VIER THESEN
«Der moderne Mythos des Fortschritts ist die Vermutung, daß die Menschen und ihre Gesellschaften besser gedeihen werden, wenn sie die Freiheit besitzen, die Maxime Kants zu befolgen und nicht einer Autorität, sondern der eigenen Vernunft trauen.»1
Während die ideen- und begriffsgeschichtliche Auseinandersetzung mit dem Konservatismus aktuell einen Höhepunkt erlebt,2 ist die Diskussion um den Begriff des Progressiven theoretisch kaum entwickelt. Es ist zugleich das Mehrdeutige, Schillernde dieses «Universalbegriffs» (Koselleck), das ihn so spannend und vielseitig verwendbar macht.
Im Folgenden wird der Versuch unternommen, den Begriff «progressiv» anhand von vier Thesen zu fassen. Diese nehmen erstens Bezug auf die Begriffsgeschichte, grenzen zweitens «progressiv» von anderen Begriffen ab, suchen drittens den internationalen Vergleich und stellen schließlich viertens einige Überlegungen zur aktuellen Bedeutung und Verwendung des Begriffs an.
I. «Progressiv» ist ein Universalbegriff, der per se inhaltsleer ist. Sein inhaltliches Vakuum provoziert einen ideologischen Besetzungszwang und macht ihn zugleich so attraktiv.
«Progressiv» leitet sich ab vom französischen Wort «progressif», welches wiederum von «progrès», also vom «Fortschreiten» kommt. Damit hat der Begriff «eine physische und eine räumliche Komponente, die – durch den Vollzug des Schreitens –
zeitlich angereichert ist»3. «Progressiv» kann sowohl «fortschrittlich» im Sinne von «modern» als auch «fortschreitend, sich steigernd» (bspw. ein progressiver Steuersatz oder eine sich progressiv entwickelnde Krankheit) bedeuten. Hier interessiert die erste, politische Bedeutung des Begriffs. Sie wird im deutschen Sprachraum aus dem Englischen entlehnt und taucht ab Mitte des 19. Jahrhunderts auf.
Zeitgleich entwickelt sich der Begriff «Fortschritt» als politisches Schlagwort.4 Vom Begründer der Begriffsgeschichte, dem Historiker Reinhart Koselleck, wissen wir, dass Wortschöpfungen immer einen Erfahrungs- und Bewusstseinswandel anzeigen. In diesem Fall ist es die Abkehr von einem zirkulären Geschichtsverständnis.
Bis ins 18. Jahrhundert diente vor allem der Begriff «Fortgang» zur Beschreibung einer Entwicklung, welcher auch auf einen zyklischen Ablauf bezogen werden konnte. «Fortgang», ist ebenso wie «Wandel», «Wachstum» oder «Entwicklung» zunächst wertfrei und beinhaltet nicht zwingend eine Veränderung zum Besseren. Mit der Wende zum 19. Jahrhundert galt die Vergangenheit nun als andersartig – nämlich schlechter – als die Zukunft, die zur Projektionsfläche für erwartete positive Entwicklungen wurde. Geschichte wurde nicht mehr als etwas aufgefasst, das sich wiederholt, sondern als etwas einmaliges und einzigartiges, das sich entwickelt und zwar vorwärts.5 Die optimistische Grundauffassung, dass durch das menschliche Handeln selbst eine Befreiung aus der eigenen Unmündigkeit im Sinne Kants möglich sei, kann man, dem finnischen Philosophen Georg Henrik von Wright folgend, als das eigentliche Signum der Moderne ansehen.6 Angesichts von Entwicklungen wie der Industrialisierung, des Ausbaus von Kommunikations- und Verkehrswegen und der Evolutionstheorie Darwins schien der Fortschritt in Wirtschaft, Technik, Industrie und Forschung förmlich greifbar zu sein. Der britische Historiker Eric Hobsbawm hat den Fortschritt sogar als das dominierende Konzept des 19. Jahrhunderts bezeichnet.7
Der Begriff «Fortschritt» steht also für ein teleologisches Verständnis von Menschheitsgeschichte. Trotz dieser Gerichtetheit ist der Fortschritt nicht finalisiert, sondern grundsätzlich offen. Auch deshalb fehlt dem Begriff jede inhaltliche Klarheit. Es bleibt diffus, welcher Fortschritt gemeint ist: Was soll denn nun besser werden? Was ist das Ziel des Fortschritts? 8 Dieser Befund gilt gleichfalls für den Begriff «progressiv».
