Grenzen in Afrika als Last und Herausforderung

Das eigentliche Problem der modernen Grenzen liegt keineswegs nur in der Missachtung ethnischer Einheiten als vielmehr in dem damit verbundenen Staatsmodell, das die Europäer im Lauf ihrer frühen Neuzeit entwickelt und ab dem späten 19. Jahrhundert flächendeckend in Afrika einführten. Diese Staatsform ist in Afrika nur in den seltensten Fällen verwirklicht worden, am ehesten in Süd- und Nordafrika. Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen zu und aus Afrika.

Die linienförmige Grenze ist für die heutige Staatenwelt selbstverständlich, denn sie markiert, ein Staat endet und ein anderer beginnt. Sie ist darum eng verbunden mit der Vorstellung vom Territorialstaat. Dieser bestimmt sich über sein Territorium, wovon ausgehend alle anderen Zuständigkeiten ableitbar sind.

In Afrika wurde diese Form von Staat in der Kolonialzeit eingeführt, es handelte sich um eine Neuheit, da die weitaus meisten vorkolonialen afrikanischen Staaten als Personenverbandsstaaten bezeichnet werden können. Der Personenverbandsstaat zeichnet sich im Gegensatz zum Territorialstaat dadurch aus, dass eine Menschengruppe und ihre politische Organisation primär den Staat bestimmt, während es von untergeordneter Bedeutung ist, welches Territorium sie besiedelt. Aus diesem Grund gab es im vorkolonialen Afrika das Phänomen wandernder Königreiche, die sich ein neues Siedlungsgebiet suchten, aber als Personenverband ihre Kontinuität bewahrten.

Willkür bei der Grenzziehung

Die Grenzen der nachkolonialen Staatenwelt Afrikas wurden weitgehend unverändert aus der Zeit der europäischen Kolonialherrschaft übernommen, was nichts anderes besagt, als dass die Europäer die heute noch gültigen Grenzen in Afrika zogen. Die Willkürlichkeit dieser Grenzziehungen ist bekannt, da es den Europäern primär um ihre eigenen Interessen ging und die Grenzen häufig das Ergebnis politischer Kompromisse waren, die in Verhandlungen gefunden wurden. In der Literatur wird oft als das grundlegende Problem nachkolonialer Staatlichkeit in Afrika die „Künstlichkeit“ der Grenzen genannt, als ob Grenzen nicht immer und überall künstlich wären.

Perspectives Afrika: In dieser englischsprachigen Publikationsreihe wollen wir Fachleuten aus Afrika eine Plattform bieten, ihre Ansicht zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen ihrer Regionen zu veröffentlichen. Perspectives Africa legt dabei den Fokus auf Standorte im Süden, Osten und Westen des Kontinentes an denen die Heinrich-Böll-Stiftung mit Regionalbüros vertreten ist.

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Sicherlich wurden in etlichen Fällen vorkoloniale politische Einheiten gespalten, fanden Ethnien sich auf beiden Seiten einer modernen Staatsgrenze wieder. Dies war insbesondere dann der Fall, wenn die Europäer im Verlauf der Aufteilung Flüsse, deren Täler eher Orte der Kommunikation als der Trennung sind, zu Grenzen machten, wie den Kunene, den Rovuma oder den Mittellauf des Sambesi. An solchen wie an anderen Grenzen spielte sich, wie in Europa oder anderswo, bald ein kleiner Grenzverkehr ein, der ungeachtet der getrennten staatlichen Sphären dort eine ganz andere Lebensrealität der Kommunikation über Grenzen (wieder) entstehen ließ. Problematischer war die Situation in den ariden Zonen Afrikas für Nomaden, deren transhumante Wanderungszyklen durch moderne Staatsgrenzen durchbrochen, zumindest aber behindert wurden.

