Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter

Das Konzept der Gemeingüter bringt die Prinzipien von Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Transparenz und Demokratie mit Innovationsfreundlichkeit zusammen. Dieser Sammelband beleuchtet zahlreiche Aspekte der „Commons“: sauberes Trinkwasser, Erhalt der Vielfalt von Saatgut, freie Software und den freien Austausch von Wissen. ➤ Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen zu Sozialpolitik.

Cover: Wem gehört die Welt?

Gemeingüter sind verlässlich. Das unterscheidet sie von den (Finanz-) Märkten. So wichtig und richtig Forderungen nach staatlicher Regulierung prinzipiell sind – es geht nicht nur um Staat oder Markt. In der gegenwärtigen Neujustierung der Kräfteverhältnisse zwischen den Akteuren muss ein grundsätzlich neues Gleichgewicht zwischen einer lebendigen Bürgergesellschaft, dem Markt und dem Staat erstritten werden. Diese demokratische Dimension wird allzu häufig in den aktuellen Diskussionen vergessen. Ob in den Kämpfen um Wasser, um freie Kultur oder um den Schutz der Atmosphäre – es besteht die Gefahr, dass die Allgemeinheit die Verfügungsrechte über die gesellschaftlichen Reichtümer preisgibt. Das ist der wichtigste Augenöffner des vorliegenden Sammelbandes.

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Gemeingüter sind allgegenwärtig. Sie machen einen Gutteil unseres Reichtums aus – auch wenn wir dazu neigen, sie nicht wahrzunehmen. Wo dies nicht passiert, da wächst ermutigend Neues. Menschen kämpfen in ganz unterschiedlichen (Selbst-) Organisationsformen lokal und global für faire Zugangsrechte zu sauberem Trinkwasser, für den Erhalt der Saatgutvielfalt, für freie Software und freien Austausch von wissenschaftlichem Wissen oder für vitale öffentliche Räume.

Das Konzept der Gemeingüter verbindet all diese Auseinandersetzungen, und es bringt die Prinzipien von Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Transparenz und Demokratie mit Innovationsfreundlichkeit zusammen. Die Gemeingüterdebatte transportiert die Idee der ökosozialen Marktwirtschaft in die globalisierte Informations- und Wissensgesellschaft. Sie fragt somit nach erfolgreichen Prinzipien, Organisationsformen und Institutionen des Wirtschaftens – auch jenseits von Markt und Staat. Das ist alltagsrelevant und aufregend.

Gemeingüter sind großzügig

Denn »nichts zeugt von solcher Großzügigkeit wie Gaben«, sagt ein mittelalterliches Sprichwort, und Gemeingüter resultieren aus den Gaben der Natur und der Kreativität vorangegangener Generationen. Obwohl sich die Leistungen der Gemeingüter eigentlich jeglicher Berechenbarkeit entziehen, gibt es zaghafte Versuche, deren wirtschaftlichen Gegenwert in Beträgen darzustellen. Ende der 1990er Jahre – so fanden nordamerikanische Forscherinnen und Forscher heraus – entsprachen die Leistungen der natürlichen Gemeinressourcen dem Doppelten des globalen Bruttosozialproduktes (die kollektiven kulturellen Leistungen, aus der die unschätzbare Fülle der Wissensallmende hervorgeht, noch nicht mitgerechnet). Das sind die Schätze, über die in diesem Buch nachzulesen ist.

Beide, die »Gemeingüter der Erde« und die »Gemeingüter des Geistes« sind im Prinzip in Fülle vorhanden. Auch wenn natürliche Ressourcen – das erfahren wir schmerzlich – übernutzt werden können. Doch dies ist kein Problem der Verfasstheit der Allmende, kein Problem der Ressourcen, die uns umgeben, sondern ein Problem der menschlichen Gemeinschaft. Es ist also unser Problem und nicht den Gemeingütern inhärent. Das lernen wir auch aus diesem Buch.

Gemeingüter sind modern. Die vorliegende Aufsatzsammlung wirft ein neues Licht auf das scheinbar alte Paradigma der Allmende. Das Thema ist komplex, weshalb wir nur ein Schlaglicht darauf werfen können. Dennoch wird deutlich, wie es um die natürlichen, kulturellen und sozialen Gemeingüter des beginnenden 21. Jahrhunderts bestellt ist. Die Autorinnen und Autoren belegen dabei, dass und in welchem Maße die Allmende Ausdruck ihrer Zeit ist, denn der Zustand der Allmende spiegelt die Verfasstheit der Gesellschaft.