Die Tatsache, dass weder «Fortschritt» noch «progressiv» in den Wörterbüchern des 19. Jahrhunderts auftauchen, zeigt, dass sie nicht zu für Geschichte und Politik theoretisch anspruchsvollen Begriffen aufrückten, sondern ein geringes Reflexionsniveau behielten. Durch die häufige Verwendung als politische Schlagwörter entwickelten sie sich jedoch zu unhinterfragten Leitbegriffen mit hohem Allgemeinheitsanspruch, der sie individuell prägbar machte. Gerade ihre Unschärfe ermöglicht die selbstreferenzielle Nutzung der Begriffe. Die Fortschrittsgläubigkeit beruht auf der Überzeugung, «Vollstrecker desselben Fortschritts zu sein, an den man glaubt».9
Durch diese Selbstreferenzialität war der Fortschrittsbegriff ab Mitte des 19. Jahrhunderts von allen politischen Richtungen besetzbar. So nahmen ihn ganz unterschiedliche Gruppen für sich in Anspruch. Bereits 1847 verwendete Robert Blum den Begriff der «Fortschrittsmänner» für seine radikalen Mitkämpfer der demokratischen Revolution,10 und auch für Marx und Engels war der Begriff des Fortschritts – mit Rückgriff auf Hegel – zentral.11 In dieser Tradition ist der Sozialismus eine Fortschrittsideologie mit umfassendem Anspruch. Sinnbildlich wird dies in den bekannten Zitaten von Erich Honecker «Vorwärts immer, rückwärts nimmer!» oder: «Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf».
Vor allem aber wurde der «Fortschritt» nach der gescheiterten Revolution 1848/49 zu einer Losung, die die Linksliberalen bewusst für sich in Anspruch nahmen, als sie sich 1861 in Preußen zur Deutschen Fortschrittspartei zusammenschlossen.
Diese Partei erhob typisch liberale Forderungen: die nationalstaatliche Einheit, Rechtsstaatlichkeit und unabhängige Rechtsprechung. Später spaltete sich die Partei in die für den deutschen Liberalismus charakteristische Trennung von Nationalliberalen und Sozialliberalen. Der Fortschrittsbegriff blieb dabei mit der sozialliberalen Partei verbunden.
Wie sehr «Fortschritt» jedoch ein Perspektivbegriff blieb, dessen Richtung und Ziel stets vom politischen und sozialen Standpunkt des Verwenders abhingen, zeigt sich daran, dass sich der Begriff nicht allein auf den Linksliberalismus beschränken ließ. Selbst Konservative beanspruchten den Begriff für sich, so etwa Reichskanzler Bernhard von Bülow, der 1907 forderte: «Nicht Rückschritt und nicht Stillstand, sondern Fortschritt.»12 Auch die NSDAP reklamierte den Fortschritt für sich. Zugleich war sie keine fortschrittliche, sondern eine brutale Modernisierungspartei, die in revolutionärer Art und Weise das Rechtssystem in sein Gegenteil verkehrte, ein neues Gesellschaftssystem einführte und politische Gegner verfolgte. Diese Feststellung führt zur zweiten These:
II. «Progressiv» beschreibt einen Fortschritt, der sich selbst wieder einhegt.
Der Fortschritt will nicht die revolutionäre Umwälzung. Progressiv ist also nicht radikal und auch nicht revolutionär. Fortschritt hat als Gegenbegriffe nicht nur Rückschritt oder Stillstand, sondern auch den der Revolution.13 Radikale Revolutionäre benennen sich selbst nicht als progressiv. Der Anführer der Studentenbewegung der 1960er-Jahre, Rudi Dutschke, wollte keinen Fortschritt, sondern die Revolution; er war nicht progressiv, sondern revolutionär.
Fortschritt findet schreitend, also prozesshaft statt. Es handelt sich um eine moderate, evolutionäre, geordnete Veränderung, wie sie die Liberalen seit dem 19. Jahrhundert befürworten. Doch auch zu «liberal» lässt sich – trotz vieler assoziativer Übereinstimmungen – «progressiv» abgrenzen. Zwar wurden und werden die Begriffe oft synonym verwendet, aber progressiv ist nicht per se liberal:
Im Namen des Fortschritts können auch illiberale Beschränkungen der persönlichen Freiheit durchgesetzt werden, etwa das Tracking von Bewegungsprofilen und Gesundheitsdaten, wie es derzeit zur Eindämmung der Corona-Pandemie in Deutschland diskutiert und einigen asiatischen Ländern praktiziert wird.
