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Bedingungsloses Grundeinkommen

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Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens würde – egal, in welcher Variante – einen radikalen Systemwechsel bedeuten: Der zentrale Gedanke des Grundeinkommens ist die völlige Entkopplung von Arbeit und Einkommen. Jeder und jedem, Kindern wie Erwachsenen, Studierenden ebenso wie RentnerInnen, ArbeitnehmerInnen, ArbeitgeberInnen und Nicht-Berufstätigen würde unabhängig von individuellem Bedarf und verfügbarem Einkommen ein staatliches Einkommen gewährt. Die Zahlung des Grundeinkommens soll weder an den Nachweis von Bedürftigkeit gebunden sein, noch würde von den EmpfängerInnen irgendeine „Gegenleistung“ für die staatliche Unterstützung verlangt. Allein aufgrund der Würde des Menschen soll jedes Individuum der Gesellschaft in die Lage versetzt werden, die notwendige Bedürfnisse wie Essen, Kleidung und Wohnung unabhängig von jeweiligen Einkommen zu realisieren. Grundlegend wäre nicht mehr der Leistungsgedanke, sondern eine umfassende gesellschaftliche Solidarität, die zunächst den Wert jedes Individuums und jedes individuellen Lebensweges anerkennt und respektiert. An die Stelle der Kontrolle von Leistungsbereitschaft bzw. -fähigkeit stellt der Grundeinkommens-Gedanke die Annahme, dass Menschen sich durch sinnvolle Arbeit in die Gesellschaft einbringen möchten. Gesellschaftlich produktive Arbeit, auch das verdeutlicht die Idee, bedeutet weitaus mehr als nur klassische Erwerbarbeit – auch Ehrenamt oder Familienarbeit sind wichtige Tätigkeiten, die in einem Grundeinkommens-System einen höheren Stellenwert hätten. Das Grundeinkommen ermöglicht also eine individuellere Lebensplanung, mehr Kreativität und Eigenverantwortung in Bereichen, die im heutigen System ein Armutsrisiko darstellen würden. Dazu zählen z.B. Pausen vom Erwerbsleben, die für Familiengründung, (Weiter-) Bildung oder auch zur Gründung eines Unternehmens genutzt werden könnten. Das Grund¬einkommen ist also in seinem Wesen emanzipatorisch.

Von der Vielzahl der Vorschläge und Ideen sind die folgenden fünf derzeit am stärksten in der Debatte; zugleich geben sie die Bandbreite der diskutierten Entwürfe wider:

  1. Der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus, CDU, setzt sich für das Solidarische Bürgergeld ein und wird dabei u.a. von der konservativen Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt. Das Modell sieht ein Grundeinkommen von maximal 600€ plus einer pauschalisierten Gesundheitsprämie vor und wird als negative Einkommensteuer ausbezahlt.
     
  2. Auf der Basis einer Vision von Selbstbestimmung und sinngebender Arbeit heraus schlägt der Unternehmer und Professor Götz W. Werner ein Grundeinkommen vor, das alle bisherigen Sozialleistungen weitgehend ersetzen soll und zugleich das Wirtschaftsystem humaner gestalten könnte.
     
  3. In kritischer Abgrenzung zu kapitalistischer Erwerbsarbeits- und Verwertungslogik entwickelte auch die Partei DIE LINKE ein Grundeinkommensmodell, das aufgrund der anstrebten Höhe von bis zu 1000€ vor allem Armut reduzieren und zudem stark emanzipatorische Wirkung entfalten soll.
     
  4. Die „Grüne Grundsicherung“ sieht neben einem pauschalen Einkommen von 500-700€ pro Monat vor allem ergänzende Leistungen und Angebote im Bereich sozialer Infrastruktur vor und ist dabei ebenfalls stark emanzipatorisch ausgerichtet.
     
  5. Ein „Zwischenmodell“ zwischen bedingungslosem Grundeinkommen und bedarfsorientierter Grundsicherung stellt die ebenfalls in grünen Kreisen diskutierte Idee des Modularen Grundeinkommens dar, das als bedarfs- und einkommensabhängige Grundsicherung beginnt und schrittweise zu einem bedingungslosen Grundeinkommen ausgebaut werden könnte.

