Habitat III: Die New Urban Agenda und die Bedeutung der Zivilgesellschaft

Anhänger des Oppositionsführers Julius Maada Bio demonstrieren im November 2012 in Sierra Leones Hauptstadt Freetown gegen Wahlfälschung.
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Proteste gegen Wahlfälschung in Freetown, der Hauptstadt Sierra Leones

So kurz nach Annahme der Sustainable Development Goals durch die Vereinten Nationen im September 2015 stellt die HABITAT-III-Konferenz eine gute Gelegenheit für die internationale Gemeinschaft dar, ihre Verpflichtung, die Menschenrechte zum Herzstück einer nachhaltigen Stadtentwicklung zu machen, einer Prüfung zu unterziehen.

Die in den Sustainable Development Goals (SDGs) und COP 21 formulierten ehrgeizigen Ziele sind durch Regierungen allein nicht zu erreichen. Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts stritten zivilgesellschaftliche Gruppen für die Anerkennung ihrer wichtigen Rolle – und zwar nicht nur als Kräfte zur Bereitstellung von Versorgungsleistungen, sondern als gleichberechtigte Partner, kritische Beobachter und Innovatoren.

Die Erweiterung der SDGs um Zielsetzungen in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Zugang zur Justiz, Transparenz und gute Regierungsführung sowie eine Reihe sozialer und wirtschaftlicher Rechte unterstreicht die Bedeutung der Zivilgesellschaft und insbesondere der Akteur/innen auf dem Gebiet der Menschenrechte für den internationalen Entwicklungsprozess, sowohl als Einflussnehmer als auch als Umsetzende.

Die Anerkennung des Werts und der Bedeutung der Zivilgesellschaft schlägt sich im aktuellen Entwurf der New Urban Agenda nieder, der eine enge Zusammenarbeit zwischen den örtlichen Verwaltungen und der Zivilgesellschaft als wesentliche Voraussetzung für den Erfolg ihrer Umsetzung betrachtet.

Ohne Zivilgesellschaft keine New Urban Agenda

Die Einbindung der Menschenrechte in die internationale Entwicklungsagenda und die Ansetzung von HABITAT III erfolgen jedoch zu einer Zeit, in der sich Menschenrechtsaktivist/innen größeren Bedrohungen ausgesetzt sehen als je zuvor. Die rapide Zunahme an gesetzlichen Einschränkungen, Kriminalisierung, Schikanen und Angriffen auf Menschenrechtsaktivist/innen in der ganzen Welt wirft die Frage auf, ob die ehrgeizigen Zielsetzungen der SDGs wirklich umgesetzt werden können.

Das scheint fragwürdig, solange es keinen besseren Schutz für die Menschenrechts- und Entwicklungsaktivist/innen gibt, denen die Aufgabe zufällt, die Stimmen der Benachteiligten hörbar zu machen, die Ursachen für Diskriminierung anzugehen und die Gleichberechtigung zu fördern.

Die möglichen Implikationen dessen, was als „the closing space for civil society“ bezeichnet wird, könnte ernsthafte Auswirkungen für den Erfolg der New Urban Agenda haben; falls die zivilgesellschaftlichen Akteur/innen, die sie als unerlässliche Partner betrachtet, sich zunehmend außer Stande sehen, ihre Arbeit an einer Reihe hochgradig kontroverser und politisch brisanter Themen ohne Einschränkungen und Bedrohungen fortzuführen.

Schwindender Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft: Manifestationen und Treibkräfte

Menschenrechtsaktivismus brachte schon immer Gefahren mit sich, doch über die vergangenen fünf Jahre ist ein rapider Anstieg in der Anwendung von Gewalt und Schikanen gegen Menschenrechtsaktivist/innen sowie ihrer Kriminalisierung zu verzeichnen. In den ersten elf Monaten des Jahres 2015 dokumentierte die Organisation Frontline Defenders die Tötung von 156 Menschenrechtler/innen in fünfundzwanzig Ländern, darunter auch Demokratien wie Indien, Brasilien und Mexiko.

Neben dem Einsatz körperlicher Gewalt reagieren Regierungen auf die zunehmende Sichtbarkeit und Wirkung von Menschenrechtsaktivismus mit immer ausgeklügelteren und subtileren Strategien, um den Aktivismus mit Methoden zu unterminieren und zu ersticken, die weniger anfällig dafür sind, internationale Aufmerksamkeit und Ächtung auf sich zu ziehen.

2015 zeigte der CIVICUS Civil Society Watch Report, dass mindestens 96 Länder die Möglichkeiten von Menschenrechtler/innen, ihre Arbeit auszuführen durch Einschränkungen ihrer Rechte auf freie Rede und friedlichen Protest sowie der Vereinigungsfreiheit beschneiden. Die größte Zahl der Einschränkungen bezog sich auf die Vereinigungsfreiheit.

