Die Bundesregierung ist im Begriff, eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik auszubuchstabieren. Dieser Artikel, der einen Beitrag zu einer anderen Politik auf Grundlage des neuen Paradigmas leisten möchte, schlägt vor, wie die deutsche Politik gegenüber Georgien, Armenien und Aserbaidschan, deren politische Relevanz für Berlin durch den russischen Krieg in der Ukraine gestiegen ist, feministisch werden könnte. Er empfiehlt der Bundesregierung, ihre Unterstützung für die Zivilgesellschaften und Menschenrechte in der Region zu verstärken, Feedback zu ihrer Politik von diversen lokalen Akteur*innen aktiv einzuholen, eine echte Verbündete für die Gleichstellung der Geschlechter und LGBTQI-Rechte zu werden und ihr politisches und wirtschaftliches Gewicht für die Förderung nachhaltigen Friedens in der Region in den Ring zu werfen.
Der Ampel-Koalitionsvertrag sieht vor, dass die Bundesregierung gemeinsam mit ihren Partnern „im Sinne einer Feminist Foreign Policy Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen weltweit stärken und gesellschaftliche Diversität fördern“ möchte. Das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung arbeiten aktuell an entsprechenden Leitlinien. Das Auswärtige Amt plant, einen 3R+D-Ansatz anzuwenden, um die Rechte, Repräsentanz und Ressourcen von Frauen und marginalisierten Gruppen zu stärken sowie die gesellschaftliche Diversität zu erhöhen. Das Entwicklungsministerium verwendet eine weitergehende und politischere Sprache und erklärt: „Feministische Entwicklungspolitik nimmt alle Menschen in den Blick und setzt an den Wurzeln der Ungerechtigkeiten an: den Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern, sozialen Normen und Rollenbildern.“ Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze kündigte an, „den Anteil der bilateralen Finanzmittel des Entwicklungsministeriums, die gezielt oder mittelbar einen Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter leisten, von jetzt circa 60 Prozent auf 93 Prozent erhöhen“ und „Mittel für Vorhaben, die explizit Geschlechtergleichstellung fördern, [zu] verdoppeln.“ Da sich die feministischen Strategien der beiden Ministerien noch im Entwurfsstadium befinden, ist noch unklar, wie die deutsche feministische Außen- und Entwicklungspolitik konkret ausbuchstabiert werden wird.
Dieser Artikel diskutiert, wie eine deutsche feministische Außen- und Entwicklungspolitik im Südkaukasus aussehen könnte – eine Region, die nicht gerade für feministische Politik bekannt ist. Alle drei Länder des Südkaukasus weisen starke patriarchalische Strukturen und Geschlechterungleichheit auf, obwohl die Fortschritte der letzten Jahre in Georgien deutlich größer waren als in Armenien und Aserbaidschan. So liegt Georgien im Global Gender Gap Index 2022 auf Platz 55, Armenien auf Platz 89 und Aserbaidschan auf Platz 101 weltweit (Deutschland: Platz 10). Im Rainbow Index 2022 von ILGA Europe erreicht Aserbaidschan eine Bewertung von 2 % von 100 %, Armenien 8 % und Georgien 25 % (Deutschland: 53 %).
Erfolge im Gender-Mainstreaming
Die Gleichstellung der Geschlechter ist kein neues Ziel für die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik. 2012 verabschiedete die Regierung unter Federführung des Auswärtigen Amtes ihren ersten Nationalen Aktionsplan für die UN-Agenda Frauen, Frieden, Sicherheit. Seit 2014 verfügt das Entwicklungsministerium über eine Gleichstellungsstrategie, 2016 folgte ein Aktionsplan. Die ressortübergreifenden Strategien zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit, der Übergangsjustiz und der Reform des Sicherheitssektors, die 2019 im Rahmen der Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ verabschiedet wurden, beinhalten geschlechtsspezifische Ansätze. Schließlich verabschiedete die Regierung im Jahr 2021 die LGBTI-Inklusionsstrategie, um „Menschenrechte von LSBTI-Personen in der Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit konsequent“ zu berücksichtigen.