Es ist an uns, die Gemeingüter der Gegenwart zu identifizieren

Es ist an uns, ihren Verlust oder ihre ausschließlich private Aneignung zu stoppen. Es ist an uns, die Fülle der Allmende so zu nutzen, dass die Kurse auf dem Marktplatz des Gemeinwohls, des sozialen Zusammenhalts, der Kreativität, der Freiheit und der Zukunftsfähigkeit wieder steigen. Niemand wird uns diese noble Aufgabe abnehmen. Der vorliegende Band will Orientierung dafür bieten.

Bundespräsident Horst Köhler forderte die Heinrich-Böll-Stiftung anlässlich der Eröffnung unseres neuen Stiftungshauses auf, Eigensinn zu entwickeln und Fährtensucher für neue politische Konzepte zu sein. Dieser Aufgabe stellen wir uns gern: Wir suchen als grüne politische Stiftung nach Antworten und Ideen, die es uns ermöglichen, auf die Herausforderungen des Klimawandels, der Ressourcenausbeutung, der sozialen Exklusion, auf die Ernährungs- und Armutskrise, aber auch auf die Transformation zur Wissensgesellschaft und die damit einhergehenden Auseinandersetzungen um Urheberrechte, Software-Patente oder Zugang zu Wissen angemessen zu reagieren. Und dafür brauchen wir Ideen jenseits von Markt und Staat.

Greenhouse Development Rights

So haben wir zum Beispiel das Konzept der Greenhouse Development Rights entwickelt, das globale Gerechtigkeit konsequent mit Klimaschutz und dem Recht auf Entwicklung zu verbinden sucht. Wir haben das Konzept der Geschlechterdemokratie vorangetrieben und damit Anstoß erregt.

Die Idee der Gemeingüter prägt inzwischen mehrere Aktivitäten der Stiftung: Mit überregionalen Projekten unserer Auslandsbüros, insbesondere in Lateinamerika, und der Übersetzung des Buches Kapitalismus 3.0 Ein Leitfaden zur Wiederaneignung der Gemeinschaftsgüter von Peter Barnes beteiligt sich die Stiftung an der Suche nach der Logik der Gemeingüter.

Seit 2008 organisieren wir zudem den interdisziplinären politischen Salon »Zeit für Allmende«. Er ist ein offener Debattenraum für die gemeinsame Spurensuche. Der interdisziplinäre Salon und dieses Buch versuchen Rechtsverhältnisse, Sozialbeziehungen, Institutionen und politische Lösungsvorschläge daraufhin abzuklopfen, ob sie die Gemeinressourcen und die Beziehungen zwischen den Menschen erhalten und stärken oder nicht.
Das ist ein komplexes Unterfangen. Aber einfacher geht es nicht.[...]

Berlin, im Dezember 2008
Barbara Unmüßig
Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Aus dem Vorwort der Netzausgabe von Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter, Silke Helfrich und Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.).

Videos zum Buch

Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter
   
Herausgeber/in ökom Verlag
Erscheinungsort  
Erscheinungsdatum 9. 2009
Seiten 288
ISBN 978-3-86581-133-2
Bereitstellungs-
pauschale
24,80 Euro

 


 

 
 

Pressestimmen

In diesem Abschnitt finden Sie Rezensionen und Interviews zur Veröffentlichung "Wem gehört die Welt? Zur Wiederentdeckung der Gemeingüter".

Rezensionen:

 
  •  
Die Welt als Gemeingut, Rezension von Dr. Jos Schnurer auf www.socialnet.de, 20. Juli 2009

Interviews:

 
 
 

Silke Helfrich (Mitherausgeberin)

Silke Helfrich studierte romanische Sprachen und Pädagogik an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Seit Mitte der 90er Jahre entwicklungspolitisch tätig. Leitete von 1996 bis 1998 das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen und von 1999 bis 2007 das Regionalbüro der Heinrich-Böll-Stiftung in Mexiko City mit den Schwerpunkten Globalisierung, Gender und Menschenrechte.
Sie betreibt ein deutschsprachiges Blog zum Thema Commons/Gemeingüter.
 
 
 

Dossier

Commons, Allmende, Gemeingüter: Die Kraft des "Wir"

Zahlreiche Akademiker/innen und Protagonisten der sozialen Bewegungen bringen den Begriff der Gemeingüter auf der Suche nach Alternativen zu unserem Wirtschaftsmodell wieder in die gesellschaftliche Diskussion und politische Auseinandersetzung ein. Eine "Ökonomie des Teilens", in der das Gedeihen des gemeinsamen Besitzes im Vordergrund steht, erscheint greifbar.

Weitere Informationen zu Gemeingütern:
 
 

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