Cover "Dahin, wo der Pfeffer wächst"

Dahin, wo der Pfeffer wächst: Deutsche Rückkehrpolitik im Praxistest

Die deutsche Migrationspolitik setzt auf Rückführungen: Politiker profilieren sich mit Versprechen, Gesetze zu verschärfen, tatkräftig abzuschieben und so für «Ordnung» zu sorgen. Doch wer verlangt, man möge abgelehnte Asylbewerber dahin schicken, «wo der Pfeffer wächst», macht sich kein Bild von der tatsächlichen Härte einer Abschiebung. Die Beiträge in diesem Band werfen einen Blick auf die Probleme, mit denen Rückkehrer in Afghanistan, Syrien, Tunesien, Senegal und im Kosovo konfrontiert sind.

Europäisches Staatsmodell nur in den seltensten Fällen verwirklicht

Das eigentliche Problem der modernen Grenzen liegt keineswegs nur in der Missachtung ethnischer Einheiten als vielmehr in dem damit verbundenen Staatsmodell, das die Europäer im Lauf ihrer frühen Neuzeit entwickelt und ab dem späten 19. Jahrhundert flächendeckend in Afrika einführten. Der europäische Staat hat als zentrales Kennzeichen, das ihn von Reichen unterscheidet, die Tendenz zur Homogenisierung, was ganz praktisch auf die umfassende administrative Durchdringung seines Territoriums hinausläuft. Der Staat ist idealerweise in der Hauptstadt mit ähnlicher Intensität präsent wie an seinen Grenzen. Diese Staatsform ist in Afrika nur in den seltensten Fällen verwirklicht worden, am ehesten in Süd- und Nordafrika. Dies hatte oft mit rudimentärer Infrastruktur zu tun, mit der ungleichen Verteilung der Städte, was in manchen Fällen auf eine übersteigerte Bedeutung der Hauptstadt hinauslaufen konnte.

Hinzu kam, dass etliche vorkoloniale politische Gemeinwesen durch Zentrum-Peripherie-Strukturen geprägt waren, bei denen ein Machtgefälle vom Zentrum zu den entfernteren Gebieten erkennbar war, was sich in kolonialen und nachkolonialen Staaten, allen Ansprüchen zum trotz, häufig fortsetzte. Die Gleichmäßigkeit der Machtausbreitung und -ausübung konnte schon der koloniale Staat nicht durchsetzen, weswegen er auf gewaltsame razziaartige Aktionen angewiesen war, um mit gezieltem Terror seine Souveränität zur Geltung zu bringen. Allerdings gab es hier durchaus große Unterschiede zwischen Staaten wie Südafrika oder Nigeria mit einer vergleichsweise starken bürokratischen Struktur und Kolonien, in denen die Herrschaft der Europäer immer stark begrenzt blieb, wie in großen Teilen des französischen Zentralafrika.

Der Anspruch staatlicher Souveränität kommt in der Unverletzlichkeit seiner Grenzen zum Ausdruck, die viele postkoloniale Staaten aber faktisch oft gar nicht effektiv kontrollieren konnten. Umso erstaunlicher ist, dass die Zahl der zwischenstaatlichen Kriege in Afrika eher gering war. Nur in wenigen Konflikten waren „Grenzkorrekturen“ überhaupt das Ziel; in jüngster Zeit sind die Auseinandersetzungen zwischen Äthiopien und Eritrea 1998-2000 sicher das eindrücklichste Beispiel dafür.

Die Unverletzlichkeit der Grenzen

Die afrikanischen Staaten einigten sich frühzeitig auf das Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen, das auf eine Initiative Kaiser Haile Selassies von Äthiopien zurückgeht, der mit besonders vielen separatistischen Bewegungen zu kämpfen hatte und es 1963 in der Charta der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) durchsetzte. Tatsächlich bildete sich in den folgenden Jahren ein Konsens, der so stark war, dass keine Grenzveränderungen weder im Fall separatistischer Bewegungen wie in Biafra (1967-1970) noch Fusionen wie zwischen Senegal und Gambia (1981), längerfristig erfolgreich waren (eine der wenigen Ausnahmen war die Vereinigung von Tanganyika und Sansibar im Jahr 1964 zum neuen Bundesstaat Tansania). Das wirkte sich auch im Hinblick auf die südafrikanischen Bantustans aus, die sicherlich in erster Linie wegen der durchsichtigen Absichten des Apartheidstaates, aber eben auch wegen der Grenzverschiebungen, nicht anerkannt wurden. Selbst nach dem Ende der Apartheid war das Thema einer Eingliederung von Lesotho nach Südafrika, was ökonomisch wie sozialpolitisch durchaus sinnvoll gewesen wäre, schnell wieder vom Tisch.