Allein seit 2012 wurden mehr als hundert Gesetze eingebracht oder verabschiedet, die zum Ziel haben, die Gründung, Unterhaltung und vor allem die Finanzierung nichtstaatlicher Organisationen (NGO) zu beschränken; dies auch vor dem Hintergrund, dass die meisten Menschenrechtler/innen weltweit wenig Unterstützung von Geldgebern in ihren eigenen Ländern erwarten können.

Gewalt und Strafen – Aktivist/innen werden von Regierungen wie Feinde behandelt

Diese restriktiven Gesetze werden häufig von Schmierkampagnen begleitet, in denen die Aktivist/innen von Regierungen, Medien und in einigen Fällen auch dem privaten Sektor als Feinde ihres Volkes, Gegner wirtschaftlicher Entwicklung, ausländische Agenten oder gar als Bedrohung der nationalen Sicherheit dargestellt werden.

Studien internationaler zivilgesellschaftlicher Organisationen haben gezeigt, dass Aktivist/innen, die sich den Themen Transparenz, Rechenschaftspflicht und gute Regierungsführung widmen, die örtliche Bevölkerung vor Landnahmen und Umweltzerstörung schützen oder die Rechte von durch Diskriminierung oder Verfolgung bedrohter Minderheiten verteidigen wollen, am ehesten legislativen oder körperlichen Angriffen ausgesetzt sind.

Wodurch lässt sich diese Flut restriktiver Maßnahmen, die sich rasant von Land zu Land auszubreiten scheint, erklären? Fachleute begründen den Trend mit einer Reihe komplexer Faktoren. Autokratische Herrscher sind durch die Stärke der Protestbewegungen in der früheren Sowjetunion und in jüngerer Zeit in den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas verunsichert und betrachten zivilgesellschaftliche Aktivist/innen verstärkt als „Opposition im Wartestand“ statt als unabhängige und unparteiische Akteure.

Nicht nur in autokratischen Staaten gerät die Zivilgesellschaft unter Druck

In den vergangenen drei Jahren setzten allein der russische Präsident Putin, Ägyptens General Sisi und Aserbaidschans Präsident Alijew NGO-Gesetze zur Kriminalisierung und Diffamierung von Menschenrechtsverteidiger/innen ein – und dies in Ländern, in denen die politische Opposition derart dezimiert wurde, dass nur noch die Zivilgesellschaft bleibt, um den Regierenden einen Spiegel vorzuhalten.

Auch Demokratien sind vor dem weltweiten Verlust an demokratischer Dynamik nicht gefeit. Sierra Leone und Indien bieten aktuelle Beispiele dafür, wie Regierungen versuchen, diejenigen, die es wagen, ihre wirtschaftlichen oder politischen Agenden in Frage zu stellen, mundtot zu machen. Im März 2015 brachte die Regierung von Sierra Leone ein NGO-Gesetz mit dem Ziel ein, Transparenz und Rechenschaftspflicht verfechtende Gruppen zum Schweigen zu bringen.

Sie wollten lediglich in Erfahrung bringen, warum die Regierung nicht in der Lage war zu erklären, was mit einem Drittel der für die Bekämpfung von Ebola vorgesehen Mittel geschehen war. Drei Monate darauf verschärfte Indien, das bevölkerungsreichste demokratische Land der Welt, seine Regeln, um die Finanzierung von Gruppen zu erschweren, die die „wirtschaftlichen Interessen“ des Landes in Frage stellen.

Diese Aktion folgte auf eine dreizehn Monate währende, aggressive Schmierkampagne der Regierung gegen Umweltschützer/innen und Menschenrechtler/innen, die sich gegen die geplante massenhafte Verdrängung indigener Gemeinschaften durch große Infrastruktur- und Energieversorgungsprojekte einsetzen.

Das Phänomen des verschwindenden Handlungsspielraums („closing space“) hat international viel Aufmerksamkeit und Kritik – insbesondere durch die amerikanische Regierung und einige Mitgliedsstaaten der Europäischen Union – auf sich gezogen. Traurige Wahrheit ist jedoch, dass den missbilligenden Worten kaum einmal strafende Taten gefolgt sind.

Viele der repressivsten Regierungen können weiterhin ungestört Handel treiben oder Milliarden an Entwicklungs- oder militärischer Hilfe von westlichen Regierungen erhalten, da die wirtschaftlichen, sicherheits- und geopolitischen Interessen letzterer die Bedeutung der Gewährleistung eines die Zivilgesellschaft befähigenden Umfelds überwiegen.

Implikationen des verschwindenden Handlungsspielraums für die New Urban Agenda

Vielen der Regierungen, die im HABITAT-III-Prozess eine wichtige Rolle spielen, wird vorgeworfen, das befähigende Umfeld für Menschenrechtler/innen in ihren Ländern zu beschränken. In Ecuador, dem Gastgeberland der HABITAT III, berichten Aktivist/innen auf den Gebieten Umweltschutz, indigene Rechte und Klimawandel von zunehmender Einmischung der Zentralregierung in ihre Aktivitäten und von Schikanen.