III. «Progressiv» ist ein relationaler Begriff, er ist also abhängig von seinem Bezugssystem.
Wie eingangs erwähnt fand der Begriff «progressiv» als politischer Begriff durch die Entlehnung aus dem Englischen seinen Weg ins Deutsche. Dazu ist anzumerken, dass das englische Wort «progressive» – ebenso wie das englische «liberal» – eine weitaus «linkere» Konnotation hat als im Deutschen. Bereits seit den 1880er-Jahren wandelte sich der Begriff im angloamerikanischen Sprachraum immer mehr vom eher neutralen «fortschrittlich» zu «nach Wandel und Innovation strebend, avantgarde, liberal»; im sozial-politischen Feld auch «Reformen befürwortend, radikalliberal».14
Daran hatte in den USA die Interpretation des Liberalismus durch John Dewey ebenso ihren Anteil wie die politischen Programme, die bis heute mit dem Begriff des «Progressiven» verbunden werden.15 Die «Progressive Era» steht für die Durchsetzung von sozialen und politischen Reformen der 1890er- bis 1920er-Jahre unter den US-Präsidenten Theodore Roosevelt und Woodrow Wilson. Sie wurde gefolgt vom «New Deal», den Wirtschafts- und Sozialreformen der 1930er-Jahre unter Franklin D. Roosevelt, sowie der «Great Society», dem Reformprogramm von Lyndon B. Johnson, in den 1960er-Jahren. Diese Reformprogramme gingen in ihrer staatlichen Lenkung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt weit über das hinaus, was als klassischer Liberalismus zu verstehen wäre. Seit den 1990er-Jahren entwickelte sich «progressive» dann in den USA als neuer, unverbrauchter Begriff, mit dem sich Politiker der linken Mitte vom durch das gegnerische Lager diskreditierten Begriff des «liberal» abzugrenzen suchten.16
Auch in Großbritannien war «progressive» seit den 1920er-Jahren oftmals gleichzusetzen mit «links» bzw. «sozialistisch». Zugleich – und hier bestätigt sich das Kosellecksche Axiom des ideologisch besetzbaren Universalbegriffs – benutzten zuletzt auch die Torys den Begriff für ihre 2009 noch unter David Cameron ins Leben gerufene Bewegung, die sich mit dem Oxymoron «Progressive Conservatism » benennt.17 Ihre Ziele Fairness, Chancengleichheit, Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Sicherheit klingen denn auch so universal, dass fast jede parteipolitische Richtung sie unterschreiben würde.18 Zeitgleich benannte sich die Sozialistische bzw. Sozialdemokratische Fraktion des EU-Parlaments in «Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament» um und nahm damit den Begriff «progressiv» von links in Anspruch. Auch die 2013 auf Betreiben des damaligen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel gegründete «Progressive Allianz» reklamierte den Begriff für sich. Der in die politische Mitte gerückten Neugründung der geschichtsträchtigen «Sozialistischen Internationale» gehören nun über 80 sozialistische, sozialdemokratische und progressive Parteien an; neben der englischen Labour Party auch die amerikanische Democratic Party, die einer «Sozialistischen Internationalen» sicherlich nie beigetreten wäre.
IV. Progressive haben einen Erwartungsraum zu füllen und müssen daher mehr imaginieren und größeren rhetorischen Aufwand betreiben als Konservative, die sich an einem – vermeintlich bekannten – Erfahrungsraum orientieren. Progressive brauchen ein Programm.
Der Begriff «progressiv» orientiert sich an einem Erwartungshorizont. Er ist optimistisch auf die Zukunft gerichtet, er will etwas gestalten und ist prinzipiell offen. «Konservativ» hingegen bezieht sich auf das Vertraute und baut auf einen vermeintlich vorhandenen gemeinsamen Erfahrungsraum. Konservative müssen nichts erklären oder rechtfertigen, weil sie für das Bekannte eintreten. Progressive hingegen müssen erläutern, wohin der Fortschritt, für den sie eintreten, eigentlich führen soll.
Wenn Reinhart Koselleck von einem «Besetzungszwang» des Fortschrittsbegriffs spricht, dann meint er damit, dass der «fortschrittliche Erwartungsraum» je nach sozialem oder politischem Standpunkt ideologisch gefüllt werden muss.
