Wie wird die Automobilindustrie zukunftsfest?

Tagungsdokumentation

Konferenz "Baustelle: Zukunftsfeste Industrie #5/#6". Dritter Konferenztag, 2. Juni 2021: "Wie wird die Automobilindustrie zukunftsfest?" Impuls-Vortrag von Dirk Evenson und Panel-Gespräch mit Matthias Gastel, Stavros Christidis und Dörte Schramm.

Mehrere Autokarosserien in einer Fabrik stehen in einer Reihe

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Zukunftsfest bis 2030 – Was zu tun ist

Wie wird die deutsche Automobilindustrie zukunftsfest? Dirk Evenson beantwortete die Frage anhand der Schlagworte Dekarbonisieren, Digitalsieren, Machen und Housekeeping. 

Dekarbonisieren: Hier solle sich Politik auf batterieelektrisch Antriebe im Pkw-Bereich festlegen. Entsprechend sollten  stärkere Anreize für die Anschaffung von batterielektrischen Fahrzeugen gesetzt werden, z.B. Umstiegsprämien und steuerliche Vergünstigungen. Diese Anreize müssten durch Ordnungsrecht, wie CO2-Flottengrenzwerte, flankiert werden. Evenson betonte, dass ein flächendeckendes Angebot an Ladesäulen für den Erfolg entscheidend seien. Es sei errechnet, dass die Nachfrage der Infrastruktur im Verhältnis 0,9 zu 1 folge. Für Einsatz- und Nutzfahrzeuge sei die Antriebsfrage noch offen: Sollten diese als Verbrenner mit e-Fuels oder elektrisch mit Wasserstoff betrieben werden? Für die Automobilindustrie sei Planungssicherheit sehr wichtig. Dirk Evenson forderte daher eine klare, europaweite Richtungsentscheidung der Politik über sekundäre Antriebstechnologien.

Digitalisieren: Evenson betrachtete Digitalisierung unter zwei Aspekten: Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere gegenüber Asien und USA sowie Verlagerung und Vermeidung von Pkw-Verkehr. Beide Aspekte seien stark und wichtig, deswegen solle der Staat entsprechende digitalen Infrastrukturen fördern. Evenson goutierte den nationalen Datenraum Mobilität und die europäische Gaia-X. Das ingenieurwissenschaftliche Know-How und die Hardware-Kompetenz der deutschen Industrie müsse zusammengebracht werden mit der Datenwelt und der Software.

Machen: Evenson vermisste eine Kultur der Zukunft und eine „hands-on“- Haltung in der Industriepolitik. Zwar lässt sich hier  wahrscheinlich am wenigsten einfach ein Schalter umlegen. Evenson blickt aber positiv auf die „Bundesagentur für Sprunginnovationen“ (SPRIND).

Housekeeping: Unter diesem Schlagwort ging Evenson auf die Beschäftigungsdimension der Transformation ein. Klare Richtungsentscheidungen von Seiten der Politik würden helfen – etwa die Festlegung auf batterieelektrische Antriebe und eine dezidierte Förderung von Mobility as a Service (MaaS). Denn dann wüssten zum Beispiel die Tarifpartner verlässlich, welche Aus- und Weiterbildungen gebraucht würden und könnten entsprechende Angebote machen. Wohlstand und eine zukunftsfeste Automobilindustrie könnten durch “Weiterbildung, Migration, Lebenslanges-Lernen und längere Erwerbsbiografien” gesichert werden, so Herr Evenson.

Panel-Gespräch

mit Matthias Gastel (MdB, Bahnpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen) Stavros Christidis (Stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei Volkswagen Nutzfahrzeuge in Hannover), Dörte Schramm (Abteilungsleiterin für Politik- und Regierungsbeziehungen bei Bosch)

Zusammenfassung

Die Panelist:innen waren sich einig, dass die klimaneutrale Transformation des Automobilsektors ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist. Darüber, was der Staat wie gestalten soll und welche Technologiepfade geeignet sind, waren sich die Panelist:innen nicht einig. In der Diskussion ging es vor allem um die Antriebsfrage sowie Beschäftigung und Weiterbildung. Ferne wurde darauf verwiesen, dass die Automobilhersteller zu Mobilitätsanbietern werden, also Geschäftsfelder außerhalb des Autoverkaufs erschließen müssten.

Die Antriebsfrage – “Electrification first” und was kommt “second”?

Hinter der Transformation in der Automobilindustrie steht die Frage, wie Fahrzeuge in Zukunft angetrieben werden sollen. Für neue PKW zeichne sich der batterieelektrische Antrieb als sinnvoll ab, waren sich die Panelist:innen grundsätzlich einig. Unterschiede wurden in der Frage deutlich, welche Rolle alternative Antriebstechnologien spielen werden.

“Electrification first” gelte auch bei Bosch, sagte Dörte Schramm. Für klimaneutralen Verkehr seien aber auch e-fuels und Brennstoffe wichtig. Das müsse in der EU-Richtlinie für EE gewürdigt werden. Bestehende Flotten sollten perspektivisch mit e-fuels betankt werden. Die alternativen Kraftstoffe, betonte Frau Schramm, müssten daher in “sonnenreichen Regionen mit zusätzlichen Grünstrom-Kapazitäten” produziert werden. Folglich sei es wichtig, Import-Strategien zu entwickeln.