1.1. Solidarisches Bürgergeld

Eines der bekanntesten Konzepte zum bedingungslosen Grundeinkommen – zumal es aus konservativer Richtung formuliert wird – stammt von Dieter Althaus (CDU), dem Ministerpräsidenten Thüringens und nennt sich „Solidarisches Bürgergeld“. Unter der Annahme, dass Massenarbeitslosigkeit, die steigende Zahl nicht mehr existenzsichernder Einkommen sowie der demographische Wandel unser Sozialsystem kurz vor den Zusammenbruch getrieben haben und schon heute die Sozialsysteme kaum auf dem Versicherungsprinzip beruhen, sondern auf der Basis von Steuern funktionieren, schlägt Althaus einen Systemwechsel vor, der den Anspruch auf ein soziokulturelles Existenzminimum garantiert, dabei marktwirtschaftlich angelegt ist und ein nachhaltig gerechtes Steuer- und Sozialsystem schafft.

Im Detail sieht das Modell vor, jedem Erwachsenen 600€ und Kindern bis 18 Jahre ein Kinderbürgergeld von 300€ auszuzahlen. Ab dem 67. Lebensjahr haben RenterInnen Anspruch auf Bürgergeldrente in Höhe von 600€. Zudem haben alle EmpfängerInnen Anspruch auf eine Gutschrift von 200€ als Gesundheits- und Pflegeprämie. Das Brutto-Bürgergeld beträgt also 800€ bzw. 500€ (für Erwachsene/ Kinder). Weitere Zuschläge zum Bürgergeld (z.B. in besonderen Lebenslagen) sind bedarfsabhängig, wobei der individuelle Bedarf nachgewiesen werden muss.

Sämtliche Sozialversicherungsbeiträge entfallen, Arbeitgeber bezahlen eine Lohnsummensteuer von 10-12% des Lohnes, allerdings wird eine Einkommensteuer von 50% erhoben, die mit dem Bürgergeld verrechnet wird. Dies bedeutet, dass EmpfängerInnen, deren eigenes Einkommen bis zu 1600€ beträgt, Netto-EmpfängerInnen des Bürgergeldes sind; Personen mit einem eigenem Einkommen ab 1600€ sind Netto-ZahlerInnen. Zudem ist vorgesehen, dass sich ab einem eigenen Einkommen von 1600€ das Solidarische Bürgergeld auf 400€ halbiert (wobei 200€ für die Gesundheitsprämie verwendet werden), dafür aber auch die Einkommensteuer nur 25% statt 50% beträgt.

Althaus gesteht den BürgerInnen in diesem Modell hohe Eigenverantwortlichkeit zu und sieht es als Chance, einen deregulierten und flexiblen Arbeitsmarkt ohne notwendige Mindestlöhne, mehr Wettbewerb auch im Gesundheitswesen und ein einfacheres Steuerrecht zu ermöglichen. Insofern steht das Althaus-Modell im Einklang mit dem (neo-) liberalen Slogan der CDU: „Mehr Freiheit wagen“. Zugleich sieht Althaus darin eine verbesserte gesellschaftliche Wertschätzung von (bisher unbezahlter) Familienarbeit und ehrenamtlichem Engagement. In wirtschaftlicher Hinsicht rechnet Althaus mit einem Aufschwung der Beschäftigung vor allem im Niedriglohnbereich, da sich finanziell die Aufnahme auch von schlechtbezahlter Arbeit immer lohnen würde.