Die Umsetzung dieser Dokumente war teilweise erfolgreich. Im Women, Peace, and Security Index 2021 rangiert Deutschland unter den Top-Dutzend-Umsetzern der Agenda Frauen, Frieden, Sicherheit. Die deutsche Zivilgesellschaft lobte die Fortschritte des aktuellen Nationalen Aktionsplans (2021-2024), wies aber auch auf verbleibende Defizite etwa bei der finanziellen Ausstattung, der heimischen Umsetzung und einer kohärenteren Friedensorientierung der Regierung hin. Eine Evaluierung von Gender Mainstreaming in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Post-Konflikt-Kontexten kommt zu dem Ergebnis, dass zwar konkrete Einzelvorhaben Wirkung zeigen, der Gender-Konflikt-Nexus aber nicht konsequent in den Vorhaben verankert wird.
Feministische Außen- und Entwicklungspolitik: mehr als Gender-Mainstreaming
Für die meisten Vertreter*innen der feministischen Zivilgesellschaft und Wissenschaft geht die Idee der feministischen Außenpolitik (FAP) jedoch weit über Gender-Mainstreaming hinaus. Was ist nun Feminismus und wie wird feministische Außenpolitik typischerweise in Zivilgesellschaft und Wissenschaft verstanden? Die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (WILPF), eine der lautstärksten Verfechterinnen feministischer Außenpolitik in Deutschland, „versteht Feminismus als eine Bewegung, eine Form des Aktivismus und einen Ort der kritischen Auseinandersetzung mit sozialer Gerechtigkeit und Geschlechtergleichstellung.“ Anstelle einer einheitlichen Definition und eines einheitlichen Ansatzes für FFP schlägt WILPF in seinem Leitfaden zur praktischen Anwendung der FAP fünf Grundwerte vor, die im Mittelpunkt stehen sollten: 1) Intersektionalität, 2) empathische Reflexivität, 3) substantielle Repräsentation und Partizipation, 4) Rechenschaftspflicht und 5) aktives Friedensengagement. Während Intersektionalität und Repräsentation/Partizipation eng mit bestehenden Gender-Mainstreaming-Praktiken verknüpft sind und relativ eindeutig sind, verdienen die anderen drei Werte eine nähere Erläuterung. Laut WILPF erfordert emphatische Reflexivität, „dass diejenigen, die sich in einer Machtposition befinden, sowohl die Auswirkungen ihres Handelns und ihrer historischen Position in Bezug auf andere berücksichtigen als auch aufmerksam und ansprechbar gegenüber den Bedürfnissen der Menschen um sie herum sind.“ Rechenschaftspflicht wiederum wird verstanden als „Verantwortungsbewusstsein und Fürsorgepflicht nicht nur gegenüber staatlichen Institutionen und Finanzinvestoren, sondern auch gegenüber den Gemeinschaften und Einzelpersonen, denen die Maßnahmen zugutekommen sollen.“ Schließlich erfordert aktives Friedensengagement gemäß WILPF nicht nur die Unterstützung der „Abwesenheit von Krieg oder Gewalt“, sondern auch „ein aktives Engagement für Frieden durch friedliche Mittel, das auf Versöhnung, empathischen Dialogen, Gleichheit und Gleichberechtigung sowie auf der Einbeziehung von Gerechtigkeit und Diplomatie in die Konfliktlösung basiert.“ Im Folgenden soll gezeigt werden, wie diese feministischen Werte in die deutsche Südkaukasuspolitik Einzug finden können.
Deutschlands Politik gegenüber dem Südkaukasus
Sicherlich hat Berlin eine Reihe von Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen im Südkaukasus. Diese Interessen sind nach Russlands umfassender Invasion der Ukraine, welche die globale Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie für Stabilität, die Notwendigkeit wertebasierter Allianzen und die Dringlichkeit diversifizierter Handels- und Energierouten unterstrich, gewachsen. Dennoch verfügt die Bundesregierung weder über eine spezielle, ausdefinierte Südkaukasus-Politik noch über umfassende oder öffentlich zugängliche Länderstrategien für Georgien, Armenien oder Aserbaidschan. Das Auswärtige Amt legt seine Prioritäten für bestimmte Länder nichtöffentlich fest, wobei die Botschaften einen begrenzten Spielraum haben. Bisher agierte Deutschland hauptsächlich durch und innerhalb der Europäischen Union und ihrer Nachbarschaftspolitik und Östlichen Partnerschaft und trat nur selten als unabhängiger oder offen politischer Akteur auf.
