformation anstehenden Konflikten ist die ökologische Seite gegenüber Industrieinteressen hinsichtlich ihrer Machtressourcen an Geld, Einfluss und Drohpotentialen deutlich im Nachteil. Die Heinrich-Böll-Stiftung täte daher gut daran, ihre begrenzten Ressourcen zugunsten derjenigen Kräfte einzusetzen, von denen die Transformation vorangetrieben wird.

Aus unserer Sicht sollten insbesondere Vertreter von ökologisch problematischen Wirtschaftsinteressen zwar als Teilnehmer auf Multi-Stakeholder Dialogen eingeladen, aber nicht als Partner und Mitveranstalter privilegiert werden. Distanz ist notwendig, auch bei Publikationen: Selbstverständlich können in der Dokumentation eines Fachgesprächs auch die Stimmen aus der Wirtschaft zur Sprache kommen – doch sollte die Stiftung davon Abstand nehmen, einen Konzern zum Mit-Herausgeber einer Broschüre und damit zum Partner zu adeln.

Der Beitrag gibt die private Meinung der Autoren wieder.