Eine spezifische Genderperspektive nimmt das Modell nicht ein, was darauf hindeutet, dass geschlechtsspezifische Auswirkungen gar nicht erst berücksichtigt werden. Althaus geht von einer eigentümlichen „Geschlechtslosigkeit“ der Gesellschaft aus, obwohl viele der von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen und Aspekte Frauen auf besondere Weise betreffen würden. Ein Risiko des Althaus-Modells besteht darin, dass die erheblichen Lohnunterschiede von Frauen und Männern nicht nur bleiben, sondern sich verschärfen würden, wenn es tatsächlich einen Aufschwung im Niedriglohnsektor gäbe, da diese schlechter bezahlten Tätigkeiten überdurchschnittlich häufig von Frauen ausgeübt werden. Eine größere Wertschätzung von Familienarbeit ist zweifelsohne wünschenswert – aber führt das Solidarische Bürgergeld auch zu einer gerechteren Aufteilung von Haus- und Familienarbeit zwischen Männern und Frauen, oder werden traditionelle Rollenbilder einfach fortgeschrieben, wenn auch „bezahlt“? Über (möglicherweise negative) Auswirkungen auf die Frauenerwerbsquote, weibliche Erwerbsbiographien und Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt und am gesellschaftlichen Leben sagt das Solidarische Bürgergeld nichts aus. Es ist in der Tat „gender-blind“.

1. 2. Das bedingungslose Grundeinkommen nach Götz W. Werner

Mit diesem Modell setzt sich ein erfolgreicher Unternehmer, der Professor und Besitzer der dm-Drogeriemarkt-Kette Götz Werner, für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist der grundlegende Wandel des Erwerbsarbeitsmarktes, bei dem von „Vollbeschäftigung“ nicht mehr zu sprechen sein könne, weil die immer bessere Versorgung der Menschen mit immer weniger Arbeitsaufwand zu bestreiten sei. Daraus folgt die klare Forderung, dass die enge Verkopplung von Arbeit und Einkommen gelöst werden und der Begriff der Arbeit neu gedacht werden muss – eine der wichtigsten Chancen, die das Grundeinkommen bietet.

Durch ein Grundeinkommen, das ausreichend für materielle Existenz und kulturelle Entwicklung eines jeden Menschen sein müsste, wäre die individuelle wirtschaftliche Lebensgrundlage gesichert, wodurch die Menschen mehr Flexibilität und Unabhängigkeit gewinnen würden, gerade in Phasen wie Ausbildung und Studium, der Auflösung von Lebenspartnerschaften oder auch im Alter. Arbeitsplätze müssten attraktiver gestaltet werden, was wiederum dazu führen würde, dass die Menschen motivierter arbeiten würden, weil sie das tun könnten, was sie für sinnvoll halten. Zugleich wäre das Grundeinkommen wettbewerbsfördernd, weil schlechte Arbeitsverhältnisse und fragwürdige Produkte teurer würden.

In der Finanzierung sieht das Modell einerseits den Wegfall möglichst aller derzeitigen Sozialleistungen und andererseits eine erhebliche Erhöhung der Mehrwertsteuer vor. Sämtliche bisherige Sozialleistungen würden im Grundeinkommen aufgehen, nur eventuell könnten bei Bedarf besondere Zuschläge gezahlt werden. Eine konkrete Höhe des Grundeinkommens gib das Modell nicht vor.

Als positive wirtschaftliche Auswirkungen nennt Werner vor allem den Wegfall von Lohnkosten, da langfristig sämtliche Steuern bis auf die Konsumsteuer sowie Sozialbeiträge entfielen. Dies würde sich auch positiv auf die Kaufkraft, auf Investitionsbereitschaft und Export auswirken. Zudem brächte das Grundeinkommen Bürokratieabbau und Entlastung öffentlicher Verwaltung mit sich.

Dieses Modell geht von einem sehr positiven Menschenbild aus, was bei einem überzeugten Anthroposophen wie Werner kaum überrascht. Menschen sind demzufolge grundsätzlich dazu bereit, sich sinnvoll und arbeitend in die Gesellschaft einzubringen. Ein Grundeinkommen würde jeder und jedem die Freiheit lassen, selbst zu bestimmen, wie und in welchem Bereich dieses Engagement stattfindet – neben vergüteter Arbeit zählen auch hier Familien-, Pflege-, Kultur- und Bildungsarbeit zu den zentralen Aspekten. Allerdings muss auch dieses Modell als „Gender-blind“ bezeichnet werden, da es nicht darauf eingeht, welche Teile der Gesellschaft wie von den Auswirkungen betroffen wären – eine gesellschaftlich differenzierte Betrachtung fehlt also nicht nur hinsichtlich der Geschlechterperspektive. Fragen zu gesellschaftlichen Rollenbildern, geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung etc. werden nicht thematisiert.