Wichtig zu erwähnen ist, dass das Entwicklungsministerium im Einklang mit seinem 2030-Reformprozess immerhin plant, im Jahr 2023 Länderstrategien für Georgien und Armenien zu entwickeln. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist Deutschland ein wichtiger Akteur in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern des Südkaukasus; seit 1992 hat es Kredite und Zuwendungen in Höhe von über 3,2 Milliarden Euro bereitgestellt (Georgien: 1,357 Milliarden, Armenien: 943 Millionen, Aserbaidschan: 523 Mio., regional/Südkaukasus: 405 Mio.[1]). Während die Entwicklungszusammenarbeit seit 2001 im Rahmen der regionalen Kaukasus-Initiative organisiert war, „bilateralisiert“ Deutschland nun sein Kooperationsportfolio. Dies liegt unter anderem an den unterschiedlichen Entwicklungs- und Regimepfaden der drei Länder. Obwohl Gender kein Schwerpunkt ihrer Arbeit im Südkaukasus ist, integriert die deutsche Entwicklungsagentur, die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Gender in ihre Aktivitäten; zum Beispiel in ihre Projekte zu wirtschaftlicher und sozialer Teilhabe, Biodiversitätsmanagement und Reform des Forstsektors. Zu klären bleibt jedoch, was eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik jenseits von Gender-Mainstreaming für die Region bedeuten könnte. Wie der Analyst Philipp Rotmann schreibt, lässt sich ein intersektional-feministischer Ansatz „nicht erreichen, indem man einfach die üblichen „Frauenprojekte“ in jeder Botschaft verdoppelt.“ Auch wenn die folgenden Abschnitte verschiedene Ideen für eine feministischere Gestaltung der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik gegenüber dem Südkaukasus liefern, sollten die Leser*innen die Vorschläge nicht als erschöpfend verstehen – feministische Außenpolitik ist ein weit gefasster Begriff und kann daher unterschiedliche Formen annehmen.
Eine deutsche feministische Außen- und Entwicklungspolitik für den Südkaukasus
Um ihre Außen- und Entwicklungspolitik feministischer zu gestalten, sollte die Bundesregierung sich erstens stärker mit den Zivilgesellschaften der Südkaukasusländer austauschen.
Ein solcher Ansatz könnte zu einer erhöhten empathischen Reflexivität und Rechenschaftspflicht beitragen, da politische Positionen und Aktivitäten stärker von den Beiträgen der Partnergesellschaften und nicht in erster Linie der deutschen oder Partnerregierungen beeinflusst würden. Auch Außenministerin Annalena Baerbock ist überzeugt, „dass eine feministische Außenpolitik nur funktionieren kann, wenn wir vor allen Dingen zuhören; dass wir nicht kommen, um zu predigen und zu erzählen, was wir immer schon wussten und glaubten, sondern dass wir bereit sind für Neues und bereit sind, von anderen zu lernen.“ Regelmäßige und institutionalisierte Konsultationen der deutschen Botschafter*innen in Baku, Tiflis und Eriwan mit den Zivilgesellschaften vor Ort würden eine noch bessere Verbindung der deutschen Diplomatie und Außenpolitik mit denjenigen gewährleisten, die freiheitlich-demokratische Werte teilen und ihre wichtigsten gesellschaftlichen Verbündeten sind. Als positiver Nebeneffekt könnte dies auch zu einem verbesserten Image Deutschlands und seiner Diplomatie beitragen, die nicht immer als die zugänglichste und sichtbarste wahrgenommen wird.
Der Aufruf des Auswärtigen Amtes für zivilgesellschaftliche Projekte in den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Russland im Jahr 2023 scheint ein Beispiel für ein beginnendes Mainstreaming feministischer Außenpolitik über Abteilungsgrenzen hinweg zu sein, denn „Frauenförderung und -vernetzung“ und „Feministische Außenpolitik: vulnerable Gruppen, ländlicher Raum“ waren als klare Förderprioritäten ausgewiesen. Die Bereitstellung von Finanzmitteln allein reicht jedoch nicht aus, wenn Deutschland einen feministischen Ansatz verfolgen möchte, wie im Folgenden am Beispiel Georgiens gezeigt wird.
Für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wäre eine stärkere Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteur*innen der Partnerländer an der Projektkonzeption und -durchführung von enormer Bedeutung. So sollte das BMZ neben regelmäßigen Treffen im Rahmen von Monitoringaktivitäten vor jeder hochrangigen bilateralen Regierungskonsultation oder -verhandlung zunächst Konsultationen mit diversen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen Armeniens, Aserbaidschans und Georgiens abhalten.