In der Türkei löste die unverhältnismäßige Reaktion der Behörden auf die Proteste um den Istanbuler Gezi-Park im Jahr 2013 eine landesweite Welle an Protesten gegen die Politik der Regierung aus. Diese wurden ihrerseits durch brutale Polizeieinsätze niedergeschlagen, bei denen mehr als 8000 Demonstranten verletzt wurden. Im Laufe des vergangenen Jahres nutzte die Regierungspartei AKP die Verschlechterung der Sicherheitslage in der Türkei als Vorwand, um jedwede Quelle vermeintlicher Opposition oder abweichender Meinungen zum Schweigen zu bringen. Maßnahmen gegen Aktivist/innen – darunter Festnahmen, Inhaftierungen und gewalttätige Angriffe – haben sprunghaft zugenommen.

Brasilien, ebenfalls eine wichtige Regionalmacht, setzte sich in den letzten Jahren dem Vorwurf aus, die Olympischen Sommerspiele als Vorwand zu nutzen, Tausende Bewohner von Favelas aus Rio zu verdrängen und Anti-Terror-Gesetze durchzupeitschen, um diese gegen Verfechter/innen von Wohn- und Landrechten nutzen zu können.

Auch in Indien gibt es zahllose Beispiele für Menschenrechtsaktivist/innen, die durch ihren Einsatz für Wohn- und Landrechte ins Visier der Behörden geraten und Gewalt, Diffamierung, willkürlichen Festnahmen und illegaler Inhaftierung ausgesetzt sind.

Die Fallbeispiele aus Quito, Istanbul, Rio und Odisha wiederholen sich weltweit an zahlreichen Orten, darunter Nairobi, Karatschi, Mumbai, Mexiko-Stadt und Kapstadt in dem Maße, in dem sich die arme Stadtbevölkerung und die Wohn- und Landrechtsaktivist/innen zunehmend als Entwicklungshemmnis betrachtet sehen, weil sie Korruption, Obdachlosigkeit und Zwangsräumungen, Polizeigewalt und die systematische Verletzung der Rechte der Schutzbedürftigsten und am stärksten Benachteiligten anprangern.

Positive Beispiele der Zusammenarbeit machen Mut

Bedeutet dies, dass Kooperation und Zusammenarbeit zwischen Regierungen und der Zivilgesellschaft angesichts des verschwindenden Handlungsspielraums der Zivilgesellschaft nicht mehr möglich sind? Zivilgesellschaftliche Gruppen, die vor allem auf dem Gebiet der Bereitstellung von Versorgungsleistungen tätig sind, werden sicher weiterhin die Möglichkeit haben, eng mit den örtlichen Behörden zusammenzuarbeiten; vor allem bei unstrittigen Aufgaben wie der Reparatur, dem Wiederaufbau oder dem Ausbau der Grundversorgung.

Nach unserer Erfahrung beim Fund for Global Human Rights können allerdings auch Interessenvertretungs- und Kampagnen-Organisationen konstruktive Arbeitsbeziehungen mit lokalen Verwaltungen und Behörden aufbauen. Frauenrechtsorganisationen in ganz Marokko haben Jahre damit zugebracht, gute Beziehungen zu örtlichen Regierungsstellen und Polizeibehörden zu entwickeln, um die Reaktion des Staats auf häusliche Gewalt zu verbessern.

Indische Gewerkschaftler/innen haben Lösungen für die Abfallwirtschaft entwickelt, die es der Regierung von Delhi ermöglichen würden, sowohl die Umwelt als auch den Broterwerb der Müllsammler/innen zu schützen. Sogar in einem so repressiven Umfeld wie Ägypten ist es Wohnrechtsaktivist/innen in Zusammenarbeit mit lokalen Regierungsstellen gelungen, Baudenkmäler unter Einbeziehung der örtlichen Bevölkerung zu restaurieren.

Diese Beispiele, die derzeit eher die Ausnahme als die Regel darstellen, zeigen den Beitrag auf, den die Zivilgesellschaft auch unter schwierigsten Bedingungen zu leisten vermag, und den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Nutzen, der Lokalregierungen daraus erwachsen kann, sich das Fachwissen und die Energie der Gemeinden und Aktivist/innen verfügbar zu machen, um praktische Lösungen für komplexe Menschenrechtsprobleme zu entwickeln.

Damit dies im für SDG 11 und die New Urban Agenda erforderlichen Maßstab geschehen kann, werden die Lokalregierungen Wege finden müssen, nicht nur Vertrauen aufzubauen, sondern aktiv ein befähigendes Umfeld für ihre zivilgesellschaftlichen Partner zu fördern.

Dieser Artikel ist Teil unseres Dossiers: Habitat III - Nachhaltige Stadtentwicklung.