Vom Steuerfluchthelfer zum Förderer der Steuergerechtigkeit

Die Digitalisierung der globalisierten Wirtschaft hat lange Zeit Steuerflucht befördert, nun eröffnet sie Möglichkeiten ihrer wirksamen Eindämmung.

Globalisierte Finanzströme dank Digitalisierung

Globalisierung und Digitalisierung gelten als Treiber eines immer ungerechteren Steuersystems. Doch jetzt dreht sich der Wind, globale Kooperation und die Möglichkeiten der Digitalisierung bei der Steuerfahndung und beim Steuervollzug werden zu einem immer schärferen Schwert zur Bekämpfung der Steuerflucht und Geldwäsche. Global mobile Privatpersonen verlagern ihre Vermögen ins Ausland und verschweigen ihre Einkünfte bei der Steuererklärung. Dank Kreditkarten, Onlinebanking und verschwiegenerer Alternativen des Finanzzugriffs sind Reisen zum Vermögensverwalter im Ausland nicht mehr nötig. Globalisierung und Digitalisierung haben diese illegale Steuerflucht bequem und scheinbar risikoarm gemacht.  

Die Besteuerung nach Leistungsfähigkeit steht auf dem Spiel

Die private Steuerflucht untergräbt eine hart erkämpfte Errungenschaft aller westlichen Industrieländer: die Besteuerung von Einkommen nach Leistungsfähigkeit. In modernen Steuersystemen war das Prinzip zwar nie umfassend umgesetzt, doch mit der Globalisierung und Digitalisierung geriet es zusätzlich unter Stress. Der Staat kann sein Steuerrecht nur mit hohem Aufwand oder höheren wirtschaftlichen Kosten durchsetzen. Als die Einkommenssteuer durch Steuerflucht unter massenhaften Druck kam, war die Gegenwehr von Justiz, Finanzverwaltungen und vor allem der Finanzpolitik lange sehr begrenzt, und zwar fast unabhängig davon, welche Partei gerade die Regierung stellte.  Wenn der Staat geltendes Recht gegenüber wirtschaftlich oder politisch Mächtigen nicht mehr durchsetzt, nährt dies Zweifel an der Stärke des Rechtsstaats selbst. Denn seit der Französischen Revolution bemisst sich diese Stärke gerade auch an der Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger vor dem Gesetz. Wenn jedoch die Lohnsteuer beim Arbeitgeber schlicht abgezogen wird, während Millioneneinkommen in Steueroasen versteckt werden können, steht genau diese Gleichheit vor dem Gesetz in Frage. Daher ist das Problem der Besteuerung in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung nicht nur eines der Steuergerechtigkeit, sondern auch eine Frage der Stärke des Rechts in der digitalen globalen Ökonomie. Doch in den letzten Jahren hat der gleichmäßige Vollzug der Steuergesetze – für viele unverhofft – Raum zurückgewonnen. Ausgerechnet die Instrumente der Digitalisierung, die zunächst den Steuerflüchtlingen ihre Absetzbewegung erleichterten, werden nun zur Waffe der Durchsetzung des Rechts.

Die Steuerflüchtlinge hinterließen Datenspuren in den EDV-Anlagen der beteiligten Banken und anderer Finanzdienstleister. Aufgrund des hunderttausendfachen Rechtsbruchs allein durch deutsche Steuerpflichtige wurden diese Daten zu einem attraktiven Ziel für Whistleblower und Datendiebe. Manchmal verlangten sie Geld, manchmal nicht. Fast nirgendwo können Steuerflüchtlinge sich heute noch völlig sicher fühlen. Selbst Kunden in den verschwiegensten Steuersümpfen wurden transparent. Allein die besonders umtriebige Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalens kaufte mindestens 11 Steuer-CDs und profitierte von weiteren Hinweisen dieser Art. Das führte seit 2010 zu über 120.000 Selbstanzeigen in diesem Zusammenhang, davon allein mit Bezug zur Schweiz nur in NRW 23.556 bis Dezember 2017. Über 7 Milliarden Euro Mehreinnahmen bekam der Fiskus.

Umso wichtiger ist daher der politische Druck, den immer neue Finanzskandale entfalteten.

Diese drastischen Zahlen beweisen, dass Steuerflucht nicht nur eine Angelegenheit der Superreichen in Deutschland war, sondern bis weit in die wohlhabende obere Mittelschicht Verbreitung fand. Ohne die Digitalisierung in den Firmen der Steuerfluchthelfer wäre dieser Erfolg der Steuerfahnder nicht möglich gewesen. Sehr viel unversteuertes Kapital ist nach wie vor in den Steueroasen der Welt angelegt, auch aus Deutschland. Umso wichtiger ist daher der politische Druck, den immer neue Finanzskandale entfalteten. Nicht nur die Finanzverwaltungen erfreuten die digitalen Datenlecks, auch die Medien bekamen immer wieder spannende Datenpakete übermittelt. Nach Swissleaks, OffshoreLeaks, Luxleaks, PanamaPapers, Paradise Papers und vielen kleineren Skandalen kam auch Bewegung in die internationale und europäische Politik. Hinzu kam der Druck durch die Kampagnen von NGOs. Dies alles traf schließlich auf eine handlungswillige Obama-Administration, die schon länger entschlossen war, dem Treiben in den Steueroasen nicht länger zuzusehen. So entstand international zunächst ein Konsens, das Bankgeheimnis für steuerliche Zwecke aufzuheben. Künftig werden praktisch alle Staaten weltweit ihre Banken verpflichten, die Heimatfinanzämter ihrer Anleger über die steuerlich relevanten Einkünfte zu informieren. Diese Aufhebung des klassischen Bankgeheimnisses ist ein Durchbruch in der globalen Steuerkooperation und galt noch vor kurzem als eine radikale Idee von Attac & Co. Der automatische Informationsaustausch macht Steuerflucht schwerer. Er ist nur möglich dank der Digitalisierung, die es Banken mit ihrer EDV erlaubt, die entsprechenden Meldungen effizient zu erstellen und zu übersenden. Das klassische anonyme Schweizer Nummernkonto zum Zwecke der Steuerhinterziehung ist jedenfalls tot.