Zweitens sollte die Bundesregierung in den ethnischen und territorialen Konflikten in der Region ein aktiveres Friedensengagement zeigen.
Bereits jetzt beteiligt sie sich finanziell an der Friedensförderung; unter anderem über zivilgesellschaftliche Organisationen, die Dialogprojekten durchführen, wie die Berghof Foundation oder die politischen Stiftungen. Politische Investitionen waren jedoch weniger sichtbar. Die derzeitige regionale Unsicherheit, die durch Russlands umfassenden Einmarsch in die Ukraine verursacht wird, bietet wichtige Chancen für Engagement über die Konfliktlinien hinweg, die von Deutschland unterstützt werden sollten, wie ebenfalls weiter unten dargestellt wird.
Georgien: Dem „Shrinking Space“ für die Zivilgesellschaft entgegenwirken, Frauen- und LGBTQI-Rechte unterstützen, Frieden fördern
In Georgien, das im Juni 2022 eine „europäische Perspektive“ erhalten hat und künftig EU-Beitrittskandidat werden könnte, könnte sich die deutsche feministische Außen- und Entwicklungszusammenarbeit auf folgende drei Themen konzentrieren: erstens, die Sicherstellung der freien und unabhängigen Arbeit der Zivilgesellschaft und das Engagement gegen den „Shrinking Space“, der durch die aktuelle „Orbanisierung“ des Landes verursacht wird; zweitens, die Unterstützung der Rechte von Frauen und LGBTQI; und drittens, mehr Engagement für Friedensförderung. Natürlich sind auch andere bereits laufende bilaterale Aktivitäten, etwa in den Bereichen Klimawandel oder Mobilität, aus feministischer Sicht wertvoll und sollten fortgesetzt werden.
Wie oben erwähnt, ist die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft entscheidend, um Rechenschaftspflicht zu gewährleisten und Außen- und Entwicklungspolitik auf feministische Weise zu betreiben. Allerdings erlebt Georgien seit einigen Jahren zunehmende Angriffe der Regierungspartei und mit ihr verbundener Akteure auf die Zivilgesellschaft, darunter Gleichsetzungsversuche der Zivilgesellschaft mit der ungeliebten Opposition bis hin zu Dämonisierung ihrer Arbeit. Im Oktober 2018 erklärte der damalige Parlamentssprecher Irakli Kobachidse beispielsweise, dass „bestimmte Personen, die manche zivilgesellschaftliche Organisationen leiten, aufgrund ihrer Politisierung und politischen Voreingenommenheit der Idee [der Zivilgesellschaft] selbst schaden“. Im April 2022 behauptete Kobachidse, jetzt Vorsitzender der regierenden Partei Georgischer Traum (GT), dass zivilgesellschaftliche Organisationen, die die fehlende Unabhängigkeit der Justiz kritisieren, „lediglich das Ziel haben, die Kontrolle der VNB[2] über die Gerichte – zumindest teilweise – wiederherzustellen. " Im September 2022 intensivierten Kobachidse und Mamuka Mdinaradse, der Generalsekretär des GT, ihre Angriffe auf zivilgesellschaftliche Organisationen und säten Zweifel an deren Finanzierung und Zielen. Im Januar 2023 schlugen dann Abgeordnete, die die Regierungspartei offiziell verlassen haben, ihr aber weiterhin verbunden bleiben, ein georgisches „Gesetz über ausländische Agenten“ vor. Die Regierungspartei hat bereits verkündet, dass sie einen solchen Gesetzesvorschlag annehmen wird, was darauf hindeutet, dass sie nun von der Rhetorik zur Tat übergeht und härter gegen ihre lautesten Kritiker vorgehen wird. Es ist unzweifelhaft, dass diese Entwicklungen dem Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft, der demokratischen politischen Kultur und der EU-Integration Georgiens schaden.
Die deutsche feministische Außen- und Entwicklungspolitik sollte in diesem entscheidenden Moment nicht nur Mittel für die Zivilgesellschaft bereitstellen, sondern ihr auch politische Rückendeckung geben. Die Bundesregierung sollte die aktuellen Bestrebungen, den Raum für die Zivilgesellschaft Georgiens einzuschränken, klar verurteilen und der georgischen Regierung mitteilen, dass eine enge Partnerschaft mit der Regierung und umfassende Unterstützung unter solchen Bedingungen nicht möglich sind.