Zugleich bleibt der Fortschritt als moderner Bewegungsbegriff stets ideologiekritisch hinterfragbar.19 Nicht zuletzt die teleologische Gerichtetheit des Begriffs hat immer wieder ihre Kritiker gefunden. Der Bericht des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums und der Ölschock in den 1970er-Jahren lösten eine Krise des Glaubens an unaufhaltsamen Fortschritt und Wachstum aus. Die politische Planungseuphorie der 1960er- und 1970er-Jahre wurde von der Ökobewegung der 1980er-Jahre nachhaltig in Frage gestellt.20 Seit etwa 2015 erlebt die Postwachstumsdiskussion im Angesicht von Kapitalismuskritik und Klimawandel einen weiteren Höhepunkt und stellt damit den Progressivismus vor neue Herausforderungen.21
In ähnlicher Weise wie die Diskussion um Ressourcen und Wirtschaftswachstum wurde in den 2000er-Jahren die Fortschrittserzählung in Bezug auf die Demokratie in Frage gestellt. Spätestens mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurde «dem Westen» schmerzhaft bewusst, dass er eben nicht am «Ende der Geschichte» (Fukuyama) angekommen war, sondern dass das westliche Demokratiemodell kein weltweiter Selbstläufer ist. Aktuell erleben wir eine Krise der liberalen Demokratie in den westlichen Ländern selbst. Das Bewusstsein für diese Krise produziert auch Verlustängste. Freiheit, Gleichheit und Demokratie erscheinen nicht mehr als Selbstverständlichkeit, sondern als etwas Schützenswertes, das verloren zu gehen droht.22
Indes: Nur wer etwas erreicht hat, kann etwas verlieren. Für wen aber gilt der erreichte Fortschritt? Für viele in der Bundesrepublik gibt es gute Gründe, recht zufrieden zu sein mit dem Erreichten der letzten Jahrzehnte; sei es die Liberalisierung, die Demokratisierung, die erweiterten Teilhabechancen, die Bildungsexpansion oder der gewachsene Wohlstand. Aber was ist mit denen – in Deutschland, in Europa, in anderen Teilen der Welt – für die diese Errungenschaften nicht gelten? Was heißt es vor diesem Hintergrund, heute «progressiv» zu sein, und wie sollte der Begriff gefüllt werden, damit er kein Leerbegriff bleibt?
Anhänger der liberalen Demokratie sollten die Besetzung des Begriffs keinesfalls denen überlassen, die «progressiv» heute mit dem Konservatismus verknüpfen, um damit die Verteidigung der Privilegien weniger zu erreichen.23 Der grundlegende Unterschied zwischen den Begriffen «progressiv» und «konservativ» liegt nämlich in der Haltung: Progressive betrachten das Glas als halb voll, sie sehen die Chancen, den Wandel zu nutzen, um Verbesserungen für viele zu erreichen.
Damit sehen sie Veränderungen nicht als Bedrohung, sondern als Grundvoraussetzung menschlichen Zusammenlebens an. Für Konservative hingegen ist das Glas bereits halb leer, sie fürchten den Verlust und verwenden ihre Energie darauf, das Erreichte zu sichern. Diese Einstellung führt jedoch zur Beschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten und der Bevorzugung bereits privilegierter Gruppen.
«Progressiv» heißt, etwas verändern und damit bewusst gestalten zu wollen.
Im Progressiven steckt das Bekenntnis für eine selbstbestimmte, vernunftorientierte und optimistische Zukunftsgestaltung. Es ist ein Appell für eine Politik, die die Gesellschaft offenhält und Zukunftsvisionen entwickelt, die eine Verbesserung der Lebenschancen aller Bürgerinnen und Bürger zum Ziel hat.
Dr. Franziska Meifort ist seit 2016 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichte der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Nach Auslandsaufenthalten in den USA und in Großbritannien arbeitete sie im Deutschen Bundestag, in einem DFG-Projekt an der Freien Universität Berlin sowie im Bundesarchiv Koblenz, wo sie den Nachlass von Ralf Dahrendorf erschlossen hat. Ihre mit dem Wolf-Erich-Kellner-Gedächtnispreis ausgezeichnete Dissertation an der Freien Universität Berlin über den liberalen Intellektuellen Ralf Dahrendorf erschien 2017 unter dem Titel Ralf Dahrendorf. Eine Biographie.
1Wright, Georg Henrik von: Der Mythos des Fortschritts, in: ders.: Erkenntnis als Lebensform, Wien u.a. 1995, S. 273.
2Vgl. zuletzt u.a. Steber, Martina: Die Hüter der Begriffe. Politische Sprachen des Konservativen in Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland, 1945–1980, Berlin/Boston 2017; Liebold, Sebastian/Schale, Frank (Hg.): Neugründung auf alten Werten? Konservative Intellektuelle und Politik in der Bundesrepublik, Baden-Baden 2017; Biebricher, Thomas: Geistig-moralische Wende. Die Erschöpfung des deutschen Konservatismus, Berlin 2018.
