Urheberrechtsdebatte: Verhärtete Fronten

Urheberrecht: Komplexes Thema mit verhärteten Fronten. Wer löst den Knoten? Illustration: Giulia Forsythe Lizenz: CC-BY-NC-SA Original: Flickr

20. April 2012
Andrea Mesch
Das Urheberrecht und dessen Reform werden gerade heftig diskutiert. Dabei stehen sich,  oberflächlich betrachtet, Urheber, die mit ihrem Werk ihren Lebensunterhalt sichern wollen und Konsumenten, die im Internet diese Lebensgrundlage zerstören, gegenüber. Dieses Schwarz-Weiß-Denken kann jedoch den Konflikt nicht ausreichend beschreiben. Und welche Rolle spielen die Verwerter? Ein Überblick zur Debatte.

Die Grundlagen

Marcel Weiß und Sascha Lobo beschäftigen sich schon lange mit dem Urheberrecht. Erst im Februar gab es auf Google+ eine viele gelesene Auseinandersetzung zwischen diesen beiden, sekundiert von 200 Kommentatorinnen und Kommentatoren. Marcel Weiß kommentierte lakonisch den sehr urheberrechtsfreundlichen Spiegel Online Artikel von Konrad Lischka. Daraufhin warf  Lobo Weiß eine propagandistische Ideologie vor und schon entbrannte ein schöner Disput, der alle Knackpunkte des Urheberrechtsstreits wunderbar veranschaulichte und bei aller Härte immer konstruktiv blieb. Hier diskutierten Netzmenschen untereinander, die sich auf einem gemeinsamen digitalen Grundverständnis bewegen.

Die Aufwiegler

Dieses gemeinsame Grundverständnis ist nicht immer vorhanden. Nur wenige Wochen später schienen nach einem wütenden Radiointerview mit Sänger und Schriftsteller Sven Regener die Fronten vollends zu verhärten. Regener ist offensichtlich erbost über den angeblichen Umgang der Gesellschaft mit ihren Künstlern, zum eigentlichen Kern des Problems kommt er dabei aber nicht. So geht er mit keinem Wort darauf ein, dass die Musikindustrie es verpasst hat, ihr Geschäftsmodell an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Die Reaktionen im Netz bewegten sich zwischen Spott, wohlwollender Kritik und nur sehr vereinzelt auch Zustimmung.

Anders als bei dem öffentlich ausgetragenen Streit zwischen Marcel Weiß und Sascha Lobo stehen hier nun auf der einen Seite die so genannte “Netzgemeinde” - grob vereinfacht, jene Generation, die mit Filesharing aufgewachsen ist - und auf der anderen Seite diejenigen, die noch in der Logik einer analogen Welt denken und handeln, die sich bedroht fühlen sowohl von der Reichweite als auch der Geschwindigkeit der Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt. Und so unterstellen Letztere den so genannten Digital Natives, sie seien getrieben von einer verantwortungslosen Selbstbedienungsmentalität, die den Kreativen keinerlei Wertschätzung mehr entgegen bringe und somit zur Verelendung künstlerischen Schaffens beitrage. Im Gegenzug hagelt es nichts als hämische Reaktionen von Seiten der Netzbewohner, die sich nun ihrerseits ob dieser haltlosen Vorwürfe schlecht behandelt und diskriminiert fühlen. Beide Seiten haben sich, so scheint es, in Schützengräben verbarrikadiert - und es wird scharf geschossen.