Zweitens sollte Deutschland im Rahmen der feministischen Außen- und Entwicklungspolitik die Gleichstellung der Geschlechter, einschließlich der Rechte von Frauen und LGBTQI, hoch auf die Agenda der bilateralen Politik und Zusammenarbeit setzen. Obwohl Georgien, wie oben erwähnt, ein Vorreiter für Frauenrechte in der Region ist, sind geplante Gesetzesänderungen zum Straftatbestand der Vergewaltigung, genauer gesagt, der Einführung des Widerspruchssprinzips („Nein heißt nein“), ins Stocken geraten. Dazu kommt, dass das jüngste staatliche Konzept zur Gleichstellung der Geschlechter eine enge Definition von Frauenrechten verwendet und es vermeidet, sexuelle und reproduktive Gesundheit oder Geschlechtsidentität zu erwähnen. Während die georgische Gesetzgebung zum Schutz der LGBTQI-Rechte relativ fortschrittlich ist, hinkt die Umsetzung hinterher. Laut Equality Movement, einer der führenden LGBTQI-Organisationen Georgiens, „bietet der Staat dem gefährdeten Teil der LGBTQI-Gemeinschaft immer noch keine angemessene Versorgung, Unterstützung und Schutz, und dies manifestiert sich in sozialer Verwundbarkeit, Armut und vielen Formen der Ungleichbehandlung.“ Darüber hinaus ist das Recht auf friedliche Versammlung für die LGBTQI-Gemeinschaft Georgiens nicht umfassend gewährleistet. Insgesamt scheint sich die derzeitige Politik Georgiens in Bezug auf Gender in die falsche Richtung zu bewegen: In Georgiens neuer Menschenrechtsstrategie wurde „die Erwähnung des Schutzes der Rechte queerer Menschen gestrichen.“
Die feministische Außen- und Entwicklungspolitik Deutschlands sollte aktiv zum Schutz der Rechte von Frauen und LGBTQI in Georgien beitragen, z. B. sich für die Aufnahme von LGBTQI-Rechtsangelegenheiten zumindest in den Folgeaktionsplan für Menschenrechte einsetzen und auf LGBTQI-Kooperationsprojekte mit staatlichen Institutionen in Bereichen wie Gesundheitsfürsorge, Bildung und soziale Dienste hinarbeiten – nach einer Bedarfsanalyse, die Betroffene einbezieht. Darüber hinaus sollte Deutschland eine führende Rolle im diplomatischen Engagement einnehmen, um die Rechte von Frauen und LGBTQI in Georgien, einschließlich der Versammlungsfreiheit, zu gewährleisten.
Schließlich sollte eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik gegenüber Georgien eine aktivere Rolle in der Friedensförderung und Konfliktprävention einnehmen. Deutschlands bisheriges Engagement auf diesem Gebiet war begrenzt. Während Deutschland einer der Hauptgeber des georgischen Friedensfonds ist, steht die Friedensförderung nicht im Mittelpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit im Land. Auch hier sollte die Bundesregierung lokale Feministinnen und Friedensaktivistinnen konsultieren, auch aus Abchasien und Südossetien, um ihre Bedürfnisse und Prioritäten zu verstehen und zu adressieren.
Darüber hinaus sollte das Auswärtige Amt in der EU-Politik gegenüber den Konflikten für das Prinzip der menschlichen Sicherheit werben. Beispielsweise kritisierte die georgische zivilgesellschaftliche Organisation Social Justice Centre die jüngste Entscheidung der EU, russische Pässe, die in den besetzten Gebieten Georgiens ausgestellt wurden, nicht anzuerkennen, indem sie argumentierte, dass die Nichtanerkennung zu einer weiteren Isolation der Einwohner*innen von Abchasien und Südossetien führen würde. Wenn die Bundesregierung künftig solchen Stimmen folgt, könnte sie die Idee der Deisolation und des Austauschs zwischen den beiden Regionen mit Georgien und dem Westen in einer Zeit fördern, in der Russland für die Einwohner*innen Abchasiens und Südossetiens zu einer immer schlechteren Option geworden ist. Um ein konkretes Beispiel zu geben:
Deutschland könnte im Rahmen eines aktiven Friedensengagements die alte Idee wirklich statusneutraler Reisedokumente für Bewohner der besetzten Gebiete aufgreifen. So könnte die Bundesregierung durch entwicklungspolitische und politisch-diplomatische Aktivitäten ihren Beitrag zu Frieden und Konfliktprävention in Georgien im Einklang mit dem feministischen Wert des aktiven Friedensengagements erhöhen.