3Koselleck, Reinhart: «Fortschritt», in: ders./Brunner, Otto/Conze Werner (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, korr. Studienausgabe, Stuttgart 2004 [1975], S. 351–423, hier S. 351
4Der Begriff «Fortschritt» ist ein neuzeitlicher Begriff und kommt schon etwas eher als «progressiv», nämlich mit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zunehmend im deutschen Sprachraum, vor. Er stammt ebenfalls vom französischen «progrès», entwickelt sich aber relativ unabhängig vom Französischen. Koselleck, Fortschritt, S. 389. Zur Unterscheidung von Progressivismus und Fortschritt vgl. Mäder, Dennis: Fortschritt bei Marx, Berlin 2010, S. 49: «Der Progressivismus hat die Funktion, bestimmte Fortschrittsinhalte als Botschaft zu transportieren, in der Hoffnung auf deren praktische Umsetzung.»
5Koselleck, a.a.O., S. 389.
6Wright, a.a.O., S. 262–295.
7Hobsbawm, Eric: The Age of Capital. 1848–1875, London 2004, S. 296. Kritisch dazu: Mäder, a.a.O., S. 51.
8 Freilich fehlt es nicht an Versuchen der Systematisierung, etwa in verschiedene Dimensionen des Fortschritts wie epistemisch, ökonomisch, sozial, politisch, die jedoch prinzipiell grundsätzlich erweiterbar sind. Vgl. Nullmeier, Frank: Ende oder Erneuerung des Fortschritts?, in: Neue Politische Literatur , 64, 2019, S. 461–480, hier S. 464f.
9 Koselleck, a.a.O., S. 412. Vgl. auch ebd., S. 387–388 und 407.
10 Blum, Robert (Hg.): Fortschrittsmänner der Gegenwart. Eine Weihnachtsgabe, Leipzig 1847.
11 Dazu umfassend: Mäder, a.a.O.
12 Zitiert nach Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II, Machtstaat vor der Demokratie, München 2013 [1992], S. 732.
13 Das lateinische «revolutio» heißt im Wortsinn «das Zurückwälzen».
14 Harper, Douglas: progressive, in: ders.: Online Etymology Dictionary, 2001–2019, www.etymonline. com/word/progressive, Zugriff: 22.11.2019. Als Substantiv taucht «progressive» zuerst 1865 als Bezeichnung einer Person, die sozialen und politischen Wandel im Namen des Fortschritts befürwortet, auf. Vgl. auch progress, in: The Concise Oxford Dictionary of English Etymology, Oxford UP 1986 und Wiliams, Raymond: progressive, in: ders.: Keywords. A Vocabulary of Culture and Society. Revised Edition, New York 1983, S. 243–245.
15 Vgl. Reese-Schäfer, Walter: Liberalismus, in: Salzborn, Samuel (Hg.): Handbuch Politische Ideengeschichte. Zugänge – Methoden – Strömungen, Stuttgart 2018, S. 164–173, hier S. 168.
16 Brociner, Ken: Liberals, Progressives and the Left, in: In These Times, 2.3.2008, http://inthesetimes.
com/article/3555/the_american_left_liberals_progressives_and_the_lef, Zugriff: 30.7.2019.
Vgl. auch Oxford English Dictionary Online: «progressive», 3. Ausgabe 2007,
www.oed.com/view/Entry/152244?redirectedFrom=progressive#eid, Zugriff: 22.11.2019.
17 Vgl. Letwin, Oliver: How liberal is progressive Conservatism?, in: New Statesman , 4.2.2009,
www.newstatesman.com/uk-politics/2009/02/progressive-conservatism, Zugriff: 22.11.2019.
18 Auch in Kanada existierten die Progressive Conservatives als Mitte-Rechts-Partei, seit 2003 unter dem Namen Conservative Party of Canada.
19 Koselleck, a.a.O., S. 417.
20 Vgl. auch Doering-Manteuffel, Anselm/Raphael, Lutz: Nach dem «Boom». Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008. Die Fortschrittsskepsis hält sich bis heute: Vgl. u.a. Wright, Ronald: Eine kurze Geschichte des Fortschritts, Reinbeck 2016.
21 Prominent und radikal vertreten durch den Volkswirt Niko Paech, u.a. in: Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, München 2012.
22 Etwa bei Siller, Peter: Politische Orientierung in der Zeit. Zum Verständnis einer politischen Erzählung, in: böll.brief Demokratie & Gesellschaft #14, Juni 2019. Aktuell zur Debatte: Möllers, Christoph: Freiheitsgrade, Berlin 2020.
23 Diese Position findet sich beispielhaft bei Mai, Klaus-Rüdiger: Progressiver Konservatismus, in: Tichys Einblick, 5.12.2018, www.tichyseinblick.de/meinungen/progressiver-konservatismus, Zugriff: 22.11.2019.