Der Stellungskampf

So wiederholte sich der gleiche Ablauf, den das Regener-Interview ausgelöst hatte, nach der Veröffentlichung des sehr emotional geschriebenen offenen Briefs von 51 Tatortautorinnen und -autoren an die Grünen, die Piraten, die Linke und die “Netzgemeinde”. Wieder wird deutlich, dass die Autoren befürchten, durch die Reform des Urheberrechts ihrer Lebensgrundlage beraubt zu werden. Die Gegenposition ließ nicht lange auf sich warten. Ironischerweise stilistisch beeindruckender als die Tatortautorinnen und -autoren konterten 51 Hackern aus dem Umfeld des Chaos Computer Clubs und machten diese darauf aufmerksam, dass der Feind nicht der User im Netz, sondern die Verwertungsindustrie sei, die es nicht nur versäumt habe, moderne Geschäftsmodelle zu entwickeln, sondern auch mit Buy-Out-Verträgen die Urheber ausbeute. Als von Rundfunkgebühren finanziert sollten sich die Tatortautoren doch mit Modellen kollektiver Rechteverwertung und dem Modell einer Kulturflatrate doch eigentlich auskennen, wurde spöttisch bemerkt.

Die Kampagne

Nur kurze Zeit später erschien die Kampagne “Mein Kopf gehört mir” in der Printausgabe des Handelsblatts. Ein paar Wochen zuvor schon konnte das Handelsblatt mit der Kampfansage des CDU-Politikers Ansgar Heveling viel Aufmerksamkeit erringen - und scheint nun auf den Geschmack gekommen zu sein. Dies leitete den vorläufigen Höhepunkt der Auseinandersetzung ein. Der Artikel des Handelsblatts richtet sich nun nicht mehr an eine amorphe “Netzgemeinde”, sondern stellvertretend gerät für diese nun die Piratenpartei ins Visier von 100 Künstlern, Politikern, Medienschaffenden und Wirtschaftsgrößen.

Die angeblich drohende “Enteignung” der Kreativen durch die Piratenpartei bezeichnet  Marcel Weiß als eine Anhäufung simpelster Strohmann-Argumente. Was die Piratenpartei wirklich zum Urheberrecht sagt, kann man hier nachlesen - und Dirk von Gehlen fragt sich zu Recht, warum genau das von den Kreativen eigentlich noch keiner getan hat. Das Blog Metronaut weist darauf hin, dass viele der 100 Kreativen im Handelsblatt wohl eher der Verwertungslobby zuzuordnen sind. Aber diese versteckte Vermischung von Verwertern und Schöpfern scheint ja offensichtlich gewünscht.

Aus gut informierten Kreisen hört man, dass die Kampagne des Handelsblatts nur der Auftakt einer konzertierten Aktion einer Gruppe von Verlagsgesellschaften ist, die beginnt, mit harten Bandagen ihre Geschäftsmodelle und wirtschaftlichen Interessen zu verteidigen. Dabei geht es um nichts als die Sicherung traditioneller Strukturen, mit denen sich Jahre lang viel Geld verdienen ließ. Worum es leider gar nicht geht, sind die Interessen von Urheberinnen und Urhebern. Umso mehr ist es an der Zeit, dass sich Konsumierende, Prosumenten, Künstler und Autorinnen zusammentun, anstatt sich von Verwertungsgesellschaften gegeneinander ausspielen zu lassen.

Der Brückenschlag

Eine dringend notwendige Korrektur der Gefechtslinien wurde dann mit einer zynischen Polemik des Sprachwissenschaftlers Anatol Stefanowitsch auf SciLogs eingeleitet. In direkter Ansprache an die - offene Briefe schreibenden “Leibeigenen der Contentindustrie” - verfasste er einen sprachmächtigen Weckruf. Er richtet sich an diejenigen unter den Kreativen, die sich im Netz der Verwertungsindustrie und deren Angstdiskurs verfangen haben. Sein Angriff richtet sich mitnichten gegen die Kreativen selbst, wird aber von vielen so missverstanden.

Aber gewirkt hat der Weckruf offensichtlich, denn plötzlich verließen einige die Schützengräben und schlugen eine Brücke zwischen Usern im Netz und den Kreativen. Es äußerten sich vermehrt Leute, die im Netz zuhause sind, aber gleichzeitig auch als Urheber ein Interesse daran haben, mit ihren Leistungen Geld zu verdienen.