Armenien: Zivilgesellschaft in die bilaterale Zusammenarbeit einbinden, Rechte von Frauen und LGBTQI unterstützen, Frieden fördern
In Armenien bietet die Erarbeitung des neuen bilateralen Portfolios und einer Länderstrategie für die deutsch-armenische Entwicklungszusammenarbeit eine einzigartige Chance, die Zusammenarbeit feministisch neuaufzustellen. Wie die OECD feststellt, sind zivilgesellschaftliche Organisationen „wichtige Akteure des Wandels“ für die Entwicklungszusammenarbeit.
Eine breite Beteiligung der armenischen Zivilgesellschaft an der Ausarbeitung der neuen bilateralen Agenda zu ermöglichen würde die empathische Reflexivität und Rechenschaftspflicht der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik stärken. Durch die Einbeziehung verschiedener zivilgesellschaftlicher Gruppen auf der Grundlage des Intersektionalitätsprinzips würde sichergestellt, dass die neue Agenda den Bedürfnissen im Land angemessen Rechnung trägt.
Zweitens sollte sich die deutsche Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit für den Schutz der Rechte von Frauen und LGBTQI in Armenien einsetzen. Leider gibt es hier noch viel Luft nach oben – nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Gesetzgebung. Laut Human Rights Watch „schützt das armenische Gesetz die Überlebenden häuslicher Gewalt nicht wirksam.“ Als die damalige armenische Regierung 2017 auf Druck der EU ein Gesetz gegen häusliche Gewalt verabschiedete, verankerte sie darin „traditionelle Werte und die Wiederherstellung des Familienfriedens,“ was Frauenrechtlerinnen als Verstoß gegen internationale Standards kritisierten. Armenien hat die Istanbul-Konvention des Europarates gegen Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt im Jahr 2018 trotz Gegenmobilisierung der Kirche und der politischen Rechten unterzeichnet, aber bislang nicht ratifiziert. Sensibilität für den Schutz und die soziale Unterstützung für Überlebende ist innerhalb der Strafverfolgungsbehörden nach wie vor gering.
Darüber hinaus gibt es laut Pink Armenia und der Eastern European Coalition for LGBT+ Equality im Land keine „wirksamen Rechtsmittel, um Rechtsstreitigkeiten aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität zu führen und Schutz vor Diskriminierung zu erhalten.“ Die letzten Jahre waren für die armenische Regierung aufgrund des Krieges und der anhaltenden Aggression Aserbaidschans politisch herausfordernd, was sicherlich zu dem Wunsch beigetragen hat, zusätzliche innenpolitische Kontroversen zu vermeiden.
Umso wichtiger wäre daher eine kontextsensible internationale Unterstützung von Frauen- und LGBTQI-Rechten in Armenien. Diese sollte zu einem wesentlichen Bestandteil der deutschen feministischen Außen- und Entwicklungszusammenarbeitspolitik gegenüber Armenien werden.
Schließlich sollte die deutsche feministische Außen- und Entwicklungspolitik stärkeres Engagement für den Frieden zwischen Armenien und Aserbaidschan zeigen. Im Vergleich zu Aserbaidschan verfügt Armenien über weniger militärische Macht und Ressourcen; die armenische Regierung ist sich dessen spätestens seit dem Krieg 2020 bewusst. Seitdem hat die Paschinjan-Regierung trotz des intensiven Drucks Aserbaidschans und der armenischen Opposition eine pragmatische und realistische Herangehensweise an den armenisch-aserbaidschanischen und Berg-Karabach-Konflikt sowie den armenisch-türkischen Normalisierungsprozess eingenommen. Der Normalisierungsprozess hat bereits einige positive Ergebnisse gezeigt, gerade im Kontext des schweren Erdbebens in der Türkei und Syrien; er könnte aber von internationaler, feministischer Unterstützung profitieren. Darüber hinaus hat Premierminister Nikol Paschinjan Bereitschaft gezeigt, unbequeme Wahrheiten über den Status von Berg-Karabach und die Positionierung der internationalen Gemeinschaft auszusprechen. Dennoch hat Deutschland während des Angriffs Aserbaidschans auf Armenien im September 2022 und der Blockade des Lachin-Korridors eine klare Positionierung vermieden, was zu Enttäuschungen in Armenien geführt hat und indirekt zur Zwangsdiplomatie Aserbaidschans beiträgt. Eine feministische Außenpolitik würde einen anderen Weg gehen: Die Bundesregierung sollte eigenständig und als Teil der Europäischen Union die Kompromissbereitschaft Armeniens stärker unterstützen und gleichzeitig auf den Schutz der Rechte der Bewohner*innen von Berg-Karabach pochen. Eine solche Unterstützung würde nicht nur humanitäre Hilfe erfordern, wie sie Deutschland bereits leistet, sondern auch eine klare politische Positionierung und Kommunikation sowie eine gezieltere Politik gegenüber Aserbaidschan, wie im nächsten Abschnitt erörtert wird.