Matthias Gastel fand es richtig, dass Volkswagen auf batterieelektrische Antriebe setzt. Grüner Wasserstoff und e-Fuels seien zwar wichtig, aber besonders für Industrieprozesse, Schiffe und Flugzeuge, nicht für den Individualverkehr, so Herr Gastel. Grüner Wasserstoff und e-Fuels würden auf lange Zeit nur in begrenzten Mengen verfügbar sein, weil die dafür notwendige Menge an Ökostrom noch nicht zur Verfügung stehe, erklärte Herr Gastel.

Um die Klimaziele zu erreichen, nutze man zwar heute viele kleine Stellschrauben, langfristig brauche es jedoch ein ganzheitliches, weltweites System für CO2-Bepreisung, forderte Frau Schramm. Für die Automobilhersteller sei in erster Linie die Regulierung der CO2-Flottengrenzwerte entscheidend – für Bosch als Zulieferer sei jedoch genauso relevant, wie Lade- und Tank-Infrastruktur, erneuerbare Energien, die Energiesteuerrichtlinie und der EU-Emissionshandel reguliert seien.  Es komme nicht nur auf die Regulierung in Deutschland an, sondern auf europäischer und weltweiter Ebene. Dabei wolle man nicht bei einem “tank-to-wheel”-Ansatz bleiben, sich also nicht auf den CO2-Ausstoß des Fahrzeugs fokussieren, sondern würde einen ganzheitlichen “well-to-wheel”-Ansatz bevorzugen, betonte Dörte Schramm.

Man müsse aber auch auf andere Verkehrsträger setzen, nicht nur auf neue Antriebstechniken,  ergänzte Matthias Gastel. Die Autoindustrie müsse sich zur Mobilitätsindustrie wandeln.

Beschäftigung und Weiterbildung

Laut Matthias Gastel werde sich der Arbeitsmarkt vor allem im Bereich der Produktion verändern, Möglichkeiten für neue Arbeitsplätze sah er im Bereich der Dienstleistungen, und im Bereich IT und Elektronik.  Es sei besonders wichtig, die Transformation frühzeitig zu gestalten und nicht hinauszuzögern – das führe nur dazu, dass man das Ganze sonst in einem noch kürzeren Zeitraum bewerkstelligen müsse.

Der absehbare Stellenabbau in der Automobilindustrie sei nur teilweise durch die neuen Antriebsformen begründet, sondern auch einem grundsätzlichen “Kosten- und Produktivitätsdruck” sowie der Digitalisierung geschuldet, betonte Herr Christidis. Es sei sehr wichtig, dass das nicht vermischt werde. Die grüne Transformation werde von der Unternehmensführung als Anlass genommen, Druck auf die Belegschaft auszuüben. Das erschwere die Kommunikation der Arbeitnehmervertretung mit der Belegschaft.

Altersteilzeit und Investitionen in Weiterbildungsprogramme seien Maßnahmen, die es ermöglichen würden, die Transformation sozialverträglich zu gestalten, erklärte Herr Christidis. 

Bei Bosch sind gut 10% der Beschäftigten im Diesel-und Verbrennergeschäft tätig. Inwiefern alle Stellen gehalten werden können, sagte Dörte Schramm, sei ungewiss. Mit “Transfer-Qualifizierungsprogrammen”, sollen die Mitarbeiter:innen für Software, Künstliche Intelligenz oder Elektromobilität geschult werden. Bisher habe Bosch mehr als die Hälfte der Stellen in der Elektromobilität aus dem Bestand besetzen können. Es fehle aber an besonders hochqualifizierten Fach- und Führungskräften.

Herr Christidis betonte, dass es wichtig sei, nicht nur gesamtwirtschaftlich sondern auch regional zu denken. Die Transformation werde standortspezifische Effekte haben. Das beim Autogipfel im November 2020 entwickelte Konzept der “Innovations-Cluster” habe sich bisher in der konkreten Planung noch nicht niedergeschlagen.

Frage aus dem Publikum

Es wurde die Frage gestellt, inwiefern Digitalisierung helfe, Mobilität klimaschonender zu organisieren. Stavros Christidis stellte klar, Digitalisierung sei nicht dazu erfunden worden, um nachhaltiger zu werden, Digitalisierung diene in erster Linie der Produktivität. Deshalb sei Digitalisierung kein Garant für Nachhaltigkeit. Sie könne jedoch nachhaltige Antriebstechnologien mit neuen Mobilitätskonzepten zusammenzubringen und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung des Sektors unterstützen.

“Wir haben bei Autos im Schnitt eine Auslastung von nur 1,4 Personen pro Fahrzeug” sagte Matthias Gastel. Digitalisierung erlaube es Autos im Verbund zu denken, zum Beispiel durch autonomes Fahren, so ließe sich Verkehr reduzieren und Mobilität steigern.

Take-Aways

  • Die deutsche Automobilindustrie kann in der Mobilitätswende eine wichtige Rolle spielen. Je eher sie diese Rolle annimmt, desto mehr Gestaltungsfreiheit hat sie.
  • Die Erfahrung zeigt: Ohne staatliche Förderung wird es keinen Markt für nachhaltige Fahrzeuge geben.
  • Staatliche Investitionen in Lade- und digitale Infrastruktur sind für die Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit des Sektors unerlässlich.
  • Eine schnelle politische Richtungsentscheidung über die zukünftige Antriebstechnologie von Nutzfahrzeugen ist wettbewerbsentscheidend.
  • Betriebsräte und Gewerkschaften brauchen gezielte Kommunikationshilfen, um bei Belegschaften Unterstützung für die grüne Transformation aufzubauen.

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