Das Prinzip der Unänderbarkeit der Grenzen widersprach dem Panafrikanismus, den die OAU offiziell ebenfalls verfolgte. Mit der Festlegung des Prinzips waren alle weiterführenden Pläne, wie sie der damalige Präsident Ghanas, Kwame Nkrumah, am explizitesten vertrat, den Kontinent politisch zu einen, nicht mehr durchsetzbar. Nkrumah versprach sich nur von der Einrichtung eines Kontinentalstaates eine wirtschaftliche Unabhängigkeit Afrikas, während die Kleinstaaterei in das münden musste, was er später nach seiner Absetzung als Neokolonialismus bezeichnete.

Erfolgreicher Nationalstaat

Insgesamt ist nicht nur der Territorialstaat, sondern auch der Nationalstaat in Afrika durchaus erfolgreich, was sich an dem negativen Umstand der Fremdenfeindlichkeit ablesen lässt. Es war ein probates Mittel für Politiker, die eigene Popularität zu steigern, indem sie demonstrativ und öffentlichkeitswirksam illegale Wanderarbeiter ausweisen ließen, wie 1961 in der Elfenbeinküste gegenüber Obervolta (heute Burkina Faso), 1968 in Ghana gegenüber Nigerianern und 1983 in Nigeria gegenüber Ghanesen geschehen. Auch die Bekenntnisse zum Panafrikanismus, zu einer übergreifenden kulturellen Einheit aller Afrikaner oder gar zu einem Zukunftsentwurf eines politisch geeinten Afrika, konnten dies nicht verhindern. Südafrikas Präsident Thabo Mbeki hatte öffentlichkeitswirksam seine Vision einer „afrikanischen Renaissance“ verkündet.

Doch schon vor seinem erzwungenen Rücktritt wurde in seinem Land Jagd auf Menschen gemacht (Mai 2008), die aus anderen afrikanischen Ländern wie Somalia, Kongo und Nigeria in die Wirtschaftsmetropole Südafrika gekommen waren, vor allem aber auf diejenigen, die vor der Tyrannei im benachbarten Simbabwe geflohen waren. Das Vernichtungswerk des simbabwischen Präsidenten Mugabe wird unter dem Vorwand der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates geduldet, da die Protagonisten der Afrikanischen Union den Gegensatz der eifersüchtig bewachten Nationalstaatlichkeit zu ihren eigenen Zielsetzungen kaum artikulieren oder reflektieren.

Zentrum-Peripherie-Gefälle

Die genannten Probleme liegen nicht nur in den politischen Strukturen und internationalen rechtlichen Vorgaben, sondern sie wurden durch die krisenhaften wirtschaftlichen Entwicklungen seit den frühen 1970er Jahren entscheidend verschärft. Die dadurch ausgelöste Landflucht ließ die Hauptstädte zu riesigen Wasserköpfen anschwellen. Die Tendenz afrikanischer Machteliten, die Entstehung eigenständiger, vom Staat unabhängiger Wirtschaftseliten zu behindern, um vielmehr selbst die Wirtschaft zu kontrollieren, trug dazu bei, dass Hauptstädte gleichzeitig die wichtigsten Wirtschaftszentren waren und dadurch wie Magneten auf die verarmte Landbevölkerung wirken mussten. Andere Städte sanken dadurch in ihrer Bedeutung ab, sie wurden Teil einer innerstaatlichen Peripherie, womit sich das Gefälle von Zentrum zu Peripherie weiter steigerte. In entlegenen Räumen, zumal dann, wenn es sich um aride Zonen handelte, setzten sich darum Strukturen der vorkolonialen Zeit fort, Personenverbände blieben wichtiger als die administrativ-bürokratischen Strukturen.