Aserbaidschan: Von Wirtschaftspolitik hin zu Menschenrechten und Frieden; Unterstützung von Menschenrechtsverteidiger*innen und der Zivilgesellschaft
Wirtschaftliche Interessen sind für die Beziehungen Deutschlands zu Aserbaidschan von hoher Relevanz. Aserbaidschan bleibt Deutschlands größter Wirtschaftspartner im Südkaukasus und gehört zu den Top 10 der deutschen Erdöllieferanten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Deutschland wirtschaftlich von Aserbaidschan abhängig ist. Aserbaidschan liegt bei den deutschen Exportdestinationen auf Platz 95 und bei den Importen auf Platz 76, was das Land zu einem relativ kleinen Partner Deutschlands macht. Aserbaidschans größter Handelspartner in der Europäischen Union ist Italien, da der Südliche Gaskorridor im Südosten Italiens endet.
Nach Russlands umfassender Invasion der Ukraine hat Aserbaidschan als energieexportierendes Land und als Teil des sogenannten mittleren Korridors für den Warentransit, der die Europäische Union mit China verbindet, wirtschaftliches und politisches Gewicht für Deutschland und die Europäische Union gewonnen. Das offensichtlichste Zeichen der zunehmenden Rolle Aserbaidschans ist die im Juli 2022 unterzeichnete Absichtserklärung zwischen der EU und Aserbaidschan über eine strategische Partnerschaft im Energiebereich, die vorsieht, die Kapazität des Südlichen Gaskorridors bis 2027 zu verdoppeln. Neue Liefermöglichkeiten für aserbaidschanisches Gas haben sich mit der Eröffnung der Griechenland-Bulgarien-Verbindungspipeline im Oktober 2022 ergeben. Es bleibt jedoch unklar, ob Aserbaidschan in der Lage sein wird, die vorgeschlagene Exportsteigerung aufzubringen und aus welchen Quellen. Abgesehen von Gas unterzeichneten Aserbaidschan, Georgien, Rumänien und Ungarn im Dezember 2022 eine Vereinbarung zur Entwicklung eines Unterseekabels für die Stromübertragung vom Südkaukasus in die EU, wozu Brüssel Finanzmittel bereitstellt.
Menschenrechtsaktiviste*innen und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft aus Aserbaidschan, Armenien und der EU haben den wirtschaftsfokussierten Ansatz der EU kritisiert. Auch wenn Ursula von der Leyen bei der Unterzeichnung des Gasmemorandums erwähnte, dass „eine stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft und freie und unabhängige Medien“ notwendig seien, um „die richtigen Bedingungen für das Vertrauen der Investoren zu schaffen,“ nahm sie sich nicht die Zeit für ein Treffen mit der Zivilgesellschaft, was für Enttäuschung sorgte. Aus feministischer Sicht markiert der „Energy-First-Ansatz“ der EU eine verpasste Chance und unterstützt faktisch die autoritäre Innen- und Außenpolitik Aserbaidschans. Der Südliche Gaskorridor ist Aserbaidschans einzige Gasexportroute, und die Wirtschaft des Landes ist stark von diesen Exporten abhängig. Daher hat Aserbaidschan ein großes Interesse an einer produktiven Beziehung zur Europäischen Union. Die EU hätte diesen Hebel nutzen und die Vertiefung der Beziehungen von Verbesserungen im Bereich der Menschenrechte in Aserbaidschan abhängig machen sollen, etwa der Freilassung politischer Gefangener oder Verbesserungen bei der Medien- und Vereinigungsfreiheit. Darüber hinaus hätte sie signalisieren müssen, dass sie nicht bereit ist, die Beziehungen zu vertiefen, solange Aserbaidschan eine Politik des Zwangs gegenüber Armenien und im Konflikt um Bergkarabach verfolgt.