1. 3. Die Linke: BAG Grundeinkommen

Auch bei der Partei DIE LINKE wird das Grundeinkommen intensiv diskutiert, nicht zuletzt in der Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen und in weiteren Landesarbeitsgemeinschaften. Die Debatte orientiert sich u.a. an den Vorschlägen von Erwerbsloseninitiativen und an der Armutsrisikogrenze, die in Deutschland bei 850 bis 1000€ pro Haushalt liegt. Demzufolge sieht das Konzept einen Betrag von 950€ bzw. 475€ für Kinder bis 16 Jahre als bedingungsloses Grundeinkommen vor. Die Finanzierung würde durch den Wegfall einiger bisheriger Transferleistungen, Bürokratieabbau, mehr Konsum, höheren Mehrwertsteuereinnahmen und schließlich diverse Steuererhöhungen einschließlich der Einführung einer Grundeinkommens-Abgabe von 35% des Einkommens erfolgen. Zudem soll das Grundeinkommen eingebettet sein in weitere soziale Leistungen (wie z.B. Wohngeld, Unterstützung besonderer Bedarfe) und Arrangements wie z.B. den Mindestlohn. Der Grundgedanke ist ein ganz anderer als beim Solidarischen Bürgergeld: nicht die Reform des Sozialstaats mit dem Ziel von Einsparungen und Transparenz steht im Vordergrund, sondern der emanzipatorische Effekt, der Menschen selbständige Arbeit und Lebensplanung sowie mehr gesellschaftspolitisches Engagement ermöglicht – Katja Kipping bezeichnet das Grundeinkommen daher als „Demokratiepauschale“. Zudem wird betont, dass das Grundeinkommen mit der dem Kapitalismus innewohnenden Verwertbarkeitslogik bricht und so Wege in eine freiere Gesellschaft bahnt.

Wie dieser Weg in die freiere Gesellschaft aus der Genderperspektive aussehen sollte, darüber schweigt das Konzept der Linkspartei. Es finden sich allenfalls vage Andeutungen dazu, dass Frauen durch ein individuelles Einkommen mehr Selbstbestimmung ermöglicht würde und weitere Instrumente die geschlechtergerechte Ausgestaltung des Grundeinkommens begleiten müssten (z.B. bei Katja Kipping). Ansonsten bezieht sich die Diskussion zu Auswirkungen und dem mit dem Grundeinkommen bei der Linkspartei verbundenen Weltbild im wesentlichen auf Kritik am Neoliberalismus.

1. 4. Grüne Grundsicherung / Grundeinkommen

Das Grundeinkommensmodell, so wie es in grünen Kreisen diskutiert wird, ist in dem Diskussionspapier von Poreski/ Emmler als „Grüne Grundsicherung“ entworfen und im Bericht der Kommission zur „Zukunft sozialer Sicherung“ als „Grünes Grundeinkommen“ weitergedacht worden. Im Kern zielt es darauf ab, allen BürgerInnen, die einen dauerhaften legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland haben und hier seit mindestens 5 Jahren ihren Lebensmittelpunkt haben, einen monatlichen Sockelbetrag von 500€ zu zahlen; Kinder erhalten 400€, RenterInnen bis zu 700€. Ergänzend können bedarfsabhängige Leistungen bezogen werden, wie z.B. Wohngeld oder Sicherung für besondere Lebenslagen. Die Krankenversicherung aller Grundeinkommens-BezieherInnen erfolgt automatisch und wird wie das Grundeinkommen selbst über Steuermittel finanziert.  So sollen entweder die Lohnnebenkosten in eine Grundsicherungsabgabe von 25% umgewandelt werden, zusätzlich wird eine Einkommensteuer von 25% erhoben (nach dem Modell Poreski/Emmler). Dagegen schlägt der Kommissionsbericht eine Einkommensteuer von 35% in Verbindung mit einer Negativen Einkommensteuer vor. Zusätzlich wäre eine höhere Besteuerung von Konsum, Vermögen, Erbschaften oder auch des Umweltverbrauchs denkbar, um weiterhin in öffentliche soziale Infrastruktur zu investieren. Das Grüne Grundeinkommen dürfe keinesfalls zu Lasten der Angebote bei Bildung, Betreuung und Beratung durch den Sozialstaat eingeführt werden, sondern diese Maßnahmen sind parallel durchzuführen.