Dennoch halten die Staaten den Anspruch aufrecht, moderne Flächenstaaten zu sein, obwohl er sich in vielen Regionen immer weniger einlösen ließ. Hinzu kam ein Problem, auf das der Politikwissenschaftler Jeffrey Herbst in mehreren Publikationen hingewiesen hat, nämlich die Bevölkerungsverteilung, die ungeachtet der genannten krisenhaften Entwicklungen teils naturräumlich, teils historisch bedingt, in manchen, gerade flächenmäßig großen Staaten, höchst ungleich war. Hier wurde das Gefälle vom Zentrum zur Peripherie besonders steil, mit dem Ergebnis, dass Staaten wie die Demokratische Republik Kongo oder eine Reihe von Sahelstaaten über weite Strecken ihre grenznahen Räume nicht mehr effektiv kontrollierten. Umgekehrt konnten gerade kleine Staaten wie Ruanda die administrative Durchdringung stärker umsetzen; sie waren trotz ihrer ökonomischen Probleme ausgesprochen starke Staaten, was auch erklären kann, warum gerade in Ruanda ein Völkermord von Seiten der als Hutu deklarierten Ruander an den als Tutsi geltenden Ruandern stattfinden konnte, der relativ zentral organisiert war.

Wer die Hauptstadt kontrolliert...

Hinzu kam neben der Unveränderbarkeit der Grenzen eine zweite Regel der OAU, dass als Regierung in einem Land anerkannt wird, wer die Kontrolle über die Hauptstadt ausübt. Dies kam nach der Unabhängigkeit Angolas der MPLA mit ihrem Machtzentrum in Luanda zugute. Das Problem liegt nun darin, dass manche Regierungen nur noch die Hauptstadt wirklich kontrollieren und, je weiter der Abstand von der Metropole, desto schwächer wird die Präsenz des Staates. Dadurch wird das Ablaufschema von Bürgerkriegen erklärbar, wie es sich seit Mitte der 1980er Jahre eingespielt hat, auch wenn jede kriegerische Auseinandersetzung natürliche ihre eigene Logik haben dürfte, wie in Somalia, der Elfenbeinküste oder insbesondere im Kongo.

Die zu den Rändern abnehmende Staatsmacht bot die Gelegenheit für Rebellengruppen, sich in diesen peripheren Räumen festzusetzen, dort ihre Macht aufzubauen und allmählich auszuweiten. In riesigen Flächenstaaten wie Kongo/Zaire war das lange Zeit für die Regierung ungefährlich, weil sie diese peripheren Räume immer noch gut genug kontrollieren konnte, um diese Rebellengruppen zwar nicht unterdrücken, aber zumindest an ihrer Ausbreitung hindern zu können. In den 1980er Jahren begann sich das Blatt zu wenden. Der erste, der die Chance klar erkannte, die sich aus dieser Situation ergab, war Yoveri Museveni, der von der Peripherie her Uganda eroberte. Damit setzte er Maßstäbe für andere, die ihm in diesem Verfahren folgten. Doch ergab sich daraus eine überaus gefährliche Situation für alle Machthaber, selbst wenn sie auf diese Weise die Herrschaft errungen hatten. Denn welche Gewähr hatten sie, dass andere sie nicht einfach nachahmten? Die langjährigen Bürgerkriege in Liberia und Sierra Leone, im Kongo oder in Angola verdankten sich genau diesem Mechanismus ebenso wie die Eroberung Ruandas.

Kennzeichnend für diese Länder ist indes das Fehlen separatistischer Bewegungen, die lange Zeit die Ausnahme blieben und mit dem Biafrakrieg einen traurigen und abschreckenden Höhepunkt erreichten, der es ambitionierten Separatisten deutlich machte, dass sie mit internationaler Unterstützung kaum rechnen konnten. Es geht immer ums Ganze, um die Macht im ungeteilten Territorialstaat, was abermals zeigt, wie stark die Einigung auf die Unverletzlichkeit der Grenzen wirkte. Selbst ein Separatist wie Moise Tshombe gab seine Absichten auf, als sich ihm die Möglichkeit bot, Premierminister des ungeteilten Kongo zu werden. Der Separatismus im Kongo war ohnehin eher ein Projekt der belgischen Siedler und Bergbaukonzerne als der Bevölkerung oder kongolesischer Politiker.