Deutschland sollte im Rahmen seiner neuen feministischen Außenpolitik auf einen solchen menschenrechts- und friedensorientierten EU-Ansatz gegenüber Aserbaidschan drängen. Darüber hinaus sollte die Bundesregierung der aserbaidschanischen Regierung mitteilen, dass sie jede weitere militärische Aggression gegen Armenien oder Bergkarabach verurteilt und sich innerhalb der Europäischen Union für Konsequenzen einsetzen wird. Außerdem sollte die Bundesregierung bei der aserbaidschanischen Regierung für die Einsicht werben, dass Baku der Bevölkerung von Bergkarabach positive Angebote unterbreiten muss, wenn nachhaltiger Frieden hergestellt werden soll.
Schließlich sollte die deutsche feministische Außen- und Entwicklungspolitik Menschenrechtsverteidiger*innen, Friedensaktivist*innen und die unabhängige Zivilgesellschaft in Aserbaidschan unterstützen, die alle verschiedenen physischen, politischen und rechtlichen Bedrohungen ausgesetzt sind. Wie bereits erwähnt, unterstützt das Auswärtige Amt aserbaidschanische zivilgesellschaftliche Akteur*innen mit Zuwendungen; in der Praxis ist diese Möglichkeit durch das restriktive rechtliche Umfeld in Aserbaidschan jedoch stark eingeschränkt. Auch beobachten deutsche Diplomat*innen regelmäßig Gerichtsprozesse gegen politische Gefangene und äußern Bedenken bezüglich Menschenrechtsfragen gegenüber den aserbaidschanischen Behörden. Angesichts seiner neuen feministischen Außenpolitik sollte Deutschland die Verbesserung der Menschenrechtslage in seinen Beziehungen zu Aserbaidschan stärker priorisieren – hinter verschlossenen Türen, aber auch in der Öffentlichkeit, das heißt durch sichtbare und gut kommunizierte Unterstützung von Aktivist*innen. Die Priorisierung der Menschenrechte sollte auch eine aufmerksamere deutsche Asylpolitik beinhalten, um den Schutz politisch aktiver Aserbaidschaner*innen in Deutschland zu gewährleisten und weitere Verhaftungen von Aktivist*innen nach ihrer Abschiebung aus Deutschland zu verhindern.
Abschließend lässt sich sagen, dass im Südkaukasus viele Möglichkeiten für eine aktive Umsetzung der feministischen deutschen Außen- und Entwicklungspolitik bestehen. Basierend auf den feministischen Werten 1) Intersektionalität, 2) empathische Reflexivität, 3) substantielle Repräsentation und Partizipation, 4) Rechenschaftspflicht und 5) aktives Friedensengagement sollte die Bundesregierung ihre politische Unterstützung für die Zivilgesellschaften und Menschenrechte in der Region verstärken, Feedback zu ihrer Politik von diversen lokalen Akteur*innen aktiv einholen, eine echte Verbündete für die Gleichstellung der Geschlechter und LGBTQI-Rechte werden und ihr politisches und wirtschaftliches Gewicht für die Förderung nachhaltigen Friedens in den Ring werfen. Erfolg wird sich nicht über Nacht einstellen, aber Feminist*innen wissen, dass feministische Ziele immer hart erkämpft werden mussten.
[1] Diese Daten wurden in direkter Kommunikation mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erhoben. Mittel, die für die Zusammenarbeit durch die politischen Stiftungen, Kirchen oder andere nichtstaatliche Akteure bereitgestellt werden, sind nicht enthalten. Ebenfalls nicht enthalten sind Mittel für die bilaterale deutsche Förderung von Projekten mit einem breiteren Fokus auf die Region der Östlichen Partnerschaft.
[2] Das Akronym „VNB“ bezieht sich auf die Vereinte Nationalbewegung, die von Micheil Saakaschwili gegründete Partei, die zwischen 2004 und 2012 an der Macht war.
Der Artikel wurde zunächst in englischer Sprache auf ge.boell.org als Teil unseres Dossiers „Feministische Außenpolitik und der Südkaukasus“ veröffentlicht.