Das Konzept sieht sich in der Tradition libertärer Ideen und der „Ermutigung“ jeder/jedes Einzelnen, welche einhergeht mit dem Anspruch an mehr bzw. transparentere Verteilungs- und Teilhabegerechtigkeit innerhalb der Gesellschaft. Das Grundeinkommen wäre geeignet, um unstete Erwerbsbiographien, aber auch unternehmerische Risikobereitschaft sozial abzusichern. Durch Armutsverringerung und die Anhebung gerade kleiner Einkommen würde die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen steigen, zugleich bleibt ein individueller Anreiz, eine vergütete Tätigkeit aufzunehmen, bestehen – allerdings nicht mehr als Zwang. Das Modell birgt also positive Leistungsanreize, erleichtert Selbständigkeit und die Gestaltung flexiblerer Arbeitszeitmodelle. Zugleich – so die Hoffnung – entstünde mehr Vertrauen in einen gerechten und transparenten Sozialstaat, was sich positiv auf das Investitionsklima auswirken könnte.

Im Gegensatz zu den anderen vorgestellten Ideen wagt dieses Modell den Ansatz einer frauen- und geschlechterpolitische Perspektive, die allerdings fragwürdig bleibt: Statt explizit geschlechtsspezifische Aspekte zu benennen, findet sich beispielsweise die Aussage, dass „die Familienarbeit aufgewertet“ würde, was de facto die traditionelle Rollenteilung ja nicht in Frage stellt. Das Grund¬einkommen würde eine lebenslagengerechte Teilzeitoption bieten, so dass Eltern sich in bestimmten Phasen eine Teilzeitarbeit leisten können. Zudem würden besonders Familien mit Kindern gestützt bzw. finanziell bestärkt, ohne dass dies zu Lasten der Karriereplanung von Frauen ginge, da sich vergütete Arbeit für beide Eltern immer lohnen würde. Allein aus der Ablehnung der klassischen „Alleinverdiener-Ehe“ als Familienmodell ergibt sich allerdings noch keine grüne Frauenpolitik – die Reduzierung der Gender-Perspektive auf familienpolitische Fragen zeigt, dass auch das Modell der Grünen Grundsicherung keine konkreten frauenpolitischen Aussagen trifft. Zwar betont insbesondere der Bericht der Kommission, dass ein Grundeinkommen genderpolitische Maßnahmen keinesfalls überflüssig machen würde, sondern dies weiterhin eine dringliche Aufgabe bleibt. Dennoch gelingt es den AutorInnen nicht, „Gender“ über den Teilaspekt „Familie“ hinaus zu denken und geschlechtsspezifische Auswirkungen umfassend zu analysieren.

1. 5. Modulares Grundeinkommen

Ein weiterer Grundeinkommens-Vorschlag in der grünen Debatte ist die Idee des modularen Grundeinkommens. Dieses recht pragmatische Modell stellt eine Mischform aus Grundsicherung und Grundeinkommen dar, da es als bedarfsorientierte Grundsicherung beginnt und schrittweise einen Ausbau zu einem bedingungslosen Grundeinkommen, das den einzelnen Lebenslagen angepasst ist, vorsieht. Das Konzept besteht aus inhaltlichen und zeitlich unabhängig voneinander einsetzbaren Modulen:

  • einem Alters-Grundeinkommen, das als eine steuerfinanzierte Grundrente verstanden wird;
  • einem Erwerbsphasen-Grundeinkommen, das als negative Einkommensteuer ausgezahlt wird und damit effektiv nur Bedürftigen bis zu einem bestimmten eigenen Einkommen zusteht bzw. für SteuerzahlerInnen in einem steuerfreien Freibetrag aufgeht;
  • einem Kinder-Grundeinkommen, das einesteils einen auszahlbaren Geldbetrag und anderenteils einen Anspruch auf Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur darstellt, also z.B. in Form eines Betreuungsgutscheines ausgegeben wird;
  • einem Ausbildungs-Grundeinkommen, in dem ebenfalls der finanzielle Part durch aktive Begleitung und Beratung ergänzt wird;
  • sowie einem Studierenden-Grundeinkommen, das aus einem finanziellen Teil und einem gebührenfreien Erststudium besteht.

Diese verschiedenen Module können je einzeln umgesetzt werden; die Höhe der ausbezahlten Leistungen und der Umfang des Infrastrukturausbaus sollen entsprechend der jeweiligen Lebens- und Bedarfslage festgesetzt werden. So ist z.B. zusätzliches Wohngeld als bedarfsorientierte Ergänzung des Erwerbsphasen-Grundeinkommens vorgesehen. Keines der Module muss von Anfang an die Höhe eines Existenzminimums erreichen, sondern dieses Ziel kann schrittweise umgesetzt werden.

Die Finanzierung erfolgt zum Teil durch die Ersetzung bisheriger Leistungen wie z.B. den Wegfall des Bafög bei Einführung des Studierenden-Grundeinkommens; weitere Finanzreformen sind angedacht. Zudem ist das Konzept eingebettet in einen sozialpolitischen Maßnahmenkatalog, zu dem die Einführung von Mindestlöhnen, individuelle Betreuung und Beratung, eine wirksame Arbeitsmarktpolitik etc. zählen.

Mit diesem Modell entfernen sich dessen VertreterInnen gewissermaßen vom „großen Wurf“ der Sozialpolitik und dem politischen Wagnis, das die Einführung des Grundeinkommens eigentlich darstellen würde. Zwar ist das Modulare Grundeinkommen in praktischer Hinsicht vielleicht ein geeigneter Weg, um das Sozialsystem umzugestalten – mit welchem ideellen Anspruch dies allerdings geschieht, wann der Übergang von bedarfsorientierter zu garantierter Sicherung in welchem Bereich zu vollziehen ist, bleibt ebenso unklar wie ein weiter vorausweisender politischer Anspruch des Konzepts. Insofern beschreibt das Modell eine technische Variante des Grundeinkommens, der politisch-normative Gedanke tritt gegenüber dieser Segmentierung von Sozialpolitik aber in den Hintergrund.

Was –  sozusagen konsequenterweise – in diesem Papier vollständig fehlt, ist eine Aussage zu geschlechtsspezifischem Anspruch und Auswirkungen des modularen Grundeinkommens. Der Hinweis auf individuelle Leistungsansprüche und Beratungsangebote ist zwar ein klarer Schritt weg von der bevormundenden Regelung der Bedarfsgemeinschaften, der auch in den meisten anderen Konzepten vertreten wird. Gerade aber die Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Besonderheit des Konzeptes, nämlich der möglichen zeitversetzten Einführung der Module, hinsichtlich der eigenständigen Existenzsicherung für Frauen ergeben, werden nicht im Ansatz erörtert. Dabei birgt gerade diese Vorgehensweise erhebliche Risiken: So könnte z.B. das schrittweise zu erhöhende Kindergrundeinkommen zunächst zu Lasten des qualitativen und quantitativen Ausbau von Betreuungseinrichtungen gehen. Wenn das Kindergrundeinkommen zudem zeitlich vor dem individuellen Erwerbsphasen-Grundeinkommen eingerichtet würde, könnte es außerdem als eine Art „Herdprämie“ dazu führen, dass die traditionelle innerfamiliäre Arbeitsteilung gestärkt und die eigenständige Existenzsicherung von Frauen untergraben würde.