Denn Staaten, die sich weigern bei der Steuerkooperation mitzumachen, riskieren, auf «Schwarzen Listen» zu landen oder mit anderen Sanktionen belegt zu werden. 

Den automatischen Informationsaustausch verallgemeinern

Es gibt beim automatischen Informationsaustausch von Bankdaten leider noch eine Reihe von Schlupflöchern, die genau beobachtet und im Rahmen der vereinbarten internationalen Zusammenarbeit konsequent geschlossen werden müssen.  

Denn auch wenn Bankkonten und Wertpapierdepots bei Banken nun dem automatischen Informationsaustausch unterliegen, haben Reiche viele andere Möglichkeiten, ihre Vermögen im Dschungel der globalen Wirtschaft zu verstecken, sei es in Unternehmensbeteiligungen und Briefkastenfirmen, die den Informationsaustausch vermeiden, etwa indem sie die wirtschaftlichen Eigentümer verschleiern, sei es im Besitz von Immobilien, sei es durch Kapitallebensversicherungen, die als Mäntel um Finanzanlagen herumgestrickt werden und wie individuelle Depots verwaltet werden können, oder durch Wertpapiere, die bei Banken keinen Informationsaustausch auslösen. Laut «World Wealth Report 2017» wurden von 16,5 Millionen Superreichen mit einem Gesamtvermögen von 63,5 Billionen US-Dollar 27,3 Prozent in Cash, Sichteinlagen u. Ä. angelegt, 31,1 Prozent in Unternehmensanteile, 18 Prozent in zinstragende Wertpapiere oder Bankanlagen, 14 Prozent in Immobilien sowie 9,7 Prozent in «alternative investments» wie Hedge-Funds, Private Equity Funds, Derivate und dergleichen. Das zeigt, dass mit bankbasiertem Cash, Sichteinlagen und zinstragenden Wertpapieren die Möglichkeiten zur Steuerflucht noch lange nicht erschöpft sind. Daher ist es nun an der Zeit, das Prinzip des automatischen Informationsaustauschs zu verallgemeinern und den internationalen steuerlichen Informationsaustausch für alle Vermögensarten umzusetzen. Immer wenn Ausländer sich an einem Unternehmen, Stiftung, Trust u. Ä. beteiligen, Immobilien erwerben, Versicherungsverträge zeichnen, Schließfächer mieten oder Kunde eines Free Port werden, muss das Heimatfinanzamt informiert werden. Dieses Ziel braucht gut definierte Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Finanzdienstleistern und staatlichen Stellen. So kann die Information international effizient mit den Einkommenssteuererklärungen abgeglichen werden, wie es bei der Lohnsteuer heute schon gang und gäbe ist. Auf dem Weg zu diesem Ziel gab es einige Fortschritte. So gelang es im Rahmen der G20 zu vereinbaren, dass alle Firmenregister Auskunft über wirtschaftlich Berechtigte von Unternehmen geben müssen.

In der EU gelang es uns im Zusammenspiel mit Nichtregierungsorganisationen jüngst sogar, durchzusetzen, dass diese Informationen öffentlich zugänglich werden müssen. Ebenso konnten wir Grünen durchsetzen, dass Bankschließfächer wie Bankkonten bei der Geldwäschebekämpfung behandelt werden. An den Kapitallebensversicherungen haben wir uns vorerst die Zähne ausgebissen. Und nur erste Fortschritte gibt es bei der europäischen Vernetzung der Immobilienkataster. Letztlich braucht Europa eine EU-Steueragentur, die die Zusammenarbeit der Mitgliedsländer bei der Steuerkooperation und bei der Bekämpfung der Steuerkriminalität effektiv organisiert. Diese Steueragentur hätte auch die Aufgabe, an der Harmonisierung von Datenstandards zu arbeiten, die die effektive Nutzung der Daten aus dem allgemeinen steuerlichen Informationsaustausch erst möglich machen. Und global könnte die Arbeit der OECD in diesem Bereich von einer eigenen UN-Organisation übernommen werden, die auch Entwicklungsländer gleichberechtigt an dieser Arbeit beteiligt. Denn nur durch Institutionen können wir die Digitalisierung international in eine Waffe gegen Finanzkriminalität verwandeln. Das ist die Voraussetzung dafür, dass die Gleichheit vor dem Recht Vertrauen zurückgewinnt. Im Interesse unserer Demokratie, unserer Sicherheit und der sozialen Gerechtigkeit. 


Sven Giegold ist Mitglied der Grünen im Europaparlament und Sprecher der Europagruppe Grüne.

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