Allen voran die wohl wirkmächtigste Stimme im Netz, nämlich Sascha Lobo in seiner Spiegel Online Kolumne, aber auch Johnny Haeusler auf Spreeblick oder Oliver Nagel im Internetportal CARTA.

Endlich ist eine Situation eingetreten, in der Kreative und “Digitalisierte” miteinander statt übereinander reden. Was nicht heißt, dass nicht mehr gestritten wird, aber nun wird lösungsorientierter gedacht. Und Lösungsansätze gibt es viele. Marcel Weiß hat auf neunetz.com schon unzählige Fakten und Vorschläge zusammengetragen.

Gestritten wird darüber, ob zum Beispiel eine Kulturflatrate ein gangbarer Weg wäre. Für sie macht sich Dirk von Gehlen stark, Marcel Weiß hingegen hält dieses Modell für zu bürokratisch und überflüssig. Überflüssig deshalb, weil viele Studien schon belegen, dass die Gesamtumsätze der Kreativbranchen trotz Filesharing steigen.

In eine ähnliche Richtung argumentiert auch sehr klug Malte Welding. Das Problem der Kreativen, die von ihrem Schaffen nicht leben können, ist nicht ein zu schwaches Urheberrecht, sondern eine zu schwache Aufmerksamkeit. Oder wovon lebt eigentlich Lady Gaga?

Haeusler, Lobo und Nagel zeigen, dass Urheber zu sein und dennoch für ein zeitgemäßes Urheberrecht zu plädieren, sich nicht ausschließen. Diese Ansätze der Debatte zeigen in die richtige Richtung, weil sie nicht Repressionen und Feindbilder in den Mittelpunkt stellen, sondern den Menschen in der digitalen Welt.

Dennoch ist Vorsicht geboten: Denn auch wenn ACTA und SOPA durch Großdemonstrationen und politische Aktionen schwer angeschlagen und möglicherweise sogar ganz vom Tisch sind, sind neue Abkommen wie CISPA in den USA schon auf dem Weg. Und der Europäische Gerichtshof hat geurteilt, dass die Vorratsdatenspeicherung auch gegen Filesharer eingesetzt werden darf. Die Verwertungsindustrie wird alles daran setzen, ihre Marktposition zu behalten und wenn möglich auszubauen. Es sieht bislang nicht so aus, als würde die Verwertungsindustrie sich auch nur einen Millimeter bewegen. Was dabei auf dem Spiel steht, ist viel mehr als entgangene Honorare von Urhebern oder der schwammige Begriff der Freiheit im Internet: Die bisher von Industrie und Lobbyverbänden eingebrachten Modelle zur (privaten) Durchsetzung des Urheberrechts sind nichts Geringeres als ein Frontalangriff auf Bürgerrechte und Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger. Die aber gilt es zu verteidigen.

Das gelingt am besten mit kulturpositiven Gegenpositionen. Deshalb unbedingt noch der Hinweis auf die Informationsplattform iRights, und die Aktivisten von netzpolitik.org, die unermüdlich Aufklärungsarbeit leisten und auf den Querbürster Christoph Kappes, der immer wieder gesellschaftliche Strömungen und tagespolitische Erregungen hinterfragt, aber dabei niemals das Wohl der Menschen als Motor für demokratische Entwicklungen aus dem Blick verliert.

Kai Biermann hat sich sehr ähnliche Gedanken gemacht und sie hier zusammengetragen.

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Die Autorin Andrea Mesch ist Mitarbeiterin der Heinrich-Böll-Stiftung und beschäftigt sich mit Netzpolitik- und Netzkultur.

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Mehr Material zum Thema:

WDR 5 Radio - Politikum, 5. Mai 2012: Silke Helfrich fordert ein Ende exklusiver Nutzungsrechte

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