Sezession im Sudan?

Daneben gibt es Länder, in denen Sezessionen als möglich erscheinen, sich manchmal über längere Zeiträume während Bürgerkriegen als faktischer Zustand einspielen wie etwa im Sudan oder im Tschad. Das betrifft insbesondere die Kette von Ländern in der Sahel-Zone, die von ethnischen und historischen Gegensätzen sowie religiösen Unterschieden gekennzeichnet sind und politisch instabil sind. Diese Antagonismen innerhalb der Länder haben sich in den letzten Jahrzehnten teils aufgrund der sich verschlechternden wirtschaftlichen Situation, teils aufgrund internationaler Entwicklungen erheblich verschärft, was insbesondere Nigeria betrifft. Dort werden die ethnischen Gegensätze mittlerweile religiös aufgeladen, so dass auch die Vermehrung der Provinzen, die die älteren Konflikte entschärfen half, nicht mehr als Lösung greifen kann. Schwache Staaten, die zudem an der Peripherie sehr dünn besiedelt sind, wie die Sahelländer, deren Norden zur Sahara gehört, fallen leicht unter den Verdacht, Zufluchtsort von Terroristen zu werden, was wiederum zu direkten oder indirekten Interventionen westlicher Länder führen kann.

Selbst im Fall der wenigen tatsächlich geglückten Sezessionen zeigt sich die Wirkungskraft historischer Grenzziehungen. Denn nun werden ältere koloniale Grenzen (zuweilen auch binnenstaatliche Grenzen zwischen Provinzen) reaktiviert, wie bei der Abspaltung von Somaliland im Jahr 1991, wodurch Somalia in die ehemals britischen und italienischen kolonialen Gebiete zerfiel. Zwar wurde Somaliland international nicht anerkannt, übte aber de facto in dem einstigen britischen Territorium effektiv Staatsgewalt aus. Das hat wenig mit einer Fixierung der Afrikaner auf das koloniale Erbe zu tun als vielmehr damit, dass es keine Alternativen gibt. Die kolonialen Grenzen waren schlicht die ersten eindeutig festgelegten Territorialgrenzen, die es gegeben hatte, so dass Sezessionsbewegungen oder Teilungen von Ländern nur die bestehenden durch andere Kolonialgrenzen ersetzen konnten.

Ob sich das Prinzip, Grenzen für sakrosankt zu erklären, in Zukunft aufrechterhalten lässt, ist fraglich, da in einigen Ländern wie im Sudan die staatliche Einheit so prekär, ja geradezu dysfunktional geworden ist, dass nicht absehbar ist, wie eine neue Ordnung innerhalb des Landes bewerkstelligt werden kann. Ob das für Januar 2011 anberaumte Referendum im Südsudan über dessen Unabhängigkeit zu einer friedlichen Sezession führen wird, kann bezweifelt werden, aber dass es eine Sezession geben wird, ist für die meisten Beobachter sehr wahrscheinlich. Selbst wenn es zu dieser Teilung des Sudan käme, ist ein zwischenstaatliches Nebeneinander der ehemaligen Landesteile schwer vorstellbar, wie das Beispiel Eritrea und Äthiopien zeigt, wo es sogar zu offenen Kriegshandlungen wegen der Grenzziehung kam. Vor allem aber erscheint es immerhin möglich, dass damit Präzedenzfälle geschaffen werden, was zu unberechenbaren Entwicklungen und möglicherweise zu Destabilisierungen in anderen Ländern mit ähnlichen Konfliktlinien und internen Regionalismen führen kann.


Christoph Marx (geb. 1957), Studium von Geschichte und Musikwissenschaft, 1987 Promotion, 1996 Habilitation. Seit 2002 Professor für außereuropäische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen. Forschungsschwerpunkt: Geschichte des südlichen Afrika.